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Archive der Umwelt: Aus der Vergangenheit lernen

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Es ist eine mühsame Tätigkeit und sie erinnert an die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. André Kirchner sammelt – nicht Bücher, Gemälde oder Musik, sondern Böden und Sedimente. Nicht jeden x-beliebigen Boden, doch dazu später mehr. In seinem Archiv reiht sich Sedimentprobe an Sedimentprobe, beschriftet und verpackt in durchsichtigen Tüten. Brasilien neben Thüringen, Franken neben Ägypten.

An diesem Vormittag liegen Bodenproben aus dem Hildesheimer Umland auf dem Labortisch in der 4. Etage am Hauptcampus der Universität. Das Institut für Geographie liegt inmitten einer der fruchtbarsten Flächen der Bundesrepublik Deutschland: Die Hildesheimer Börde hat sehr ertragreiche Böden, doppelt so nährstoffreich wie die Marschen an der Nordseeküste oder die Heidelandschaften.

Seit April 2016 arbeitet André Kirchner als Juniorprofessor für Angewandte Geoökologie an der Universität in Hildesheim. In seiner Forschung untersucht der Geograph, wie Siedlungs- und Nutzungstätigkeiten in der Vergangenheit unsere Umwelt beeinflusst haben. „Mich interessieren Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt", sagt Kirchner. Wie haben frühere Kulturen die Umwelt beeinflusst? Und andersherum – wie haben veränderte Umweltbedingungen frühere Kulturen beeinflusst?“.

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, nutzt Kirchner „Geoarchive“: Böden, Fluss- oder Seeablagerungen. „Sie speichern Informationen aus der Vergangenheit, die man mit Hilfe von Feld- und Laboruntersuchungen wieder ans Tageslicht befördern kann“, sagt der 34-Jährige. „Böden und Sedimente speichern die Informationen, die wir lesen können“, sagt Kirchner. Er bestimmt Korngrößen, stellt fest, ob ein Boden sandig, tonig oder schluffig ist, wie viel Kalk und Organik ein Boden hat. „Wenn ich Sedimente als Archiv nutzen möchte, dann muss ich außerdem natürlich wissen, wie alt diese Sedimente sind.“

Im Rahmen seiner Promotion hat Kirchner Flusssedimente in Brasilien untersucht. „Die Sedimente speichern klimatische Signale. Ich kann klar erkennen, wenn das Klima deutlich feuchter wird, weil der Fluss dann andere Sedimente ablagert als zu trockenen Zeiten. Aus Flusssedimenten können wir also das Klima rekonstruieren“, sagt Kirchner und zeigt auf Aufnahmen aus Brasilien, die in seinem Büro hängen. Das alte Moor im Hinterland der Megacity Rio de Janeiro etwa speichert die Information über die Vegetationsentwicklung der letzten 4500 Jahre. „Vegetation hängt immer auch vom Klima ab. Wenn ich also die Vegetation aus diesem Moor rekonstruiere, kann ich etwas über das Klima in dieser Zeit sagen.“ In Brasilien hat Kirchner am Rio Guapiaçu und Rio Macacu geforscht, diese Flüsse haben sich tief in den Boden geschnitten und Sedimente hinterlassen, die Kirchner dann Schicht für Schicht untersucht hat. Dabei hat er herausgefunden, dass Klimaverhältnisse das Ökosystem maßgeblich beeinflussen und es in der Vergangenheit zu einem mehrfachen Wechsel von landschaftlich stabileren und aktiveren Phasen kam.

Die Sedimente liefern weitere Hinweise: Wann kamen die Menschen ins Spiel? Im oberen Bereich hat der Wissenschaftler ältere Keramiken und Holzkohlen gefunden, an ihnen kann man ablesen, dass vor allem die intensive Landnutzung seit der portugiesischen Kolonialisierung die Landschaft massiv verändert hat. Kirchner hangelt sich mit den Bodenproben durch die Labormethoden. „Die Spuren sind meist nicht offensichtlich, sondern eher versteckt. Ich kombiniere eine Kette an Daten.“

André Kirchner blickt nicht bloß bis zur Industrialisierung, sondern geht weiter zurück. War etwa die Landnutzung der Sambaqui oder Tupi-Guarani-Kultur in Brasilien nachhaltiger als unsere heutige? Der Juniorprofessor untersucht derzeit auch Bodenproben aus Nordwestthüringen. „Ich will in die Steinzeit. Ich wäre froh, wenn mir das gelingen würde, aber es ist nicht sicher. Ich möchte gerne wissen, wie stark war der Einfluss der Steinzeitler, der Bronzezeitler auf die Umwelt? Ich suche nach punktuellen Informationen. Großen Einfluss auf die Landschaft beobachten wir dann, wenn die Bevölkerungsdichte hoch ist. In der Römerzeit springt die Bevölkerungszahl nach oben, aus dieser Zeit kennen wir, großflächige Waldrodungen und signifikante Bodenerosionsraten.“

Universitäten wird oft vorgeworfen, die Arbeit finde „im Elfenbeinturm" statt. Dazu sagt Kirchner: „Ich kann diesen Vorwurf durchaus nachvollziehen. Ich halte es für sehr wichtig, dass die universitäre Forschung eine gewisse Transparenz für die Öffentlichkeit besitzt und universitäre Forschung auch allgemeinverständlich kommuniziert wird. Trotzdem sollte eine Universität aber auch in Zukunft eine Institution sein, in der eine fachliche Spezialisierung möglich ist und wo ergebnisoffen an innovativen Ansätzen gearbeitet werden kann. Hier kommt es auf eine ausgewogene Balance an.“

Über sein Ankommen in Hildesheim sagt Kirchner: „Ich schätze es sehr, dass verschiedene Fachdisziplinen hier an der Universität Hildesheim quasi Tür an Tür sitzen. Ich freue mich auf die fächerübergreifende Zusammenarbeit. Und ich bin sehr gespannt auf die Arbeit mit den Studierenden, da mich diese Tätigkeit mit besonderer Freude erfüllt.“ Derzeit leitet Kirchner zum Beispiel ein Seminar zur Regionalen Geographie Südamerikas und bereitet zusammen mit seinem Kollegen Professor Martin Sauerwein eine Studentenexkursion an die Ost- und Nordsee vor. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus der Chemie und Biologie möchte er an der Universität Hildesheim ein naturwissenschaftliches Schülerlabor aufbauen, in dem Jugendliche eigene Erfahrungen beim selbständigen Experimentieren und Forschen sammeln können.

Kirchner ist oft „im Gelände“ unterwegs. Die Digitalisierung ist aber auch in der Geographie längst angekommen. Geographische Informationssysteme, Fernerkundungssoftware und Modellierungsprogramme gehören mittlerweile zum festen Arbeitsalltag und Handwerkszeug eines Naturwissenschaftlers, sagt Kirchner. „Die Digitalisierung birgt große Chancen, etwa bei der Modellierung der globalen Klimaentwicklung. Diese Modelle sind aber immer nur so gut, wie die Daten die sie speisen, weshalb man regionale Untersuchungen in der Natur auch zukünftig nicht vernachlässigen sollte.“ Also sammelt Kirchner weiter Bodenproben, denn in ihnen stecken unverzichtbare Information, das Gedächtnis des Bodens ist eine unverzichtbare Datengrundlage für realistische Zukunftsprognosen, sagt Kirchner.

Die Universität Hildesheim verzeichnet in den Umweltstudiengängen stetig wachsende Studierendenzahlen. Die Universität bildet Umwelt-Fachleute in den Bereichen „Umweltsicherung“ und „Umwelt, Naturschutz und Nachhaltigkeitsbildung“ sowie Lehrerinnen und Lehrer für Biologie, Chemie und Sachunterricht aus. Studentinnen und Studenten können sich in Hildesheim in den Bereichen „Mensch und Umwelt in historischer Perspektive“, „Angewandter Naturschutz“ und „Nachhaltigkeitsbildung“ spezialisieren. Eine Forschergruppe um Professorin Jasmin Mantilla-Contreras befasst sich mit der biologischen Vielfalt und untersucht Wechselwirkungen zwischen Klima, Böden, Beweidung und Biodiversität, etwa auf Madagaskar und im Mittelmeerraum. „Wenn wir die Landschaften, in die der Mensch eingegriffen hat, verstehen, dann können wir aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen. Aus Fehlern kann man lernen. Wir versuchen zu verstehen, welche Auswirkungen menschliches Handeln auf Umwelt hatte. Wir können Szenarien entwickeln: Was würde etwa passieren, wenn man den Hildesheimer Wald abholzt?“, sagt Professor Martin Sauerwein. Er forscht zu Bodenschutz und Flächenverbrauch sowie Altlasten. „Mit Unterstützung des Präsidiums ist es gelungen, die Umweltstudiengänge in Hildesheim auszubauen. Wir freuen uns sehr über die professorale Verstärkung durch André Kirchner“, so Sauerwein.

Antrittsvorlesung am 22. Juni 2016

Am Mittwoch, 22. Juni 2016, stellt sich Juniorprofessor Dr. André Kirchner der Hildesheimer Öffentlichkeit vor. Der Juniorprofessor für Angewandte Geoökologie spricht in seiner Antrittsvorlesung über Fragen und Herausforderungen der Mensch-Umwelt-Forschung. Die Vorlesung ist öffentlich und beginnt um 18:00 Uhr in Hörsaal 2 (Hauptcampus am Universitätsplatz 1). Schwerpunkte in Kirchners Forschung sind Geomorphologie, Paläoumweltforschung, Geoarchäologie und Bodengeographie sowie Umwelt- und Nachhaltigkeitsbildung.

Mehr erfahren: Was der Boden über das Leben verrät

Wir laufen täglich herum, ohne zu wissen, was sich eigentlich genau unter unseren Füßen abspielt. Wir vertrauen der Rasenfläche, dem Beton, dem Waldweg. Die „dünne Haut unserer Erde“ nennt Professor Martin Sauerwein den Boden, der auch Informationsträger ist. „Von der Bakterie bis zum Maulwurf leben Tiere in Böden. Der Boden entscheidet, wer darin lebt. Er ist die Grundlage jeglichen Lebens.“ [zum Artikel]

Medienkontakt: Pressestelle der Uni Hildesheim (Isa Lange, 05121.883-90100, presse@uni-hildesheim.de)


Bildungswege: Studium nach der Flucht

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Die Universität Hildesheim und die Hochschule HAWK laden Studieninteressierte mit Fluchterfahrung am Donnerstag, 4. August 2016, zu einer Informationsveranstaltung „Studium nach der Flucht" ein. Die Veranstaltung wird in den Sprachen Deutsch, Englisch und Arabisch angeboten und findet im FORUM der Universität Hildesheim (Universitätsplatz 1) statt. Auch Ehrenamtliche und Multiplikatoren, die in der Flüchtlingshilfe tätig sind, können sich informieren. 

Die Veranstaltung beginnt um 14:00 Uhr in Hörsaal 4 mit der Begrüßung und Vorträgen zum Thema Bildungswege in Deutschland. Danach geben Studierende Einblicke in das Studium nach der Flucht und Fachleute beraten an Info-Tischen über Voraussetzungen für das Studium sowie für eine Ausbildung. Im Anschluss zeigen Studentinnen und Studenten den Studieninteressierten während einer Campusführung die Universität. Beteiligt sind neben dem studentischen Uni-Welcome-Team auch das International Office der Universität, die Hochschule HAWK (Projekt HAWK open), die Agentur für Arbeit, die Handwerkskammer, die Flux-Flüchtlingshilfe, der Verein Asyl e.V. und das Studentenwerk Ostniedersachsen. Interessierte können sich gerne bei Fragen zur Veranstaltung an Steffi Albrecht (Universität, 05121.883-92010, aain@uni-hildesheim.de) und Frauke Drewes (HAWK, 05121.881-603, frauke.drewes@hawk-hhg.de) wenden.

Seit Frühjahr 2015 ermöglicht die Universität Hildesheim Studieninteressierten mit Fluchterfahrung ein kostenfreies „Schnupperstudium“. Beim Schnupperstudium müssen keinerlei Bedingungen erfüllt werden. Das Studium soll dabei helfen, die Studienstrukturen und andere Studierende kennen zu lernen, interessante Seminare und Vorlesungen zu besuchen und dabei die deutsche Sprache und Wissenschaftssprache zu lernen. Mit dem kostenfreien Gasthörerstudium ermöglicht die Uni jungen Erwachsenen außerdem, bereits Credits (Leistungspunkte) zu erwerben, die sie für ein späteres reguläres Studium anrechnen können. Die jungen Erwachsenen haben sehr unterschiedliche Lebensläufe und Bildungsabschlüsse, einige haben noch kein Studium absolviert, manche haben ein Studium in Syrien, Irak, Pakistan oder Sudan begonnen oder abgeschlossen. Lehrende und Studierende unterstützen die jungen Erwachsenen dabei, im Uni-Alltag anzukommen und Perspektiven für den weiteren Bildungsweg zu entwickeln. Studierende („Anker-Peers“ und „Welcome-Team“) begleiten die Studierenden mit Fluchterfahrung auf ihrem Weg durch die Universität. Sie wurden für die Beratung von der Studienberatung geschult und kennen Unterstützungsprogramme. Außerdem bilden sie Sprachtandems.

Seit Juni 2016 nehmen junge Erwachsene an einem Intensivsprachkurs inklusive Studienvorbereitung teil. Die Universität Hildesheim und die Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) haben insgesamt 15 Stipendien für Geflüchtete vergeben, die studieren möchten. Der Sprachkurs dauert sechs Monate und umfasst jeweils 24 Stunden Deutschunterricht pro Woche plus etwa fünf Stunden Studienvorbereitung pro Woche. Weitere Sprachkurse sind in Planung. Von Mitte September bis Mitte Oktober 2016 bietet die Universität Hildesheim eine vierwöchige „Summer School“ zur intensiven Vorbereitung der Gasthörerschaft an.

Aus der Forschung: Wege an die Universität

Forscher der Universität Hildesheim haben Angebote deutscher Hochschulen für Studieninteressierte mit Fluchterfahrung untersucht: Die qualitative Erhebung fand an neun deutschen Hochschulen statt, darunter sieben Universitäten und zwei Fachhochschulen. Aus den Befunden der Studie „Studium nach der Flucht?" haben die Autoren 15 Handlungsempfehlungen formuliert. Diese richten sich primär an die Hochschulen selbst, aber auch an die Landes- und Bundespolitik. Die Ergebnisse der Studie finden Sie online.

Was passiert in Hildesheim? Überblick über Projekte an der Uni

Am Zentrum für Bildungsintegration der Universität Hildesheim arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Schwerpunkt „Bildungsteilhabe von Flüchtlingen“ zusammen. Die Sprache lernen, der Zugang zur Universität, Teilhabe durch Sport, Künste und Musik – einen Überblick über Projekte zur Bildungsteilhabe nach der Flucht finden Sie online. Die Projekte sind interdisziplinär und breit gefächert und umfassen Forschung, Transfer in die Praxis, Evaluationen und Begleitung.

Medienkontakt: Pressestelle der Uni Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100)

Landeshochschulkonferenz: Wissenschaftsfreiheit in der Türkei

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Professor Wolfgang-Uwe Friedrich, Vorsitzender der Landeshochschulkonferenz Niedersachsen (LHK) und Universitätspräsident in Hildesheim, äußert sich zu aktuellen Entwicklungen in der Türkei. „Ohne Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit gibt es keine Demokratie.“ Mit großer Sorge beobachtet die Landeshochschulkonferenz Niedersachsen – in Übereinstimmung mit der Hochschulrektorenkonferenz und der European University Association – die aktuellen Entwicklungen an den türkischen Hochschulen. 

Die menschlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und besonders auch die wissenschaftlichen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland seien historisch gewachsen und eng. „Die deutsch-türkischen Wissenschaftsbeziehungen sind ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit. Wir wollen diese auch in Zukunft frei gestalten und so unseren Beitrag zur Entwicklung beider Länder leisten“, so Friedrich.

Hier finden Sie die Erklärung des Vorsitzenden der Landeshochschulkonferenz Niedersachsen (LHK).

Ministerin: „Uni Hildesheim leistet wichtigen Beitrag für Verständigung“

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„Sprachförderung, Bildungsangebote und kulturelle Teilhabe sind entscheidend für die Integration von Zugewanderten. Die Universität Hildesheim leistet mit ihren Projekten zu  Spracherwerb und musikalischer Bildung einen wichtigen Beitrag für Verständigung und Austausch. Die drei Projekte, die ich mir heute angesehen habe, sind herausragende Beispiele dafür, dass Integration, Teilhabe und Diversität an der Universität Hildesheim gelebt und als gesamtuniversitäre Aufgabe definiert werden. Mein Dank gilt den engagierten Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftlern und Studierenden, die in ihren Bereichen daran arbeiten, dass der gesellschaftliche Wandel positiv gestaltet wird“, sagte die Niedersächsische Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajić anlässlich ihres Besuches an der Universität Hildesheim.

Die Ministerin hat in dieser Woche die Universität Hildesheim besucht, um sich über den Studiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung" zu informieren. Darüber hinaus informierte sie sich über die Qualifizierung von Geflüchteten, die ein Studium aufnehmen möchten. Außerdem sprach die Ministerin mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Bereich Mehrsprachigkeit über aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung.

Musikalische Wege: Aus der Not heraus den Gesang entdeckt

„Mit Musik kann man etwas bewegen, was man mit Worten nicht erreichen kann“, sagte Tinatin Tsereteli. Als Zehnjährige kam sie mit ihrer Familie in einer Flüchtlingsunterkunft in Deutschland an, da in Georgien ein Bürgerkrieg ausbrach. „Wenn ich allein war, bin ich eingetaucht in meine Musikwelt. In Georgien hatte ich Klavier- und Geigenunterricht. Die Musikwelt meiner Kindheit war sehr vielfältig. In Deutschland hatte ich kein Instrument, eine völlige Leere, wir hatten ein Zimmer für die ganze Familie. Aus meiner Not heraus habe ich den Gesang für mich entdeckt.“ Nach dem Abitur hat sie Kulturwissenschaften an der Universität Hildesheim und anschließend im Weiterbildungsstudiengang „musik.welt" studiert. Die Sängerin und Musikpädagogin kombiniert die musikalische mit der sprachlichen Bildung in Kitas und Grundschulen. „Die Kinder wollen lernen und alles wie ein Schwamm aufsaugen, wir müssen ihnen nur die Chance geben“, sagt Tsereteli.

Über Bildungschancen sprach auch Abbass Anoor. „Ich bin in Darfur aufgewachsen. Ich wollte zur Schule gehen, aber ich durfte nicht. Ich wollte nicht als Kuhhirt enden und rannte mehrfach ohne Erfolg von zu Hause weg, bis es mir mit 13 Jahren gelang. Ich wollte in die Schule gehen. Erst mit 20 Jahren lernte ich richtig, Texte und meinen Namen zu schreiben.“ 25 Jahre später spricht Anoor vier Sprachen: Arabisch, Französisch, Englisch und Deutsch. Er ist ein bekannter Rapper aus dem Sudan und musste wegen seiner kritischen Liedtexte das Land verlassen. In seinen Texten spricht der Musiker und Dichter trotz einer positiven Grundeinstellung auch die Probleme seines Landes an. „Ich kann mich durch Musik am besten ausdrücken, was ich fühle, was ich auf den Straßen gesehen habe zu der Zeit, als ich noch im Sudan war.“

Heute studiert der Rapper Musik an der Universität Hildesheim. „Die universitäre Sprache ist etwas schwierig für mich, der Weg von Frankfurt nach Hildesheim ist zeit- und kostenaufwändig“, sagt der 43-Jährige. „Aber für mich ist das Studium eine große Chance. Wirklich, eine große Chance. Ich lerne viele neue Dinge über Musik, Geschichte und kulturelle Diversität. Ich lerne ein neues Instrument, jetzt spiele ich E-Bass. Die Leute an der Universität sind sehr hilfreich, auch in anderen Lebensbereichen. Das Center for World Music hat mir eine Chance, eine neue Familie gegeben. Mein Dank gilt Professor Raimund Vogels und Morena Piro – ich habe zum Glück diesen Ort gefunden. Jetzt habe ich eine zweite Heimat – hier in Deutschland.“

Seit 2011 bildet das Center for World Music der Universität Hildesheim Berufstätige aus, die Musik in ihrem Arbeitsumfeld aufgreifen – zum Beispiel in Kitas, Schulen, Stadtteilen, Flüchtlingsunterkünften und Jugendzentren. „Das Wissenschaftsministerium hat den Studiengang musik.welt ermöglicht. Die Stiftung Niedersachsen fördert diese Arbeit, dafür bedanken wir uns sehr“, sagte Universitätspräsident Prof. Wolfgang-Uwe Friedrich. Ohne die Unterstützung der Stiftung Niedersachsen könnten die Studentinnen und Studenten nicht an der Universität Hildesheim lernen, da viele den Betrag für ein berufsbegleitendes Studium nicht finanzieren könnten. Insgesamt erhalten 20 Studierende jeweils ein Stipendium. Eine wichtige Landesstiftung habe die Bedeutung von Musik und kultureller Diversität in der Gesellschaft erkannt und handelt entsprechend, so der Musikethnologe und Direktor des Hildesheimer Forschungszentrums, Professor Raimund Vogels. Dadurch konnten in Hildesheim Strukturen aufgebaut werden, um Bildungswege von Menschen, von denen viele ihre Bildungsabschlüsse im Ausland (etwa Georgien, Kamerun, Marokko, Russland, Sudan, Iran, Irak, China, Mongolei) erworben haben, zu fördern und gleichzeitig ihre vielfältigen Erfahrungen anzuerkennen.

Universität begleitet Wege in das Studium – Ministerin: „Sie sind Pioniere“

Während Tinatin Tsereteli und Abbass Anoor den Übergang in das Studium bereits geschafft haben, sind einige junge Erwachsene mitten auf ihrem Weg an die Universität. Die Wissenschaftsministerin sprach mit jungen Erwachsenen aus Syrien, Ruanda und dem Iran, die sich derzeit in einem sechsmonatigen Intensivsprachkurs auf ein Studium vorbereiten. Sie gaben Einblicke in ihren Lebensweg und erklärten, welche Chancen, aber auch Schwierigkeiten sie erleben.

Seit Frühjahr 2015 begleitet die Universität Hildesheim Studieninteressierte mit Fluchterfahrung auf ihrem Weg ins Studium. Derzeit nehmen 15 junge Erwachsene an einem Intensivsprachkurs und einer Studienvorbereitung teil. „Wir begleiten Studierende auf ihrem Weg an die Universität. Die Studienvorbereitung umfasst eine individuelle Beratung zu Themen wie Bewerbung, Finanzierung und Stundenplangestaltung. Wie orientiere ich mich auf dem Campus, wie nutze ich die Bibliothek und das Rechenzentrum? Außerdem gehören Veranstaltungen zum wissenschaftlichen Arbeiten, Treffen mit Studierenden und Ausflüge dazu“, sagte Anna-Maria Pulm, Mitarbeiterin im International Office der Uni Hildesheim.

„Ich persönlich habe einen Plan, Schritt für Schritt“, berichtete der 24-jährige Majed. Seit eineinhalb Jahren lebt er in Deutschland. „Erst muss ich die deutsche Sprache besser sprechen und schreiben. Ich möchte gut in der Sprache sein. Dann möchte ich mein Informatikstudium abschließen und einen Beruf finden. Ich konnte mein Studium in Aleppo in Syrien nicht fortsetzen, Ich habe viel Zeit verloren und möchte endlich wieder lernen. Ich habe zufällig über eine Freundin von dem Intensivsprachkurs in Hildesheim erfahren – das ist ein großes Glück. Das Uni-Angebot ist selten, ich kenne viele Freunde, die keinen Sprachkurs machen und sich nicht auf ein Studium vorbereiten können. Ich mache mir aber Sorgen, wie ich mein Studium finanzieren kann.“

Auch Nareen, Sajadeh und Ahlam möchten ihr Studium fortsetzen. Als Nareen vor eineinhalb Jahren in Hildesheim ankam, war der Wunsch groß, wieder zu lernen. „Wegen des Krieges in Syrien konnte ich mein Mathematikstudium nicht fortsetzen“, so die 24-Jährige. „Am Anfang war es einfach mit der Sprache, ich habe eine B1-Prüfung abgeschlossen. Dann gab es eine lange Pause – und nun habe ich endlich den Sprachkurs an der Universität gefunden. Man muss sich bemühen, um sein Ziel zu erreichen.“ Sajadeh bereitet sich derzeit auf das Lehramtsstudium vor, ein zweimonatiges Praktikum an einer Grundschule in Hannover habe ihren Berufswunsch bestätigt. An einer iranischen Universität hat die 31-Jährige Englisch und Literatur studiert. Dann habe sie viel Zeit verloren. Nun möchte sie „unbedingt weiterstudieren“. Täglich fährt sie vier Stunden durch Niedersachsen, um an dem Sprachkurs in Hildesheim teilzunehmen. Auch Ahlam hat „viel gewartet“, um ihren Bildungsweg fortsetzen zu können. „Das Schwierige ist die Sprache. Ich habe viel alleine gelernt und habe mir die Sprache selbst beigebracht. Ich habe nach einem Sprachkurs gesucht. Viele Schulen haben mir gesagt: Nein, du kannst nicht studieren. Dann habe ich diesen Intensivsprachkurs der Universität Hildesheim gefunden, ich bereite mich jetzt auf mein Studium vor. Es ist eine tolle Gelegenheit. Wir lernen gemeinsam und wir diskutieren in der Gruppe“, sagt die 24-jährige Ahlam. Sie lebt seit zweieinhalb Jahren in Deutschland.

„Sie sind Pioniere, sie haben jetzt angefangen, ihren Bildungsweg an der Universität fortzusetzen. Ich wünsche Ihnen alles Gute“, sagte die Niedersächsische Wissenschaftsministerin zu den jungen Erwachsenen.

Mehrsprachigkeit: Maßnahmen sollten auf Forschungserkenntnissen aufbauen

Es sei wichtig, so Elke Montanari, Professorin für Deutsch als Zweitsprache, aktuelle Bildungsmaßnahmen auf Erkenntnissen aus der Forschung aufzubauen. Derzeit tagen etwa 40 Promovenden sowie Professorinnen und Professoren aus den USA, dem Irak, Schweden, Island, Italien, England und Deutschland an der Universität Hildesheim. Darunter Koryphäen wie die Linguisten Professor Konrad Ehlich, Professorin Rita Franceschini und Professorin Aneta Pavlenko.

„Es gibt viele Personen, die aktuell beim Spracherwerb helfen möchten. Damit wir jetzt nicht in eine Phase kommen, in der sich viele Personen engagieren, dann aber merken, dass sie nicht weiterkommen oder an Widerstände stoßen, braucht es eine Professionalisierung von Lehrpersonen, die in verschiedenen Altersstufen unterrichten können – für Kinder, Jugendliche, Erwachsene – und Personen, die sich auch mit Traumata befassen“, sagte die Schweizer Professorin Rita Franceschini, die an der Freien Universität Bozen in Südtirol, Italien, forscht und lehrt.

„Wir müssen die gesamte Lernbiografie eines mehrsprachigen Kindes betrachten, und können ein Kind nicht allein auf Sprache oder Migrationshintergrund reduzieren. Eine interdisziplinäre Perspektive ist wichtig. Jeder Lerner bewegt sich innerhalb eines soziokulturellen Umfeldes, bringt eine bestimmte Persönlichkeit, bestimmte kognitive Fähigkeiten und psychologische Bewältigungsstrategien mit“, sagte Professorin Kristin Kersten. Die Hildesheimer Sprachwissenschaftlerin untersucht derzeit in zwei Forschungsprojekten gemeinsam mit Psychologen, wie Kinder mehrsprachig lernen. An bilingualen Schulen und Kindertagesstätten dokumentiert das Forscherteam zurzeit, wie der Spracherwerb funktioniert und wie Lehrer diese Lernprozesse begleiten und bilinguale Programme implementieren [mehr Infos zur Studie 1 und Studie 2]. Die Projekte werden im Rahmen der Programme „PRO Niedersachsen“ und „VW Vorab“ gefördert.

Wie können Lehrerinnen und Lehrer den Spracherwerb begleiten? „Es sollte Plattformen geben, um sich über gelungene Maßnahmen auszutauschen. Jede Person lehrt für sich alleine. In einem ‚Center for meetings‘ könnten sich Lehrer treffen und ihr Wissen und Materialien teilen: Was funktioniert gut? Das ist sehr simpel, aber effektiv“, kommentierte Professorin Aneta Pavlenko von der Universität Philadelphia, USA. Sie ist selbst in einem Flüchtlingscamp aufgewachsen und hatte in den 90er Jahren Englisch in einer Flüchtlingsunterkunft in Italien unterrichtet. Solch ein Austausch sollte sowohl online wie auch offline, im persönlichen Gespräch, möglich sein. „Lehrer sollten sowohl gelungene Materialien und Stundenplanungen teilen als auch ihre Erfahrungen, wenn etwas nicht klappt", so Professorin Pavlenko.

„Der Bedarf an abgesichertem Wissen zu Fragen der Migration und Integration ist groß“, so Elke Montanari. Daher fördert die Universität den wissenschaftlichen Nachwuchs.

An der internationalen „Summer School: Multilingualism and Diversity Education" sind das Zentrum für Bildungsintegration, das Centrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung, das Institut für deutsche Sprache und Literatur, das Institut für englische Sprache und Literatur sowie das Institut für Interkulturelle Kommunikation beteiligt.

Medienkontakt: Pressestelle der Uni Hildesheim (Isa Lange, 05121.883-90100, presse@uni-hildesheim.de)

„Die Studierenden sind Botschafter für die Vielfalt der Natur“

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„Wir wollen die künftige Generation dabei unterstützen, mit den Umweltproblemen umzugehen. Wir haben nicht mehr viel Zeit übrig, um die Natur zu erhalten. Nur noch ein Zehntel der einzigartigen biologischen Vielfalt auf Madagaskar ist übrig. Wir müssen Studierende darin ausbilden, Lösungen zu entwickeln“, sagt Professor Jonah Ratsimbazafy von der Universität Antananarivo.

Der renommierte Primatologe ist einer der wichtigsten Naturschützer Madagaskars und derzeit im Zuge einer Lehrkooperation mit madagassischen Studierenden in Hildesheim. Neben Theorie und Vorlesungen stehen Exkursionen zum Biosphärenreservat Elbe, in die Lüneburger Heide und auf die Hallig Langeneß auf dem zweiwöchigen Programm der insgesamt 24 Studierenden und Forscher aus Madagaskar und Hildesheim. Die Studierenden aus Madagaskar kommen von drei Institutionen: der Universität Antananarivo, der Universität Toamasina und dem Lemuren-Forscherverband GERP. Der Studiengang in Toamasina hat ähnliche Studieninhalte wie der Masterstudiengang „Umwelt, Naturschutz und Nachhaltigkeitsbildung“ der Universität Hildesheim.

„Der Austausch mit der Universität Hildesheim ist sehr produktiv, unsere Studierenden lernen voneinander“, sagt Professor Ratsimbazafy. „Hildesheim ist eine wundervolle Stadt – mit vielen Bäumen und Wald, ich liebe diesen Ort.“ „Die Forschung ist ein Teil, der Austausch und die Diskussionen zwischen den Menschen ist eine weitere wichtige Erfahrung“, ergänzt Eustache Miasa, Biologe von der Universität Toamasina.

Jasmin Mantilla-Contreras, Juniorprofessorin für Ökologie und Umweltbildung an der Universität Hildesheim, und der Biologe Torsten Richter haben das fünfjährige Programm in Kooperation mit ihren madagassischen Partnern entwickelt. Lehrende und Studierende aus drei madagassischen Forschungsinstituten und aus Hildesheim kommen mehrmals im Jahr zusammen. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) fördert den Austausch. „Wir wollen unseren Studierenden den Austausch ermöglichen, damit sie in Kontakt zu anderen jungen Wissenschaftlern kommen und ihre Erfahrungen teilen“, sagt Richter.

Die Arbeitsgruppe „Ökologie und Umweltbildung" der Universität Hildesheim untersucht, wie Lebensräume erhalten und Ökosysteme nachhaltig genutzt werden können. Auf Madagaskar versucht eine Forschergruppe gemeinsam mit madagassischen Wissenschaftlern an einem Seeökosystem im Nordwesten der Insel die einzigartige Flora und Fauna zu erhalten. Gleichzeitig versuchen sie, den Menschen vor Ort neue Nutzungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die invasive Wasserhyazinthe verursacht am Alaotra-See ökologische Probleme, bietet aber ein ungeahntes Nutzungspotential, so ein Ergebnis der Forschung von Tsiry Rakotoariso, der derzeit seine Promotion an der Universität in Hildesheim abschließt. Aus der Wasserpflanze kann zum Beispiel auch Kompost hergestellt werden, Bauern können diesen als Dünger nutzen.

„Madagaskar ist ein gutes Beispiel für den zunehmenden Konflikt zwischen Mensch und Natur“, sagt Professorin Jasmin Mantilla-Contreras. „Die Insel zählt zu den artenreichsten Gebieten der Erde und weist eine Natur auf die sonst nirgendwo auf der Erde zu finden ist. Gleichzeitig zählt Madagaskar jedoch auch zu einem der ärmsten Länder und ist dadurch besonders vom Rückgang der Biodiversität betroffen. Inzwischen sind dort über 90% der natürlichen Lebensräume zerstört." Die internationale Forschergruppe entwickelt Lösungsansätze, wie man den verbleibenden Rest „Originalnatur“ schützen und die einzigartige Biodiversität des Landes erhalten kann, sagt Torsten Richter. Beinahe jedes Jahr werden neue Lemurenarten entdeckt, auch Amphibien und Reptilien haben eine sehr starke Sonderentwicklung genommen, etwa der Blattschwanzgecko, der sich exzellent verstecken und seiner Umgebung anpassen kann.

Warum der Austausch für die Hildesheimer Biologen wichtig ist? „Unsere Schnittmengen liegen in den Bereichen Management von Natur und Umweltbildung. Die Universität in der Hauptstadt Madagaskars bildet Naturkundelehrer aus – wir ebenfalls“, sagt Torsten Richter.

Menschen können Natur schützen, aber auch zerstören. „Wir sind alle entsetzt über den Verlust von Arten. Naturschutz ist eine kollektive Aufgabe, die die Beteiligung jedes Einzelnen erfordert. Lasst uns gemeinsam Lösungen entwickeln, bevor es zu spät ist. Als Wissenschaftler wollen wir Teil des Erfolgs sein, die Erde zu schützen. Unsere Aufgabe ist es, Multiplikatoren auszubilden. Die Studierenden aus Hildesheim und Madagaskar sind Botschafter. Sie sollten ihr Wissen teilen und nicht für sich selbst behalten. Unsere Hoffnungen ruhen auf ihren Ideen. Sie sind verantwortlich für Morgen, wir müssen heute anfangen. Wir hoffen, dass sie etwas verändern, dort wo sie einmal arbeiten werden“, sagt Professor Ratsimbazafy.

Wer mehr über Naturschutz in Madagaskar erfahren möchte, kann am 8. August 2016 mit Professor Ratsimbazafy an der Universität Hildesheim sprechen. Um einen Termin zu vereinbaren, können Interessierte eine E-Mail senden an mantilla@uni-hildesheim.de.

Naturschutz studieren: Kurzinterview mit zwei Studenten aus Hildesheim

Nachgefragt bei...

... Simon Emken, 27, studiert Umweltwissenschaft und Naturschutz an der Universität Hildesheim

... Roderic Heriandrianina Mahasoa, 29, studiert „Erhalt von Biodiversität und Nachhaltiger Tourismus“ an der ISSEDD Universität in Toamasina, Madagaskar

Was macht ihr zurzeit in Hildesheim?

Roderic: Ich nehme mit weiteren Studierenden aus Madagaskar an einem internationalen Austausch an der Universität Hildesheim teil. Wir sprechen über das Umweltmanagement, über Forschungsmethoden und Bildungsansätze.

Simon: Im vorigen Jahren waren Hildesheimer Studierende auf Madagaskar. Ich war dabei, das war sehr beeindruckend. Im August fahre ich wieder für drei Monate nach Madagaskar. Ich untersuche die Artzusammensetzung von Mistkäfern in intaktem und zerstörtem Regenwald.  Mittlerweile wurden über 90 Prozent des Waldes abgeholzt.

Roderic: Wir treffen uns dann schon das dritte Mal. Dazwischen bleiben wir via Facebook, Email und Co in Kontakt. Wir haben die gleichen fachlichen Ziele. Ich hoffe, dass ich in der Zukunft auch wieder nach Hildesheim reisen kann. Viele Studierende haben sich beworben, weit mehr als es Plätze in der „Summer School“ gibt.

Ihr beschäftigt euch mit dem Schutz der biologischen Diversität. Was untersucht ihr zurzeit?

Roderic: Ich untersuche in meiner Abschlussarbeit, wie sich Amphibien verbreiten. Ich dokumentiere hier im Osten Madagaskars in einem der ersten Schutzgebiete, wie der „Mantella laevigata“, ein schlanker Buntfrosch, lebt. Die Art wurde 2006 das erste Mal in diesem Gebiet entdeckt. Ich bin der erste, der hier ihren Lebensraum genauer untersucht.

Simon: Das ist einzigartig, der Frosch lebt nur in Madagaskar – sonst nirgends auf der Welt.

Roderic: Ich bin mehrfach im Feld und erhebe Daten: Was frisst der Frosch, wo lebt her, wer lebt und wächst im Umfeld? Ich fotografiere die Tiere und die Vegetation. Ich möchte herausfinden: Warum lebt dieser Frosch nur an diesem Ort?

Warum ist die Erforschung dieser einheimischen Arten wichtig?

Simon: Die Forschung von Roderic ist sehr wichtig. In Deutschland haben wir recht wenige Arten, die nur hier vorkommen, sie haben ein großes Verbreitungsgebiet, etwa in Nordeuropa, im mediterranen Raum. Madagaskar hingegen ist ein Hotspot der Biodiversität. Ein Großteil der Arten – etwa die Halbaffen, Lemuren – leben nur dort. Ein großer Teil der Tier- und Pflanzenarten ist wissenschaftlich noch nicht beschrieben, sozusagen noch nicht entdeckt. Es muss geforscht und Wissen erarbeitet werden.

Roderic, du willst also herausfinden: Wo lebt das Tier, warum lebt es nur dort?

Roderic: Hier in Hildesheim wissen wir, wie zum Beispiel der Feldsperling lebt. Wir wissen viel über das Zugverhalten der „Spatzen“, über das Paarungsverhalten, warum sie im Winter in warme Gebiete migrieren. Auf Madagaskar gibt es Arten, über die die Menschheit nichts weiß – gar nichts. Sie sind unbeschrieben. Man kann sie vielleicht grob einordnen. Aber über das komplette Verhalten der Tiere, über die Lebensraumansprüche und die Interaktionen der Tiere – mit Fressfeinden, mit Futterpflanzen –, also die Ökologie, ist aber nichts bekannt.

Warum ist es spannend, auf Madagaskar zu forschen?

Simon: Wir haben unseren ursprünglichen Wald degradiert und verloren, der ist weg – wir leben in von Menschen geschaffenen, künstlichen Landschaften. Der große Schatz auf Madagaskar ist: Dort ist unberührter, sogenannter Primärwald erhalten. Leider wird heute sehr viel Regenwald abgeholzt, er steht kurz vor dem Verschwinden. Als Biologe ist es wichtig das Wissen über Ökologie und Arten zu erweitern. Außerdem ist es für mich persönlich von großem Wert, diesen letzten verbleibenden Regenwald mit eigenen Augen zu sehen solange das noch geht.

Welche Nachricht nehmt ihr aus dem internationalen Studierendenaustausch mit in euer Heimatland?

Roderic: Es ist eine Ehre, hier in Hildesheim zu sein. So ein Austausch ist sehr wertvoll und mehr als das Aneignen von Wissen. Ich lerne etwas über die Geschichte der Stadt, über das Studentenleben an der Universität, über den Alltag in Deutschland. Ich weiß nun, wie der europäische Wald aussieht – ich habe natürlich nur ein Stück Hildesheimer Wald erlebt, der von Menschen gepflanzt und gepflegt wird. Auch auf Madagaskar haben wir gepflanzten Wald – aber auch noch den ursprünglichen primären Wald. Wenn wir weiter Wald abholzen, müssen wir dafür sorgen, Wald auch anzupflanzen und zu schützen.

Du lebst heute im Osten Madagaskars – hast du in deiner Kindheit erlebt, wie Wald abgeholzt wurde?

Roderic: Als ich neun Jahre alt war, habe ich den Wald in meinem Dorf erkundet:  Bäume im Park – gepflegt von Menschen. Als ich zehn Jahre alt war, bin ich mit meiner Familie in den Südosten gezogen – wir lebten an der Grenze zwischen der Stadt und dem unberührten Primärwald. Hinter unserem Haus lebten Schlangen, Lemuren, Chamäleons. Jahre später kam ich zurück: ich war erschreckt, alles war abgeholzt, um daraus Holzkohle und Baumaterial zu fertigen. Alles war verschwunden, außer ein paar Vögel. Ich war sehr traurig – das war ein Teil meiner Kindheit, dort habe ich gespielt, mich zwischen Bäumen versteckt.

Und dann hast du dich für ein Umweltstudium entschieden?

Roderic: So habe ich meinen Berufswunsch entdeckt: Ich möchte Natur schützen. Es geht nicht alleine. Auf Madagaskar führe ich Studenten und Touristen durch die Natur. Ich bin in der Natur aufgewachsen, sie hat mich geprägt. Wenn diese Natur zerstört wird, schwindet ein Teil von mir. Ich bin ein modern-wilder Mensch. Darauf bin ich stolz, weil ich erfahren habe, welchen Wert die Natur hat. In meinem Studium – auch durch diesen Forschungsaufenthalt in Hildesheim – lerne ich, was meine Generation tun kann, um die Umwelt zu schützen.

Die Fragen stellte Isa Lange.

Kurz erklärt: Studium Umweltsicherung und Naturschutz

Die Universität Hildesheim bildet im Masterstudiengang „Umwelt, Naturschutz und Nachhaltigkeitsbildung“ und in der Bachelor-Studienvariante „Umweltsicherung“ Fachleute aus, die sich mit der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen unseres Planeten befassen. Absolventen arbeiten zum Beispiel in den Bereichen Umweltsicherung und Umweltkommunikation, im Natur- und Umweltschutz bei Behörden, Verbänden oder Nichtregierungsorganisationen, in Planungsbüros und in der Umweltbildung bei staatlichen und freien Trägern.

Zu den Studieninhalten im Masterstudium gehören Umwelt- und Naturschutz, Biologie, Geographie, Umweltchemie/Ökotoxikologie und Nachhaltigkeit. Die Studierenden können sich spezialisieren für die Bereiche Mensch und Umwelt in historischer Perspektive, Angewandter Naturschutz oder Nachhaltigkeitsbildung.

Medienkontakt: Pressestelle der Uni Hildesheim (Isa Lange, 05121.883-90100, presse@uni-hildesheim.de)

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Kultur studieren: Noch bis 15. September bewerben

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Im Bachelor-Studiengang „Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis“ der Universität Hildesheim sind noch Studienplätze frei. Deshalb wird in diesem Jahr ein Losverfahren angeboten. Die Bewerbungsfrist dafür endet am 15. September 2016. Die Bewerbung ist zugleich auch die Anmeldung für die Eignungsprüfung. Diese findet am 10. Oktober 2016 statt. Bewerberinnen und Bewerber werden dazu noch einmal gesondert eingeladen. Das Bewerbungsformular ist online abrufbar. Rückfragen richten Sie bitte per E-Mail an: eignung@uni-hildesheim.de.

Auf dem Kulturcampus der Universität Hildesheim können Studentinnen und Studenten ab dem ersten Semester Theorie und Praxis verbinden – etwa im Projektsemester – und zwischen Fächern wie Literatur, Medien, Kulturpolitik, Musik, Populäre Kultur, Philosophie und Theater wählen. Absolventinnen und Absolventen sind in Theaterhäusern und Verlagen, in Schulen, in Funk- und Fernsehanstalten, in der Kulturverwaltung und Kulturellen Bildung tätig.

Der Studiengang „Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis“ ist der älteste Studiengang in Deutschland, der seit 1978 für kulturwissenschaftliche, künstlerische und kulturvermittelnde Berufe qualifiziert. Mehr als 1000 Studierende aus dem deutschsprachigen Raum studieren auf dem mittelalterlichen Burggelände in Hildesheim. Zwei Drittel der Studierenden kommen aus anderen Bundesländern nach Niedersachsen.

Hörsaal-Stuhl stiften: Universität sucht noch 63 Paten

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133 von 196 Hörsaalstühlen haben seit dem Sommer einen Paten: Die Stifterinnen und Stifter unterstützen mit einer Spende die Universität Hildesheim. Der Name der Stifter steht auf einer Plakette am jeweiligen Stuhl. Wer also künftig im Hörsaal 4 im Neubau am Universitätsplatz sitzt, erfährt, wer die Wissenschaft unterstützt.

Noch 63 Plätze sind frei. Mit einem Betrag von 100 Euro kann man die Patenschaft für einen Stuhl übernehmen und die Verbundenheit mit der Universität dokumentieren. „Wir freuen uns sehr über diese Resonanz – und wir hoffen auf weitere Paten“, sagt Markus Langer, der die Aktion gemeinsam mit Vizepräsident Professor Martin Schreiner ins Leben gerufen hat. „In diesem Jahr ist der Personenkreis noch einmal deutlich angewachsen. 50 neue Paten für die Hörsaalstühle sind hinzugekommen. Darunter sind Menschen, die sich in völlig unterschiedlicher Weise der Universität verbunden fühlen: Ehemalige der Pädagogischen Hochschule Alfeld genauso wie Ehemalige der heutigen Universität, Menschen aus der Hildesheimer Stadtgesellschaft, aus Hildesheimer Unternehmen und Institutionen, ehemalige Rektoren der Universität sowie Universitätsangehörige vom Verwaltungsmitarbeiter bis zum Präsidenten“, so Langer. Das gespendete Geld wird im unmittelbaren Umfeld des Hörsaals eingesetzt, unter anderem werden in Kürze weitere neue studentische Arbeitsmöglichkeiten eingerichtet.

Die Universität lädt die bisherigen Stuhlpaten zu einem „Probesitzen“ am Donnerstag, 8. September 2016, ein:  Das halbstündige Zusammenkommen mit dem Vizepräsidenten für Stiftungsentwicklung beginnt um 18:00 Uhr im Hörsaal 4 (im Neubau am Universitätsplatz 1, 31141 Hildesheim). Es besteht die Möglichkeit, anschließend an einem kleinen Rundgang durch das neue Forum, einschließlich Senatssitzungssaal, teilzunehmen. Wer kurzfristig einen Stuhl stiften möchten, kann sich noch bei Markus Langer melden und an der Veranstaltung teilnehmen.

Universität sagt Danke!

Hier geht's zur Übersicht: Wer bisher einen Hörsaalstuhl gespendet hat

Stipendien stiften

Mit Spenden aus der Bürgergesellschaft kann die Universität Hildesheim zum Beispiel Stipendien an Studentinnen und Studenten vergeben. Wer die Universität unterstützen möchte, kann sich an Prof. Dr. Martin Schreiner, Vizepräsident für Stiftungsentwicklung, und Markus Langer von der Universitätsförderung wenden (markus.langer@uni-hildesheim.de, 05121.883-90130).

Grundschule: Aufmerksamkeit und Lernen besser steuern

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Viele Grundschulkinder, das haben aktuelle wissenschaftliche Studien gezeigt, leiden gleichzeitig unter Lernstörungen (Lese-Rechtschreibprobleme oder Rechenprobleme) und unter Aufmerksamkeitsstörungen. Diese Kinder haben es in der Schule und auch bei den Hausaufgaben schwer: Eigentlich müssen sie mehr lernen und üben als andere Kinder, denen Lesen, Schreiben und Rechnen keine Probleme bereiten, aber ausgerechnet ihnen fällt es besonders schwer sich zu konzentrieren und ausreichend lange durchzuhalten. So verpassen sie immer wieder wichtige Unterrichtsinhalte und die Lücken und Schwierigkeiten werden immer größer.

Die Hochschulambulanz „Kind im Mittelpunkt“ des Instituts für Psychologie der Universität Hildesheim bietet im Herbst (ab September 2016) zum zweiten Mal ein Projekt für Kinder mit diesen Schwierigkeiten an. Studierende haben unter der Leitung von Professorin Claudia Mähler, Kirsten Schuchardt und Julia Koenigs ein Programm ausgearbeitet, in dem versucht wird, Therapiebausteine zur Steuerung der Aufmerksamkeit und zum Lernen miteinander zu verbinden. In kleinen Gruppen von zwei bis vier Kindern sollen die Kinder üben, ihr Lernen besser zu steuern und dies in den Bereichen Deutsch und Mathematik anzuwenden. Dieses Programm ist eine Kurzintervention mit zehn Sitzungen und kann keine langfristige Lerntherapie ersetzen, sondern vielleicht ein Einstieg in Veränderungsprozesse sein. Für Eltern gehören fünf Informationsabende dazu.

Mit welchen Fragen und Sorgen wenden sich die Familien an die Universität? „Die Kinder profitieren sehr davon, andere zu treffen, die mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben, und das gilt auch für die Eltern. Die Eltern sind sehr dankbar für konkrete Hinweise zum Umgang mit schwierigen Alltagssituationen, zum Beispiel mit den Hausaufgaben“ , so Professorin Claudia Mähler über die bisherige Arbeit in dem Interventionsprojekt. Außerdem sei ein Baustein des Projekts die Verbesserung des Selbstwertgefühls der Kinder, dies sei den Eltern sehr wichtig. Die Arbeit sei ein Gewinn für alle Seiten, so Mähler, auch für die Studierenden, die in dem Projekt praktische Erfahrungen im Umgang mit der Therapie mit Kindern machen und Kenntnisse an Eltern vermitteln.

Universität sucht Familien

Eltern von Kindern im 2. oder 3. Schuljahr mit Lern- und Aufmerksamkeitsschwierigkeiten sind herzlich eingeladen sich umgehend zu melden, wenn sie an einer Teilnahme am Therapieprogramm „Willi Waschbär“ interessiert sind. Eltern können das Team der Hochschulambulanz „Kind im Mittelpunkt“ kontaktieren und sich mit ihren Fragen an Prof. Dr. Claudia Mähler, Dr. Kirsten Schuchardt und Julia Koenigs wenden (Telefon 05121.883-11012, montags bis donnerstags, 13:00 bis 14:00 Uhr, oder per e-mail an kim@uni-hildesheim.de).

Entwicklungsunterschiede besser verstehen: Eine Stadt unter der Lupe – Wie Kinder sich entwickeln

Erfahren Sie mehr über die Forschung am Institut für Psychologie. In einer Langzeitstudie hat ein Team um Professorin Claudia Mähler sieben Jahre lang erfasst, wie Kinder sich entwickeln – von der Kita über die Grundschulzeit bis in die weiterführende Schule. Ohne Familien und ihre Offenheit für Forschung käme die Wissenschaft nicht weiter, sagt die Professorin. Einblicke in das „Koko“-Forschungsprojekt an der Universität Hildesheim. [zum Artikel]

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100)


Politikwissenschaftlerin im Interview

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Das Netz kennt scheinbar keine Grenzen, ist weltumspannend. Wer sich mit den Auswirkungen des Internets auf die Gesellschaft und den Verflechtungen zwischen World Wide Web und Politik befasst, landet früher oder später in einer kleinen Stadt in Niedersachsen.

An der Universität Hildesheim hat Professorin Marianne Kneuer seit 2011 die viel beachtete Arbeitsgruppe „Internet und Politik" aufgebaut. Nun wurde die Professorin zur stellvertretenden Leiterin des Weltverbandes der Politikwissenschaftler gewählt. Im Herbst wird zudem eine Juniorprofessur für Internet und Politik besetzt. Isa Lange sprach mit Prof. Marianne Kneuer über akademische Freiheit, Aufgaben der Politikwissenschaft, Internetkontrolle und regionale Strategien autoritärer Regime.

Nachgefragt bei Professorin Marianne Kneuer

In der  „Internationalen Vereinigung der Politikwissenschaft" (IPSA), dem Weltverband der Politikwissenschaftler, sitzen Sie unter anderem mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Brasilien, Tunesien, Großbritannien, Polen, Dänemark, Südkorea, USA, Frankreich und der Türkei an einem Tisch – Sie kommen gerade vom Jahreskongress aus Polen zurück. Wie ist die Stimmung?

Marianne Kneuer: Die Stimmung auf unserem Weltkongress war etwas gedrückt. Das hatte vielerlei Gründe. Eigentlich sollte der Weltkongress in Istanbul stattfinden. Mit unseren Weltkongressen – alle zwei Jahre in einem anderen Land – wollen wir in die Weltregionen des globalen Südens vordringen. Die Idee war, mit der ersten Konferenz im Nahen Osten ein Signal zu senden. Diese Planungen mussten wir jedoch im Februar kippen – aufgrund der Sicherheitslage, der vermehrten Anschläge und der sich zuspitzenden Situation innerhalb des Landes. Die Verlegung des Kongresses war keine schöne Entwicklung, auch nicht für die vielen türkischen Wissenschaftlerinnen und Wirtschaftler, auch Nachwuchswissenschaftler. Die Kolleginnen und Kollegen der Türkischen Vereinigung für Politikwissenschaft hatten bereits sehr viel Arbeit in den Kongress investiert und mit 4000 eine sehr hohe Anmeldungszahl. Sehr kurzfristig mussten wir den Weltkongress von Istanbul verlegen. Poznan in Polen hat es hervorragend geschafft, in kurzer Zeit diesen Kongress vorzubereiten.
Kurz vor Beginn des Kongresses haben wir dann erfahren, dass Präsident Erdogan ein Ausreiseverbot für Wissenschaftler erlassen hat und hinzu kam der Imperativ an die türkischen Akademiker, die sich im Ausland aufhielten, wieder in das Land zurückzukehren. Das hat dazu geführt, dass 100 bis 200 Wissenschaftler nicht zu unserem Kongress kommen konnten, Auch nach der partiellen Aufhebung des Ausreiseverbotes war die Lage weiterhin unklar. Die Konsequenz: Viele Kolleginnen und Kollegen aus der Türkei konnten nicht nach Polen kommen.

Und die türkischen Wissenschaftler über digitale Medien zuzuschalten, wäre ein vollkommen anderes Gefühl. Solche Kongresse leben davon, dass Sie alle an einem Tisch sitzen, diskutieren können.

Erstens das und zweitens haben sich viele türkische Kolleginnen und Kollegen für einen Vortrag angemeldet, den sie hätten halten wollten, auch über politische Entwicklungen in ihren Land. All das war schon bedrückend. Wir haben im Vorstand des Weltverbandes der Politikwissenschaftler eine Stellungnahme herausgegeben, mit der wir das Fehlen dieser Kollegen bedauern und die türkische Regierung auffordern, sich an den Regeln akademischer und demokratischer Freiheiten auszurichten. In der IPSA sind über 50 nationale politikwissenschaftliche Vereinigungen vernetzt. Man darf nicht aus dem Blick verlieren, dass Probleme der akademischen Freiheit und Probleme der Meinungsfreiheit nicht nur in der Türkei bestehen. Die Türkei ist gerade bedauerlicherweise im Fokus. Aber wir erleben weltweit noch andere und vielfältige Fälle der Verletzungen dieser Freiheiten.

Wie reagiert ein Fachverband auf diese Entwicklung?

Wir nehmen zunehmend wahr, dass akademische Freiheiten und Freiheiten im Allgemeinen verletzt werden. In den letzten drei Jahren haben wir im Weltverband der Politikwissenschaftler in einem inklusiven Prozess, der alle Beteiligten mit einbezogen hat, ein „Mission statement of academic freedom" erarbeitet. Mit diesem Grundlagendokument können wir in grundlegender, aber klarer und konkreter Form eine Handreichung geben an nationale politikwissenschaftliche Vereinigungen und andere Akteure, die sich daran orientieren können. Es ist auch ein Signal, um das Thema in den Fokus zu rücken.

Ein Papier wird die Situation leider nicht verändern und verbessern...

Wir sind auf dem Weltkongress in Pozen einen Schritt weitergegangen. Der Vorstand unter dem neu gewählten Präsidenten – der im Übrigen türkischer Nationalität ist – hat ein ad-hoc-Kommitee gegründet, um akademische Freiheit zu beobachten. Das kann natürlich nicht das Versprechen bergen, etwas konkret bewirken zu können. Wir erarbeiten derzeit Strategien, wie man überhaupt auf Verletzungen akademischer Freiheit reagieren kann. Wie kann man in Einzelfällen Kolleginnen und Kollegen, die unter Druck geraten, helfen, ohne sie gleichzeitig wiederum zu gefährden?

Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich auf solchen internationalen Konferenzen zum Beispiel?

Auf dem Kongress ging es in diesem Jahr um Ungleichheit: „politics in a world of inequality". Das Besondere an der IPSA, im Gegensatz zu regionalen Organisationen, ist, dass wir Wert darauf legen, möglichst alle Weltregionen in den vielen Hunderten Vorträgen und Diskussionen zu berücksichtigen. Es ging um wirtschaftliche Ungleichheit, aber auch um Ungleichheit in Bezug auf Geschlechter und Minderheiten, also innergesellschaftliche Ungleichheiten.

Eine portugiesische Professorin der Musikethnologie hat vor kurzem auf einem internationalen Doktorandenworkshop am Hildesheimer Center for World Music dafür plädiert, dass Wissenschaftler ihre Erkenntnisse stärker teilen sollten, etwa ihr Wissen über Kulturpolitik und kultureller Bildung. Denn Musik sei ein Element, um den Aufbau von Gemeinschaften zu ermöglichen. Welche Rolle nehmen Politikwissenschaftler in der Gesellschaft ein – wie können Sie Erkenntnisse teilen?

Optimalerweise sollten Politikwissenschaftler in die Öffentlichkeit, aber auch in die Politik hinein wirken und das anstreben. Die Politikwissenschaft versteht sich neben ihren Aufgaben der Analyse und Deskription und der Erklärung von politischen Phänomenen als eine anwendungsorientierte Wissenschaft. Es wäre wünschenswert, dass Ergebnisse und Expertisen aus der Forschung auch in die konkrete Politik hineinwirken und wahrgenommen werden von der Politik. Diese Verbindungslinien sind unterschiedlich, in den USA ist das eher üblich. Es gibt eine größere Durchlässigkeit von politischen Positionen und politikwissenschaftlichen Aufgaben. Wissenschaftler werden in die Regierung berufen oder Politiker werden später an Universitäten berufen. Condoleezza Rice, zunächst Sicherheitsberaterin, dann später Außenministerin der Vereinigten Staaten, ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Stanford. Das gleiche gilt für den Politikwissenschaftler Zbigniew Brzeziński, er war in den 70er Jahren Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter, oder den ehemaligen Außenminister Henry Kissinger, auch er ist Politikwissenschaftler. In Deutschland gibt es diese Durchlässigkeit in dem Maße nicht.

Die gleiche Frage kann man an Bürgerinnen und Bürger richten: Hat jemand auf der Straße Interesse an Erkenntnissen aus der Politikwissenschaft? Liegt nicht eine große Chance darin, durch politikwissenschaftliche Beschreibung der Faktenlage und Erläuterung der komplexen Entwicklungen Vorurteilen und den schnellen schwarz-weiß-Bildern entgegenzuwirken, um Entwicklungen differenzierter zu betrachten?

Das ist richtig. Aber wir müssen als Politikwissenschaftler auch selbstkritisch darauf achten, dass wir unsere Ergebnisse und die daraus erwachsenden Botschaften auch so an die Öffentlichkeit oder Politik vermitteln, dass sie verständlich sind und ihre Relevanz deutlich wird. Da sind uns die amerikanischen Kollegen ein Stück voraus. Gerne sind deutsche Wissenschaftler dafür bekannt, dass sie lieber kompliziert als öffentlichkeitswirksam ihre Erkenntnisse vermitteln. Ich will damit nicht sagen, dass die Botschaften verkürzt oder vereinfacht werden sollten, aber wir müssen natürlich eine Sprache finden, mit der wir mit unseren Ergebnissen in der Öffentlichkeit ankommen können.

Der politikwissenschaftliche Weltverband nutzt auch das Netz, um Wissen zu teilen und bietet Online-Kurse an, etwa zu politischen Systemen im Vergleich und politischen Theorien. Sie haben einen Online-Kurs zu Demokratien und Autokratien erarbeitet, der in Kürze startet.

Wir möchten einen Einstieg in die Wissenschaft geben. Die Onlinekurse, sogenannte MOOCs, können jetzt erstmals eingesehen werden. Gerade junge Erwachsene und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler insbesondere aus dem globalen Süden, die nicht die Ressourcen haben, an Universitäten dauerhaft zu studieren, möchten wir ansprechen und ihnen die Möglichkeit geben, zu studieren und sie für die Politikwissenschaft interessieren. Sie finden Zugang zu wissenschaftlichen Fragen. Die Online-Kurse sind kostenlos.

Mit welcher Forschungsfrage beschäftigen Sie sich an der Universität in Hildesheim? Derzeit läuft ein DFG-Projekt zu Gravitationszentren autoritärer Herrschaft.

Seit einigen Jahren haben wir beobachtet, dass autoritäre Staaten zunehmend Einfluss gewinnen und gewinnen wollen in ihrer direkten regionalen Nachbarschaft. Das gilt für bestimmte Weltregionen wie zum Beispiel Zentralasien, Naher Osten und Südamerika um Venezuela, wo solche autoritären Cluster bestehen. Wir fragen uns in dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG geförderten Projekt: Was steckt dahinter? Und führen mittels der Metapher des autoritären Gravitationszentrums ein neues Konzept ein. Demnach gibt es autoritäre Staaten, die entweder bewusst und aktiv autoritäre Elemente in ihre direkte Nachbarschaft exportieren oder die von den Staaten in ihrer Nachbarschaft als Vorbilder empfunden werden, weswegen die Nachbarstaaten die autoritären Elemente übernehmen.

Welche Elemente autoritärer Regime werden zum Beispiel verbreitet?

Gerade in Lateinamerika beobachten wir, dass Präsidenten auf nicht immer verfassungsgemäße Weise ihre Amtszeiten verlängert haben. Normalerweise haben sie eine oder zwei Amtszeiten und keine Möglichkeit der Wiederwahl. Diese Regeln bröckeln langsam: Hugo Chávez hatte damit in Venezuela angefangen, die Präsidenten in Ecuador, Bolivien und Nicaragua haben dann ähnliche Regelungen übernommen, was dazu führt, dass Präsidenten jetzt sehr lange im Amt sein können. Wir prüfen sehr viele Beispiele ab. Ein anderes Beispiel sind Techniken der Medien- und Internetkontrolle, die sich gerne verbreiten, die weitergegeben oder abgekupfert werden. Entweder wird solche Expertise von Internetkontrolle oder Internetzensur exportiert oder es gibt Länder, die ihr Internet „besser in den Griff kriegen wollen" und nach Modellen suchen, wie das gelingt. Wir versuchen herauszufinden, welche Wege dominieren. Im Herbst gehen unsere Mitarbeiter zu Feldforschungsaufenthalten in den Nahen Osten und nach Lateinamerika.

Sie haben an der Universität in Hildesheim die Arbeitsgruppe „Internet und Politik" aufgebaut und zum Beispiel untersucht, welche Rolle soziale Medien in Protestbewegungen spielen. Sie haben in den vergangenen Jahren renommierte Wissenschaftler nach Hildesheim holen können.

Wir stellen uns derzeit neu auf: Im Herbst wird die Juniorprofessur für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Internet und Politik nach einjähriger Vakanz wiederbesetzt. Im Oktober 2016 beginnt der Heidelberger Politikwissenschaftler Dr. Wolf Schünemann mit seiner Forschung und Lehre zu Netzpolitik an der Universität Hildesheim.

Welcher Frage gehen Sie zum Beispiel nach? In Hildesheim haben Sie untersucht, wie auf lokaler Ebene das Netz genutzt wird, um eine Plattform für mehr Mitsprache zu bieten.

Ich untersuche derzeit, wie E-Government- und E-Participation-Elemente genutzt werden. Mit ihnen können Regierungen ihre Verwaltung effektiver gestalten oder ihre Bürger stärker in Partizipationsprozesse einbeziehen, was zum Beispiel mit dem Bürgerhaushalt auch in Hildesheim versucht wurde. Ich untersuche, wie sich solche Instrumente global verbreiten. Wo sind Vorreiter, welche Länder übernehmen schneller und aktiver Elemente wie E-Government und E-Participation? Interessant ist etwa, dass Südkorea seit einigen Jahren hierbei führend ist.

Die Fragen stellte Isa Lange.

Zur Person: Politikwissenschaftlerin Marianne Kneuer

Prof. Dr. Marianne Kneuer ist seit 2011 Professorin für Politikwissenschaft am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim. An der Universität Hildesheim hat sie den Forschungsschwerpunkt „Politik und Internet“ etabliert.

Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der Demokratie-, Europa- und Autokratieforschung und vergleichenden Regimeforschung. Regionale Schwerpunkte sind Süd- und Osteuropa. 2016 hat Marianne Kneuer gemeinsam mit Hans-Joachim Lauth und Gert Pickel das knapp 1000 Seiten starke „Handbuch Vergleichende Politikwissenschaft" (Springer Verlag) herausgegeben.

Professorin Marianne Kneuer ist die deutsche Vertreterin in der Weltvereinigung für Politikwissenschaft, der „International Political Science Association" (IPSA), und wurde am 28. Juli 2016 erneut in das „Executive Committee" gewählt. Zudem wurde sie zur Stellvertreterin des ebenfalls neu gewählten IPSA-Präsidenten Prof. Dr. Ilter Turan (Bilgi Universität Istanbul) ernannt.

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100)

Delwin-Ensemble aus Teheran spielt im Center for World Music

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Am Samstag, 17. September 2016, ist das Delwin-Ensemble zu Gast an der Universität in Hildesheim. Die professionell ausgebildeten Musikerinnen Shilan Ardalan (Instrument: Setar), Maryam Khoda Bakhsh (Ud), Solmaz Badri (Gesang), Azadeh Shams (Gheychak) und Maryam Molla (Tombak) interpretieren ein klassisches persisches Dastgah-Repertoire sowie Kompositionen von berühmten iranischen Komponisten des 20. Jahrhundert. Gedichte aus der Sufi-Tradition und Liebeslyrik vertonen die Musikerinnen mit eigenen Kompositionen. Außerdem spielen sie einige kurdische Volkslieder. Unter dem Namen „Delwin“ („Folge Deinem Herz“) gründeten die fünf Musikerinnen aus Teheran 2015 ein Ensemble.

„Das Konzert in der Universität in Hildesheim ist eine gute Gelegenheit, iranische Musik zu präsentieren", sagt die Setar-Spielerin Shilan Ardalan. Die Zuschauer können etwas über das Musikleben der Frauen im Iran erfahren. Die Musikerinnen des Delwin-Ensembles haben an Universitäten in Teheran studiert, einige von ihnen spielen im iranischen National-Orchester oder sind als Musiklehrerinnen tätig. „Die Frauen dürfen im Iran vor öffentlichem Publikum nicht solo singen. Dies führte zu einem Umbruch im Instrumentalbereich. Die Zahl der Musikerinnen – besonders Instrumentalistinnen – hat in den letzten 20 Jahren stark zugenommen", sagt Azadeh Shams. Zuhörer reagieren unterschiedlich auf ihre Musik. „Wir sind gespannt auf die Reaktion während des Hildesheimer Konzerts. Die Liebeslyrik der alten persisch-sprachigen Dichter inspiriert uns."

Das Konzert beginnt am 17. September 2016 um 19:00 Uhr im Center for World Music der Universität Hildesheim (Schillstraße/Ecke Timotheusplatz, 31141 Hildesheim). Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten. Interessierte sind herzlich eingeladen.

Das Center for World Music der Universität Hildesheim ist Mitveranstalter des diesjährigen dastgah-Musikfestivals, ein Festival zeitgenössischer iranischer Musik, Literatur, Kunst und Filmkunst. Zu einem weiteren Konzert des Delwin-Ensembles lädt das Center am Sonntag, 18. September 2016, im Sprengel Museum Hannover ein (Beginn ist um 19:00 Uhr, Eintritt 15 Euro, ermäßigt 8 Euro). Ein weiteres Konzert findet bereits am 16. September auf Schloss Landestrost in Neustadt am Rübenberge statt (ab 20:00 Uhr). Weitere Informationen zum Festival findet man online. Wer sich auf der Gästeliste eintragen und kostenfreie Sitzplätze für die Konzerte sichern möchte, kann sich an Morena Piro (piromo[at]uni-hildesheim.de) wenden. Außerdem musizieren die Musikerinnen mit Kindern und Erwachsenen in zwei Flüchtlingsunterkünften in Hannover und Hildesheim.

Hintergrund:

Musik erhalten und zugänglich machen

Das Center for World Music der Universität Hildesheim ist als einziger Partner aus Deutschland an der Digitalisierung von Musikarchiven in Iran beteiligt.

Das Center for World Music der Universität Hildesheim sichert mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes und Partnern vor Ort Musikarchive im Ausland. Bisher haben die Musikethnologen Sammlungen aus Sierra Leone und Malawi digitalisiert und katalogisiert; in Ägypten und Ghana konnten physisch in ihrem Fortbestand gefährdete Tondokumente gesichert werden. Darunter sind liturgische Gesänge der koptischen Kirche aus Kairo und frühe Highlife-Aufnahmen aus den Archiven der Ghana Broadcasting Corporation in Accra. Ein Forscherteam der Universitäten Maiduguri und Hildesheim digitalisiert derzeit Musik der Dörfer in Nordostnigeria. In Vorbereitung sind Projekte in Jamaika, Peru und Tadschikistan.

Tango, Punk, Klassik, Volkslieder: Aktuell läuft eine Kooperation mit dem Musikmuseum in Teheran, Iran. Ein Team um den Musikethnologen Professor Raimund Vogels digitalisiert Radiomitschnitte, Tonbänder und Schallplatten aus 100 Jahren iranischer Musiktradition, darunter die ersten Aufnahmen iranischer Sängerinnen. 1906 wurden die ersten Schallplatten in Teheran aufgenommen – und in Hannover gepresst. Emil Berliner hatte wenige Jahre zuvor mit der Massenproduktion der Scheiben in der Grammophon-Firma begonnen.

Die Zeugnisse der Musikgeschichte sind weltweit recherchierbar. Die Forscher des Center for World Music stellen Materialien Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Musikerinnen und Musikern sowie Lehrerinnen und Lehrern in digitaler Kopie zur Verfügung. Wer sich für das Projekt interessiert, kann sich an die Forscher wenden (E-Mail cwm[at]uni-hildesheim.de).

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100)

Wissen für die Gesellschaft: Wissenschaftliche Vielfalt pflegen

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Die Generalversammlung der Görres-Gesellschaft findet in diesem Jahr auf Einladung von Universitätspräsident Professor Wolfgang-Uwe Friedrich in Hildesheim statt. Vom 17. bis 20. September 2016 tagen rund 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Universität Hildesheim [zum Konferenz-Programm]. Die Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft ist eine der ältesten deutschen Wissenschaftsgesellschaften. Die Generalversammlung der 1876 gegründeten Gesellschaft tagt zum 119. Mal und zum insgesamt vierten Mal in Hildesheim.

Das Treffen der mitgliederstärksten Vereinigung von Wissenschaftlern im deutschsprachigen Raum beginnt mit einem öffentlichen Festakt, nach dem feierlichen Pontifikalamt mit Bischof Norbert Trelle. Die Festrede wird der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Professor Thomas Sternberg, halten. Den Ehrenring der Görres-Gesellschaft erhält der Bioethiker Professor Ludger Honnefelder. Laudator ist der Theologe Professor Christoph Markschies, ehemals Präsident der Humboldt-Universität Berlin.

Anschließend folgen rund 100 Vorträge aus den einzelnen wissenschaftlichen Sektionen. Die Themen bilden die gesamte Palette der wissenschaftlichen Vielfalt der Görres-Gesellschaft ab. In der Sektionssitzung für Kunstgeschichte geht es ausschließlich um die Hildesheimer Domkunst aus dem 12. und 13. Jahrhundert und den restaurierten Dom. Die Sektion für Philosophie befasst sich mit Fragen der Menschenwürde und Menschenrechte, die Sektion für Pädagogik mit dem Verständnis von Kultur in Zeiten kultureller Diversität und die Sektion für Politische Wissenschaft mit populistischen Tendenzen jüngster Wahlen.

Am Tagungsprogramm sind auch mehrere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Hildesheim beteiligt. Professorin Meike Baader spricht über Kindheit und Diversität, Professorin Marianne Kneuer über „EU-Skeptizismus als aktuelle Konfliktlinie“ und Rolf Elberfeld, Professor für Philosophie, über die „Vielfalt der Kulturen“.

In weiteren Sektionen stehen tagesaktuelle Themen im Vordergrund. So beschäftigt sich die Sektion für Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie zusammen mit der Sektion Medizin mit dem Thema Aggression, Gewalt und Terror und deren Ursachen. Die Sektion für Rechts- und Staatswissenschaft stellt das Thema Migration und die Herausforderungen für das Recht in den Mittelpunkt ihrer Vorträge und Diskussionen.

Die Tagung ist öffentlich, an den Sektionssitzungen können sich Interessierte aus der Stadt Hildesheim und Umgebung, insbesondere Lehrende und Studierende der Universität Hildesheim, beteiligen.

EU-Projekt: Wie gehen wir mit Vielfalt und Konflikten um?

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Hildesheimer Erkenntnisse in der Bildungsforschung kommen in der Ukraine, Weißrussland und Russland an: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Hildesheim, Bremen, Wien, Helsinki und Rom arbeiten gemeinsam mit Hochschulen aus Russland, der Ukraine und Weißrussland an Wegen, wie „Diversity“ in der Aus- und Weiterbildung von Pädagogen und Bildungsmanagern in den östlichen Ländern berücksichtigt werden kann. Auch eine Schule in St. Petersburg und ein Kinderheim in Kiew gehören zu den Projektpartnern.

Zunächst haben Soziologen in den Städten der beteiligten Hochschulen erfasst, was den Eltern – etwa in St. Petersburg, Welikij Nowgorod, Tjumen, Kiew, Minsk, Witebsk, Berdjansk und Khmelnitzkij – wichtig ist. Was erhoffen sie sich in Bezug auf Umgang mit Vielfalt? Dann wurden Schulungsinhalte für Sozialpädagogen, Erzieher und Lehrer erarbeitet. Auch Mitarbeiter aus Behörden (Kommune, Stadt, Sozialamt, Migrationsdienst u.a.) profitieren von der Weiterbildung. Außerdem wurden Studentinnen und Studenten aus den Bereichen Lehramt, Pädagogik, Sozialpädagogik sowie Doktoranden erreicht. „Wir beraten die Hochschulen und begleiten sie dabei, ihre Curricula in den Studiengängen zu modernisieren. Wie können Lehrer mit physischen Beeinträchtigungen, Sprachproblemen, mit kultureller und sozialer Vielfalt, mit Hochbegabung professionell umgehen?“, erläutert Projektleiterin Olga Graumann. Man wolle in der „länderübergreifenden Vernetzung voneinander lernen“, sagt die emeritierte Hildesheimer Professorin. Gemeinsam wurden Lehrbücher zu Vielfalt in der Pädagogik und im Bildungsmanagement verfasst.

Das Projekt „Aus- und Weiterbildung für Pädagogen und Bildungsmanager im Bereich Diversity" wird seit 2013 bis Ende 2016 mit rund 1,2 Millionen Euro von der Europäischen Kommission gefördert, über 900 Anträge wurden eingereicht – nur 13 Anträge von deutschen Hochschulen wurden bewilligt.

Hildesheim wurde ausgewählt, da die Universität umfassende Erfahrungen im Umgang mit Vielfalt nachweisen kann. So gehen Lehramtsstudierende zum Beispiel in Schulen in Hildesheim und Hannover und begleiten Lernprozesse von Kindern unterschiedlicher Herkunftssprachen. Die Studentinnen und Studenten sammeln dabei wertvolle praxisnahe Erfahrungen im Umgang mit Mehrsprachigkeit, Diagnostik und im Kontakt zu Eltern.

Um Diskriminierungen von Menschen abzubauen, um eine möglichst chancengerechte Entwicklung aller zu ermöglichen, könne man gerade im Bildungsbereich ansetzen, so die Erziehungswissenschaftlerin. „Die Pädagogik und Bildungspolitik sind aufgerufen, den Bereich Diversity in den Mittelpunkt ihrer Zielsetzung zu stellen.“ Die Folgekosten gescheiterter Biografien seien auf Dauer höher als die Investitionen in eine gute Erziehung und Bildung, sagt Graumann.

Konferenz: Vielfalt und Demokratie

Ergebnisse aus der Forschung diskutieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der internationalen Konferenz „Vielfalt und Demokratie" an der Universität Hildesheim.

Vom 13. bis 16. September 2016 kommen Wissenschaftler zur internationalen Konferenz „Vielfalt und Demokratie – Identitätssuche in unübersichtlichen Zeiten" an der Universität Hildesheim zusammen. Migration ist keineswegs eine neue Zeiterscheinung, so die Konferenzleiterin Professorin Olga Graumann. In den letzten Jahren zeigt sich, dass sich die Vielfalt an Ethnien durch Kriege, Vertreibungen und wirtschaftliche Not in vielen Ländern in einem bis dahin nicht gekannten Maße erhöht und Sorge und Unsicherheit ausgelöst hat, sagt die Erziehungswissenschaftlerin der Uni Hildesheim.

Auf der Hildesheimer Konferenz tauschen sich etwa 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Pädagogik, Soziologie und Psychologie über Diversity und Vielfalt, Bildung, Demokratie und Identität aus.

In Hauptvorträgen setzen sie sich mit aktuellen Fragen in den  Themenfeldern „Kulturelle Vielfalt als Herausforderung für die Demokratie: Was kann Bildung leisten?", „Dialog von Kulturen und Identität", „Diversity als Herausforderung in Bildungsprozessen und für Bildungsmanagement" auseinander. Den Eröffnungsvortrag über Vielfalt und Demokratie hält Professorin Rita Süßmuth, Bundestagspräsidentin Deutschland a.D. Anschließend spricht Hannes Schammann, Juniorprofessor für Migrationspolitik an der Universität Hildesheim, zum Thema „Der Zweifel ist systemrelevant. Debatten um Migration und Vielfalt in demokratischen Gesellschaften". Weitere Vorträge halten Wissenschaftler aus Welikij Nowgorod, Antalya und Smolensk.

Im Rahmen der Podiumsdiskussion „Vielfalt und Demokratie – Was kann Bildung beitragen?“ diskutieren Professor Wolfgang-Uwe Friedrich (Präsident der Universität Hildesheim, Deutschland), Professorin Olga Gurenko (Universität Berdjansk, Ukraine), Professorin Elke Hildebrandt (Pädagogische Hochschule Nordwest-Schweiz, Schweiz), Professor Evgenij Kodin (Rektor der Universität Smolensk, Russland), Professor Andrej Manastyrny (Rektor der Akademie für Weiterbildung Minsk, Weißrussland) und Professorin Ilze Mikelsone (Universität Liepaja, Lettland).

Der Kongress ist eine gemeinsame Veranstaltung der International Academy for the Humanization of Education (IAHE), und des EU-Projektes „Aus- und Weiterbildung für Pädagogen und Bildungsmanager im Bereich Diversity". An der Konferenz nehmen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, Finnland, Italien, Kanada, Lettland, Norwegen, Österreich, Russland, Schweiz, Türkei, Ukraine, Weißrussland teil. Mit der Tagung soll der Wissenschaftstransfer im Bildungsbereich zwischen europäischen (West-, Mittel- und Osteuropa) und außereuropäischen Ländern gestärkt werden. Die IAHE wurde vor 20 Jahren gegründet und hat 200 Mitglieder aus 20 Ländern.

Die Konferenz ist öffentlich. Wer Fragen zur Konferenz hat, kann sich an Olga Pletenets (pletenets.olga@gmail.com) oder Prof. Dr. Olga Graumann (jaugrau@uni-hildesheim.de) wenden.

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100)

Universitätsgesellschaft ehrt Forscher und Musik-Dozenten

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„Mit den Preisen möchten wir Aufmerksamkeit schaffen für Personen aus der Universität, die mit ihren kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen unsere Stadt bereichern“, sagt Dr. Rainer Hermeling, Vorsitzender der Universitätsgesellschaft. Professor Kristian Folta-Schoofs und die Dozenten Jan Hellwig und Willfried Beck „bauen täglich Brücken zwischen Universität und Stadt Hildesheim“. Der Preis ist mit jeweils 1000 Euro dotiert. Die Stadt Hildesheim könne „stolz sein auf ihre Uni und auf die Menschen, die hier arbeiten, lehren, forschen“, so Hermeling. „Wir möchten mit dem Preis wertschätzen und sichtbar machen, was Lehrende und Studierende für die Stadt Hildesheim leisten.“

Die Universitätsgesellschaft trägt dazu bei, dass Bürgerinnen und Bürger mit Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ins Gespräch kommen. Der Verein fördert Projekte und Leistungen von Studierenden und unterstützt Forschung und Lehre. So wurde in diesem Jahr zum Beispiel ein Konzert von Studierenden am Center for World Music unterstützt. Außerdem lädt die Universitätsgesellschaft zu öffentlichen Vorträgen ein – Physikprofessorin Ute Kraus hat etwa neulich über die Relativitätstheorie und ihre Arbeit in der „Raumzeitwerkstatt" gesprochen. In diesem Uni-Labor erklärt eine Arbeitsgruppe Kindern und Jugendlichen die Relativitätstheorie und visualisiert physikalische Erkenntnisse in Computersimulationen und Experimenten. „An der Universität findet faszinierende Forschung statt, wir möchten dazu beitragen, dass die Hildesheimer Öffentlichkeit mit Wissenschaftlern ins Gespräch kommt“, so Hermeling. Wer Fragen zur Universitätsgesellschaft Hildesheim hat, kann sich an Dr. Rainer Hermeling wenden.

Wer sind die diesjährigen Preisträger?

Hier erhalten Sie einen Einblick in die Arbeit von:

  • Prof. Dr. Kristian Folta-Schoofs
  • Jan Hellwig und Willfried Beck

Forschungserkenntnisse aus dem Neurolabor landen in der Stadt

Die Universitätsgesellschaft Hildesheim zeichnet Professor Kristian Folta-Schoofs für sein „besonderes Engagement und seine herausragende Leistung zur Gestaltung einer offenen Bildungsgesellschaft zwischen Universität und Öffentlichkeit“ aus.

Kristian Folta-Schoofs forscht und lehrt seit 2008 an der Universität Hildesheim, zunächst als Juniorprofessor, seit 2013 als Universitätsprofessor für Neurodidaktik. Am Institut für Psychologie hat der Wissenschaftler die Arbeitsgruppe „Neurodidaktik“ aufgebaut und beschäftigt sich in der Forschung und Lehre mit der Informationsverarbeitung des menschlichen Gehirns und mit Lernumgebungen. Mit seinem Team trägt Folta-Schoofs Forschungserkenntnisse in die Stadt und in die Öffentlichkeit. So arbeitet er seit 2015 mit dem Medizinischen Dienst der Diakonie Himmelsthür im Projekt „Training von EEG-basiertem Neurofeedback zur Verbesserung der Teilhabe von schwerstbehinderten Kindern und Jugendlichen“ zusammen.

„Wir schulen Studentinnen und Studenten in EEG-Neurofeedback-Techniken, bevor sie mit dauerbeatmeten und schwerstbehinderten Kindern im Haus Arche der Diakonie Himmelsthür diese Techniken in geeigneter Weise trainieren. Auf diese Weise können wir eine gedankenbasierte einfache Kommunikation, zum Beispiel zur Schmerzmitteilung, herstellen“, erläutert Kristian Folta-Schoofs. „Die Erfahrungen im Projekt dienen der kontinuierlichen technischen Weiterentwicklung eines EEG-basierten Neurofeedbacksystems, das an die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit schwersten Behinderungen angepasst ist.“

Bei Neurofeedback handelt es sich um eine Methode, „bei der wir neurale Ableitungen, meist Elektroenzephalografie, kurz EEG, nutzen, um etwas zu steuern“, sagt Dr. Jasmin Kizilirmak, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe „Neurodidaktik“. So könne man auf diesem Wege Personen beibringen, einen Cursor auf einem Bildschirm zu steuern oder einen Heißluftballon auf und ab fliegen zu lassen. „Wir messen Hirnströme, über die wir dem Probanden in Echtzeit Feedback geben. Wir zeigen ihnen in der Regel eine Animation auf einem Bildschirm, die mit einem bestimmten EEG-Maß gekoppelt ist und sich entsprechend bewegt. Alle Probanden entdecken in der Regel für sich selbst Methoden, wie sie dies bewerkstelligen. Viele können es nicht einmal in Worte fassen. Es handelt sich meist um einen unbewussten Lernvorgang. Mit anderen Worten: Die Probanden können dann zwar mit der Zeit bewusst den Heißluftballon steuern, aber nicht immer genau sagen, wie sie das bewerkstelligen“, sagt Jasmin Kizilirmak.

Die technische Weiterentwicklung erfolgt in Kooperation mit dem Unternehmen Meditech Electronic, das das Projekt finanziell und technisch unterstützt. Zudem arbeiten die Wissenschaftler mit einem Team des „MedAppLab“ der Medizinischen Hochschule Hannover zusammen. „Das Team aus Hannover entwickelt eine technische Lösung für das Einlesen und Auswerten unserer EEG-Daten in und durch ein Smartphone, über das dann später die Rückmeldung der Gedanken erfolgen soll“, sagt Folta-Schoofs.

„Gute Erinnerungen schaffen“ – Uraufführungen am laufenden Band, seit 20 Jahren

Sie musizieren mit Intensität, statt an der Oberfläche zu kratzen: Junge Musikerinnen und Musiker aus der Universität begeistern Hildesheimer Bürger seit 20 Jahren mit Konzerten, mitten in der Stadt. Die beiden Musikdozenten Jan Hellwig und Willfried Beck schaffen den Rahmen für dieses immerwährende Experiment. Für ihre Arbeit werden die beiden Dozenten mit dem Preis der Universitätsgesellschaft Hildesheim ausgezeichnet.

Mit dem Preis zeichnet die Universitätsgesellschaft „das besondere Engagement" der beiden Dozenten und ihre „herausragende Leistung zur Gestaltung einer offenen Bildungslandschaft zwischen Universität und Öffentlichkeit" aus.

Seit 20 Jahren organisieren Jan Hellwig und Willfried Beck vom Musik-Institut der Universität Hildesheim Konzertreihen, jeweils unterstützt von Studententeams, zum Beispiel die Reihe „Bühne frei!“ und das „Wandelkonzert“. „Wir gehen raus in die Stadt, um unser Repertoire an den verschiedenen Weltkultorten den Bürgern und Gästen der Stadt Hildesheim zu präsentieren. Es kann ja nicht sein, dass die jungen Musikerinnen und Musiker nur für die Prüfung an unserem Institut üben“, sagt Jan Hellwig.

„Wir wollen jeweils etwas Einzigartiges schaffen, jede Veranstaltung ist daher quasi eine Premiere. Es entstehen Unikate für die Stadt. Die Konzerte sind ein Weg, um Verbindungen in die Stadt zu schaffen“, ergänzt Willfried Beck. Die Spielorte sind besonders, zum Beispiel die Konzerte im Weltkulturerbe Dom und Michaelis sowie im Roemer- und Pelizaeus-Museum – die Institutionen unterstützen das Uni-Langzeitprojekt mit Offenheit und Vertrauen in die Ideen der jungen Musiker. „Man kann Ort und Zeit vergessen, wenn man den Klängen der Vortragenden lauscht. Im Museum haben wir unter Absprache einen großen Freiraum, und Support vom Wachmann bis zur Direktorin, das ist genial. Wir dürfen den Flügel vor Ort nutzen, uns mit Aktionen in den verschiedenen Museumsbereichen bewegen“, berichtet Hellwig. Die Musikerinnen und Musiker reisen auch zu Konzerten nach Alfeld, nach Gronau, nach Sarstedt. Musik kann auch dort sein, „wo man sie nicht vermutet, wir haben auch in Filialen der Sparkassen gespielt, dann kommt jemand herein und möchte eigentlich nur Geld abheben und stolpert über unsere Klänge“, erinnert sich Beck.

Hellwig ist seit 1989, Beck seit 1984 an der Universität, „jetzt im 64. Semester“, lacht Willfried Beck. „Musik bedeutet, etwas zusammen zu schaffen. Sowohl mit Studierenden als auch mit den Kollegen erlebe ich eine sehr haltbare Zusammenarbeit. Von den Studierenden kommt das Frische, von uns Dozenten kommt das Konstante“, sagt der Instrumentallehrer für Saxophon.

Warum die Musikdozenten seit Jahrzehnten solche Konzertreihen mit Studierenden organisieren? Willfried Beck beschreibt das Anliegen so: „Die Konzerte sind eine Form, um die Leistung der Studierenden sichtbar zu machen und das Glück der Musik zu teilen. Und für die Studierenden selbst ist ein Konzert ein Weg, um sich zu prüfen. Das setzt voraus, dass man sich auch wirklich einbringt.“

Die Studentinnen und Studenten zeigen, welches Spektrum mit einzelnen Instrumenten möglich sei. Wer Konzerte organisiert, der könne „immer wieder Pionier sein, muss aber auch die Baustellen erkennen“, sagt Jan Hellwig. „Ich finde es cool, wenn man sich immer wieder neuen Herausforderungen stellt. Die Studentinnen und Studenten begeistern mich einfach.“ Und so entstehen in jedem Semester Uraufführungen. Mit ihren Seminaren möchten die beiden Dozenten „gute Erinnerungen schaffen“, sowohl für die Zuhörer, als auch für die beteiligten Musiker. Hellwig erinnert sich an ein Experiment in einer alten Scheune in Bodenburg (bekannt als „Bullenstall“, heute als Kunstgebäude im Schlosshof Bodenburg), drei Tage habe man dort gewohnt, geprobt, Stücke von Pink Floyd aufgeführt. Musik, sagt Hellwig, könne Aufbruchstimmung erzeugen. „Man kann Emotion zeigen, dabei kann man auch mal Scheitern, aber man kann auch besondere Momente zu schaffen. In dem Moment, wo etwas entsteht, wird es verletzbar. Manchmal entstehen Momente, die verzaubern. Und dann wieder muss man die Entzauberung, das Scheitern aushalten; hinterfragen, was man mit Leidenschaft tut. Jede Musik, auch Unterhaltung, braucht einen ernsthaften Künstler, eine ernsthafte Auseinandersetzung.“

Jedes Semester sei vollkommen neu, sagt Jan Hellwig. „Die Konstellation der Studentinnen und Studenten ist entscheidend. Wir machen kein Malen-nach-Zahlen. Die Ideen, die man hat sind der Motor. Das Ausprobierenkönnen ist wichtig. Und trotzdem wissen wir mit jedem Semesterbeginn: Das, was wir tun, bringen wir in die Realität, in die Gesellschaft. Wir wollen die Leidenschaft, die in der Musik entsteht, transportieren. Wir möchten auch Grenzen verschieben, im positiven Sinne: Ich werde zum Beispiel keine Obertöne wahrnehmen und damit spielen, wenn ich nicht mit Ihnen experimentiert habe.  Ich brauche jemanden, der mich auf verrückte Art verzaubern kann, neugierig machen kann. Computer sind dazu nicht geeignet, sie machen alles richtig. Das Exakte ist Musik ja gerade nicht. Musiker ziehen und verlängern auch mal Tonhöhen und Tonlängen. – Ein Verbiegen der Zeit für zum Beispiel Harmonien und Melodieverlauf.“

Hellwig unterstreicht die Bedeutung von Musiklehrerinnen und Musiklehrern, er selbst hatte einen tollen Klavierlehrer, „er hat die Autonomie in Gang gebracht, die man als Musiker und auch als Mensch haben sollte“. Nach Stationen in Hannover, Triest, Stuttgart und Jerusalem unterrichtet Hellwig seit 1989 an der Uni in Hildesheim. Die Stärke der Ausbildung in Hildesheim sei die Kombination aus Theorie und praktischem Tun. „Man kann dem Charakter der jungen Menschen folgen und sie bestärken. Es gibt auch Institutionen, die Talente kaputt machen.“ Studierende aus den Musikwissenschaften haben extra Ensembles gegründet, entdecken in solchen Konzertprojekten neue Konstellationen und die Stärken der anderen Kommilitonen. Eine Absolventin arbeitet im Jugendsymphonie-Orchester, eine leitet ein Künstlerbüro, ein anderer hat ein professionelles Jazz-Quintett gegründet.

Musik, sagt Hellwig, sei „das Momentane, das entsteht und dann wieder vergeht“, ein Beziehungsgeflecht zwischen Zeit, Raum und Klang. Mitten in Hildesheim. Seit über 20 Jahren. Man muss die Klänge nur hören, aufsuchen, wahrnehmen.

Tipp: Wer erfahren möchte, wann die nächsten Konzerte stattfinden, kann eine E-Mail schreiben an: info@buehnefrei.net.

Preisverleihung im Center for World Music

Die öffentliche Preisverleihung findet am Mittwoch, 28. September 2016, im Center for World Music der Universität Hildesheim statt. Die Musikerin und Hildesheimer Musikstudentin Min Chen begleitet die Feierstunde musikalisch. Interessierte Lehrende und Studierende sowie Bürger aus der Stadt sind herzlich eingeladen.

Lehramtsfach Deutsch – Masterstudium an der Uni Hildesheim

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Die Universität Hildesheim sucht die künftigen Lehrerinnen und Lehrer. Eine Bewerbung für ein Masterstudium ist derzeit noch möglich. Hildesheim bildet mit etwa 2600 Studierenden rund ein Drittel der niedersächsischen Grund-, Haupt- und Realschullehrer aus. Die Universität verbindet Schulpraxis und Theorie und arbeitet mit Partnerschulen in Hildesheim, Hannover und der Region zusammen.  Schwerpunkte in der Lehrerausbildung liegen in den Bereichen Deutsch als Zweitsprache, Individuelle Förderung und Umgang mit Vielfalt im Klassenzimmer.

Lehramt studieren – eine Online-Bewerbung ist noch möglich: Studieninteressierte können sich für einen Studienplatz im Masterstudium bewerben. Lehramtsstudierende können sich in Hildesheim im Bereich „Deutsch als Zweitsprache“ professionalisieren.

Lehramtsfach Deutsch – Einblicke in das Masterstudium

Jeder Lehramtsstudent wählt zwei Fächer, zum Beispiel Mathematik und Musik, Englisch und Sport oder Deutsch und Kunst. Nachgefragt – was sind Studieninhalte im Lehramtsfach Deutsch im Masterstudium? Was sollten Lehrerinnen und Lehrer können, wenn sie künftig 7-Jährige oder 13-Jährige unterrichten? Literatur- und Sprachwissenschaftlerinnen der Universität Hildesheim geben Einblicke in das Lehramtsstudium.

Das Studium im Fach Deutsch setzt sich aus Seminaren und Vorlesungen zu Sprache, Literatur, Deutsch als Zweitsprache und Mediendidaktik und Theater in der Schule zusammen.

„Wir fragen zum Beispiel danach, wie Kinder in der Welt des Lesens und der Literatur ankommen. Hier gibt es einen engen Zusammenhang mit dem sprachlichen Lernen, den wir auch unter integrativer Perspektive zwischen Sprach- und Literaturdidaktik entfalten“, sagt Literaturwissenschaftlerin Prof. Irene Pieper. Ästhetische Lernprozesse sind in der Primarstufe und der Sekundarstufe I von großer Bedeutung. „Dabei geht es sehr stark um die Frage, wie Kinder und Jugendliche Vorstellungen von ‚Ich‘ und ‚Welt‘ entwickeln und wie sie mit ästhetischen Medien etwas über sich und andere erfahren können“, so Pieper.

Darum geht’s auch im Studium: Wie muss Unterricht gestaltet sein, um gute Lerngelegenheiten für unterschiedlichste Lerner bereit zu halten? Was zeichnet ein „gutes“ Buch für Kinder und Jugendliche aus?  Was zeichnet geeignete Texte für die jeweiligen Lerngruppen aus?  Die Studentinnen und Studenten verbringen eine mehrmonatige Praxisphase in einer Schule und erarbeiten ein Forschungsprojekt. Die angehenden Lehrerinnen und Lehrer führen zum Beispiel eigene Studien zum Bereich „Gespräche zur Literatur“ durch und erproben Gesprächsverfahren. Sie untersuchen anhand empirischer Daten aus dem Unterricht, was gelingende Gespräche zur Literatur auszeichnet.

„Im Bereich der Sprache fragen wir, wie Kinder und Jugendliche zu einer ausgebauten Sprachfähigkeit kommen“, erläutert die Hildesheimer Sprachwissenschaftlerin Prof. Ursula Bredel. „Dabei geht es nicht einfach um normgerechtes Verhalten, sondern darum, das Spektrum sprachlicher Ausdrucksfähigkeiten möglichst breit auszuschöpfen. Um Kinder und Jugendliche bei dieser Entwicklung zu unterstützen, beginnen wir schon im Bachelorstudium mit der Stärkung der Sprachaufmerksamkeit und der Spracherfahrung der Studierenden, um die in der Schule stark ausgeprägte normative Perspektive (Sprachrichtigkeit) durch eine funktionale Perspektive (Sprachangemessenheit) zu ergänzen. Mit Veranstaltungen, die in die Grundlagen der Sprachbeschreibung einführen, stellen wir das notwendige Gerüst zur Verfügung, das die Studierenden in die Lage versetzen soll, die sprachlichen Ressourcen der Schülerinnen und Schüler aufzuspüren und Lernpotenziale zu ermitteln."

Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Bearbeitung der Unterschiede zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie auf der Bearbeitung verschiedener Lernausgangslagen, zum Beispiel wenn Deutsch als Erst- oder als Zweitsprache erlernt wird, so Bredel.

Im Masterstudium werden die Fragen der Sprachentwicklung an die Bedingungen des institutionellen Lernens angeschlossen: Wie können Lernangebote in der Schule konkret aussehen? Die Studierenden analysieren zum Beispiel Lehrwerke und Auszüge aus dem Sprachunterricht und decken bestehende Probleme der herkömmlichen Unterrichtspraxis auf. Sie erarbeiten Ideen, wie eine wirksame Sprachförderung gelingen kann, sagt Professorin Ursula Bredel. „Im Wintersemester bieten wir zum Beispiel im Projektband eine Veranstaltung zu Aufgaben im Grammatikunterricht an. Dort entwickeln die Studierenden Lernaufgaben für das sprachliche Lernen, erproben sie in der Praxisphase und werten die Ergebnisse aus.“

Lehrerinnen und Lehrer begegnen in ihren Klassen Schülerinnen und Schülern aus der ganzen Welt. „Daraus können außerordentlich bereichernde Situationen entstehen, wenn sich alle Seiten auf Vielfalt und Diversität einlassen können“, sagt Elke Montanari, Professorin für Deutsch als Zweitsprache an der Universität Hildesheim. „Das Zentrum für Bildungsintegration vernetzt Forschungsprojekte und bündelt eine Vielfalt interessanter und innovativer Perspektiven“, sagt Montanari. So nehmen Studierende zum Beispiel an einer internationalen „Summer School“ teil, die hochkarätige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt zum Thema Mehrsprachigkeit zusammenbringt.

Lehramtsstudierende können im Doppelstudium einen zweiten Masterabschluss erwerben und sich im Bereich „Deutsch als Zweitsprache“ (DaZ) professionalisieren – „das ist eine weitere Besonderheit des Universitätsstandortes Hildesheim“, sagt Montanari. Eine Bewerbung für den DaZ-Master ist wieder zum Wintersemester 2017/2018 möglich.

Bildungswege nach der Flucht: In einem Sprachlernprojekt begleiten Studierende aus dem Lehramt und dem Masterstudium „Deutsch als Zweitsprache“ Kinder und Jugendliche beim Ankommen im deutschen Bildungssystem und beim Übergang von Sprachlernklassen in den Regelunterricht. Zugleich werden Studierende auf die Berufspraxis vorbereitet. Die Universität arbeitet in dem Projekt mit Hildesheimer Schulen zusammen.

Medienkontakt: Pressestelle der Uni Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100)

Studie: Kommunale Flüchtlingspolitik in Deutschland

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Kommunen stehen im Fokus der Flüchtlingszuwanderung. Sie organisieren Wohnungen, Sprachkurse und Arbeitsgelegenheiten. Sie sind Orte der Debatte und der Begegnung. Hier entscheidet sich, ob Integration gelingt. Eine Studie der Universität Hildesheim im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung hat nun die Gestaltungsspielräume von Städten, Landkreisen und Gemeinden in der Flüchtlingspolitik untersucht. Die Expertise ist ab sofort online verfügbar [hier geht's zur Studie]. Die Autoren spüren den aktuellen Entwicklungen in der kommunalen Flüchtlingspolitik anhand zahlreicher Beispiele nach. Die Arbeit der Ausländerbehörden wird ebenso betrachtet, wie die Koordination des ehrenamtlichen Engagements, der Ausbau von KiTa-Plätzen, die Gesundheitsversorgung oder die Frage der Finanzierung. Insgesamt analysieren sie elf Handlungsfelder kommunaler Flüchtlingspolitik und entwickeln Empfehlungen für Politik und Praxis.

Kommunen gestalten Flüchtlingspolitik

„Kommunen werden häufig als letztes Glied in der Kette deutscher Flüchtlingspolitik betrachtet. Dies ist jedoch eine Fehlwahrnehmung“, sagt Hannes Schammann, Juniorprofessor für Migrationspolitik an der Universität Hildesheim und einer der beiden Autoren der Studie. „Weil Bund und Länder ungelöste Konflikte auf die Kommune delegieren, wird die Kommune zur eigenständigen Politikgestalterin.“ Die letzten Monate hätten gezeigt, dass die Kommunen willens und in der Lage seien, Verantwortung für die Integration der Flüchtlinge zu übernehmen, so Schammann weiter. Ein Blick in die flüchtlingspolitische Praxis zeige aber auch, dass sich Kommunen ihrer Spielräume nicht immer bewusst seien. Manchmal scheuten sich Behörden auch davor, ihre Spielräume auszunutzen und verwiesen auf die vermeintliche Zuständigkeit von Land oder Bund. „Daraus entsteht dann ein Teufelskreis der Verantwortungsverschiebung“, so Schammann.

Flüchtlingszuwanderung als Katalysator für Neuorganisation vor Ort

Boris Kühn, Flüchtlings- und Integrationsbeauftragter in der kommunalen Praxis und Co-Autor der Studie, betont die schwierige Koordination zwischen verschiedenen Akteuren innerhalb der Verwaltung: „Während manche Behörden auf Integration setzen, versuchen andere in derselben Kommune eine abschreckende Wirkung zu entfalten. Mancherorts haben sich so über die Jahre unterschiedliche Handlungslogiken etabliert und zahlreiche Widersprüche angesammelt.“ Vor diesem Hintergrund sei die Flüchtlingszuwanderung des Jahres 2015 ein regelrechter Katalysator gewesen: „Das Thema steht im Fokus und man erkennt die Bedeutung eines kohärenten Vorgehens innerhalb der Kommune. Darin liegt eine große Chance.“ Es führe auch dazu, dass die Organisation lokaler Flüchtlings- und Integrationspolitik neu strukturiert wird. Kühn: „Hier ist viel in Bewegung. Wenn sich Kommunen über ihre Praxis intensiv austauschen, können sich erfolgreiche Modelle verbreiten.“

Unterstützung durch den Bund

Die Studie gibt auch Anregungen, was der Bund tun könnte, um die Kommunen in ihren anstehenden Aufgaben der Integration zu unterstützen. Für Schammann sind drei Punkte zentral: „Erstens muss der Bund seinen eigenen Aufgaben in effizienter Weise nachkommen: Schnelle Asylverfahren helfen den Kommunen ganz direkt. Zweitens sollten vorwiegend symbolische Regelungen, wie das Asylbewerberleistungsgesetz oder die Orientierung an der Bleibeperspektive, auf ihre Sinnhaftigkeit und Praxistauglichkeit überprüft werden. Sie verkomplizieren die Arbeit vor Ort und bewirken faktisch wenig. Drittens geht es darum, Integrationsprozesse von Geflüchteten nachhaltig zu unterstützen. Dazu ist neben genügend finanzieller Unterstützung auch ein enger inhaltlicher Austausch zwischen Bund, Ländern und Kommunen notwendig.“

Autoren:

Medienkontakt: Prof. Dr. Hannes Schammann, Juniorprofessur für Migrationspolitik am Institut für Sozialwissenschaften über die Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100 und 0177.8605905).


Stipendien: Intensiv die Sprache lernen

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Seit Juni 2016 nehmen junge Erwachsene an einem Intensivsprachkurs inklusive Studienvorbereitung teil. Die Universität Hildesheim schreibt gemeinsam mit der Volkshochschule und der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) nun erneut Stipendien für mehrere Intensivsprachkurse aus [hier geht es direkt zur Bewerbung]. Der Sprachkurs richtet sich an Studieninteressierte, die geflohen sind, und ein Studium in Hildesheim aufnehmen möchten. Drei Intensivsprachkurse beginnen im November 2016 in Hildesheim, ein weiterer im Frühjahr 2017.

Die Sprachkurse dauern sechs oder zehn Monate und umfassen jeweils 24 Stunden Deutschunterricht plus etwa fünf Stunden Studienvorbereitung pro Woche. Zusätzlich ist das eigenständige Nachbereiten und Lernen der Inhalte außerhalb der Kurszeiten notwendig.

Der Intensivsprachkurs ermöglicht es in wenigen Monaten, die erforderlichen Sprachkenntnisse zu erwerben und eine Sprachprüfung abzulegen, um ein reguläres Studium an einer Hochschule aufzunehmen. „Wir begleiten Studieninteressierte auf ihrem Weg an die Universität. Die Studienvorbereitung umfasst eine individuelle Beratung zu Themen wie Bewerbung, Finanzierung und Stundenplangestaltung. Wie orientiere ich mich auf dem Campus, wie nutze ich die Bibliothek und das Rechenzentrum? Wie lerne ich richtig? Außerdem gehören Veranstaltungen zum wissenschaftlichen Arbeiten, Treffen mit Studierenden und Ausflüge dazu“, sagt Anna Pulm, Mitarbeiterin im International Office der Uni Hildesheim. Die Universität finanziert die Stipendien aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und aus Mitteln des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur.

„Wir ermutigen Frauen, sich um ein Stipendium zu bewerben“, sagt Anna Pulm. Manche Frauen seien eher zurückhaltend oder kennen gar nicht die Chancen, sich weiter zu qualifizieren. Anna Pulm berichtet von positiven Erfahrungen: In der ersten Sprachkurs-Runde lernt seit dem Sommer etwa eine Mutter dreier Kinder mit viel Engagement und Fleiß die deutsche Sprache und bereitet sich derzeit auf eine C1-Prüfung vor. Weitere Frauen reisen bis zu zwei Stunden täglich an, um an dem Sprachkurs teilzunehmen.

Wer sich für ein Stipendium interessiert, kann das Bewerbungsformular online herunterladen [hier geht es zur Bewerbung]. Eine Bewerbung ist bis zum 7. Oktober 2016 möglich. Bewerberinnen und Bewerber müssen gute Deutschkenntnisse mindestens auf A2- oder B1-Niveau nachweisen. Bei Fragen können Sie sich an Anna Pulm (E-Mail: Pulm@uni-hildesheim.de, Telefon: 05121.883-92012) wenden.

Bildungswege nach der Flucht: Übergang in das Studium

Seit Frühjahr 2015 begleitet die Universität Hildesheim Studieninteressierte mit Fluchterfahrung auf ihrem Weg in das Studium. Mit dem kostenfreien Gasthörerstudium ermöglicht die Universität jungen Erwachsenen, bereits Credits (Leistungspunkte) zu erwerben, die sie für ein späteres reguläres Studium anrechnen können. Das Gasthörerstudium soll dabei helfen, die Studienstrukturen und andere Studierende kennen zu lernen, interessante Seminare und Vorlesungen zu besuchen und dabei die deutsche Sprache und Wissenschaftssprache zu lernen. Die jungen Erwachsenen haben sehr unterschiedliche Lebensläufe und Bildungsabschlüsse, einige haben noch kein Studium absolviert, einige haben ein Studium in Syrien, Irak, Pakistan, Iran oder Sudan begonnen oder abgeschlossen. Lehrende und Studierende unterstützen die jungen Erwachsenen dabei, Perspektiven für den weiteren Bildungsweg zu entwickeln. Außerdem bilden sie Sprachtandems.

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100)

Was ist echt? Konferenz zu Fakten und Fiktionen

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Autorinnen und Autoren können Geschehnisse mit Worten nachbilden oder eine völlig neue Wirklichkeit schaffen, die in Büchern, Filmen, auf der Bühne und in den Köpfen der Zuschauer und Leser lebt.

In der internationalen literatur- und kulturwissenschaftlichen Forschung nimmt das Interesse an ästhetischen Grenz- und Mischformen zwischen Fakten und Fiktionalität derzeit stark zu, sagt Professor Toni Tholen, Literaturwissenschaftler an der Universität Hildesheim. So werden Grenzen und Überlappungen von Fakt und Fiktion im Bereich der Szenischen Künste untersucht. Nach der postdramatischen Wende findet vor allem das Dokumentartheater wieder zur Theatralität zurück. Es gibt neue Formen, um Realität zu simulieren: Schauspieler werden durch wirkliche Personen ersetzt, Spielräume werden nicht mehr auf Theaterbühnen angesiedelt und Texte entstehen erst im Verlauf von Aufführungen.

Die Universitäten Hildesheim und Salamanca laden im Oktober 2016 zur binationalen Konferenz „Fakten, Fiktionen und Fact-Fictions“ [Programm PDF] im spanischen Salamanca ein. Professor Michael Pfeiffer (Barcelona) spricht zum Beispiel über literarische Zeugnisse des Unrechts. Professorin Marisa Siguan (Barcelona) setzt sich mit Fakten, Spuren und Autofiktion bei Hertha Müller auseinander. Die Hildesheimer Literaturwissenschaftlerin Jennifer Clare untersucht Notizbücher von Peter Weiss und dessen „autofiktionale Grenzgänge“. Was autobiographische Fälschungen verraten, erläutert Professorin Patricia Cifre Wibrow (Salamanca) in ihrem Vortrag. Über das „Schreiben im Rückblick“ und das historisch-fiktionale Erzählen Profesor Manuel Maldonado Aleman von der Universidad de Sevilla.

Wie geht das zeitgenössische Erzähltheater mit Fakten um? Professor Jens Roselt, Theaterwissenschaftler und Dekan des kulturwissenschaftlichen Fachbereichs der Universität Hildesheim, setzt sich in seinem Vortrag mit „aufgeführten Biografien“ auseinander. Professor Arno Gimber von der Universidad Complutense de Madrid spricht über Wirklichkeitsbeschreibungen und Fälschungen im Dokumentartheater und Professorin Brigitte Jirku von der Universitdad de Valencia erläutert am Beispiel des Dokumentartheaters und des NSU-Prozesses, wie Dokumente Teil des Theaters werden.

„Wir möchten im Rahmen der Forschungskooperation einen Beitrag leisten zur Erfassung und Bewertung komplexer ästhetischer Entwürfe und Präsentationen, die das Spannungsverhältnis zwischen Fakt und Fiktion in origineller, Erkenntnis fördernder Weise ausschreiten“, so Professor Tholen über die Zusammenarbeit in den Literatur- und Kulturwissenschaften. Tholen hofft, dass mit der Konferenz „weitere Vernetzungsaktivitäten“ zwischen der Universität Hildesheim und anderen deutschen wie spanischen Universitäten auf den Feldern von Forschung, Lehre, Studierendenaustausch und wissenschaftlicher Nachwuchsförderung entstehen.

Die Konferenz findet vom 3. bis 5. Oktober 2016 in Salamanca statt. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) fördert die Konferenz aus Mitteln des Auswärtigen Amtes. Professorin Patricia Cifre Wibrow von der Universidad de Salamanca, Professor Arno Gimber von der Universidad Complutense de Madrid und Professor Toni Tholen von der Universität Hildesheim laden gemeinsam zur internationalen Konferenz ein.

Wer Fragen zur Konferenz hat oder sich für das Forschungsthema interessiert, kann Prof. Dr. Toni Tholen und Dr. Jennifer Clare vom Institut für deutsche Sprache und Literatur kontaktieren.

In die Zukunft denken: Wie die Welt morgen sein könnte

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„Meist werden Utopien in Zeiten geschrieben, in denen gesellschaftliche Umbrüche stattfinden“, sagt Irene Leser. Unter Utopien versteht die Soziologin ein „positiv gewendetes Zukunftsdenken“. Anders als ihr Gegenbild: die „Dystopie“. Dystopien sind das Katastrophendenken und Ängste eigen, sie leben vom Szenario des negativen Ausgangs.

Aber wer schreibt Utopien? „Sowohl Politiker als auch Literaten zeichnen Szenarien von gesellschaftlichen Verbesserungen“, sagt Irene Leser. Die Sozialwissenschaftlerin der Universität Hildesheim lädt im Oktober 2016 gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Jessica Schwarz zur öffentlichen Konferenz „utopisch dystopisch – Visionen einer ‚idealen‘ Gesellschaft“ ein. Die Tagung nimmt das Jubiläum des vor 500 Jahren von Thomas Morus verfassten Buches „Utopia“ zum Anlass, um über das wissenschaftliche und alltägliche Verständnis von gesellschaftlicher Entwicklung, technischen Innovationen und politischer Ordnung zu diskutieren.

Etwa 60 Fachleute werden erwartet. „Wir freuen uns über das große Interesse. Wir haben Zuschriften aus den Fachdisziplinen Architektur, Film, Literatur und historische Erziehungswissenschaft bis zu Biologie, Forstwirtschaft, Migrationspolitik und Soziologie erhalten“, sagt Jessica Schwarz.

Ein Blick in das Konferenzprogramm spiegelt diese vielfältigen Annäherungen an utopisches und dystopisches Denken wider: Der Hildesheimer Politikwissenschaftler Professor David Salomon spricht über „das Utopische in der Demokratie“. „Politische Begriffe sind nie nur beschreibend, sondern sind normative, programmatische Begriffe. Sie fungieren als umkämpfte Strategiekerne in politischer Praxis“, so Salomon.

Hannes Schammann, Juniorprofessor für Migrationspolitik an der Universität Hildesheim, spürt in seinem Vortrag der utopistischen Ader der Migrationspolitik in realem politischem Handeln nach. „Migrationspolitik hat es auch nicht leicht: So sehr sie sich auch bemüht, Widersprüchlichkeit bleibt Teil ihres Charakters. Dies liegt daran, dass nationalstaatliche Migrationspolitik per se ein utopistisches Projekt ist. Schließlich ist aus der Sicht der Migrationsforschung schon die Prämisse gewagt, dass man die Bewegung von Menschen über internationale Grenzen mittels unilateraler Maßnahmen steuern könne. Aber auch das Recht auf Asyl oder neue Entwicklungen wie ein ‚Migrationsmanagement‘,  beispielsweise  über  multilaterale Abkommen, sind im Grunde utopistische Projekte, deren vollständige Realisierung kaum jemand erwartet“, sagt Schammann.

Ein weiterer Tagungsschwerpunkt ist die Auseinandersetzung mit Städten, Umwelt und Nachhaltigkeit. Über die ideale Stadt, Träume und Albträume des Städtebaus spricht Aljoscha Hofmann, Wissenschaftler am Center for Metropolitan Studies der Technischen Universität Berlin. Über „Mikro-Utopismus in der Architektur“ spricht die Berliner Doktorandin Sandra  Meirei. Der Hildesheimer Biologe Torsten Richter referiert über biologische Alterungsprozesse und die Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt.

Weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befassen sich mit Utopien aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive. Jana Trumann von der Universität Duisburg-Essen erläutert „Perspektiven des Lebens und Lernens in Gemeinschaftsprojekten“. In seinem Vortrag „Zur Utopie des virtuellen Lernens: Was von Schule übrig bleibt“ referiert Matthias Rürup von der Universität Wuppertal über virtuelle Lernumgebungen. Über die inklusive Schule als „Ort des Möglichen“ spricht Professor Robert Schneider von der Pädagogischen Hochschule Salzburg.  Erziehungs-und Bildungsideen kommentiert Professor Hans-Ulrich Grunder von der Universität Basel („Alle gleich oder jede(r) anders?“). „In jedem utopischen Text der vergangenen fünfhundert Jahre, sei es eine Skizze oder ein Roman, finden sich Textstellen, Abschnitte oder ganze Kapitel zum Thema Kindheit und Jugend, Sozialisation und Enkulturation, Erziehung und Bildung“, sagt Grunder.

Gesellschaftspolitische Analyse: Konferenz in Hildesheim

Auf der Hildesheimer Tagung „utopisch dystopisch“ (7. und 8. Oktober 2016, Uni-Hauptcampus) analysieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Visionen einer „idealen Gesellschaft“.  In etwa 35 Vorträgen diskutieren die Fachleute, welche Innovationskraft aus utopischen und dystopischen Gesellschaftsentwürfen hervorgeht. Die Hauptvorträge halten unter anderem Greta Taubert, Buchautorin aus Leipzig, und Ulrike Guerot, Publizistin und Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung an der Donau-Universität Krems. Details zur interdisziplinären Tagung, zu einzelnen Vorträgen und zur Anmeldung finden Sie online.

Bei Fragen zur Konferenz kann man sich an Irene Leser und Jessica Schwarz vom Institut für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim wenden (utopia@uni-hildesheim.de).

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100)

Geschichten machen: Wie Bild und Text zusammen wirken

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In Hamburg lebt eine außergewöhnliche Maus. In ihrer Welt ist es plötzlich gefährlich geworden, überall lauern Mausefallen und Katzen. Von allen gejagt kommt der kleinen Maus eine rettende Idee: Sie muss das Fliegen lernen. Die kleine Maus erfindet ein Flugobjekt, baut sich Flügel und blickt an einem Morgen schließlich mit ihrer Konstruktion in die Weite des Hamburger Hafens, um abzuheben. Wer die Bilder des Hamburger Illustrators Torben Kuhlmann entdeckt, wird hineingezogen in eine Geschichte. Seine Illustrationen sind detailreich und erzeugen Räumlichkeit, kein Wunder, wollte Kuhlmann doch schon als Kind „verstehen, wie Raum funktioniert“, wie er auf einer Konferenz in Hildesheim berichtet. Erzählen in Bildern, so beschreibt Kuhlmann, was er beruflich macht.

Das Bilderbuch ist eines der ersten Medien, das Interesse an Erzählungen wecken kann. Mit welchen Mitteln erzählen Texte und Bilder? Wie erzeugen sie Reaktionen der Leser und Betrachter? Auf einer Konferenz an der Universität Hildesheim haben Experten aus Kulturwissenschaft, Literatur- und Kunstdidaktik, Anthropologie und Bildungswissenschaften sowie Illustratoren, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher die Schnittstellen, Überlagerungen und Konvergenzen im narrativen Raum zwischen Text und Bild erläutert und sich mit Differenzen zwischen sprachlichem Erzählen und Erzählen im Bild befasst.

Die beiden Hildesheimer Wissenschaftlerinnen Bettina Uhlig, Professorin für Kunstpädagogik, und Irene Pieper, Professorin für Literaturwissenschaft, untersuchen, wie Kinder Bild und Text wahrnehmen. Sie beschäftigen sich seit Jahren in der Forschung mit dem narrativen Potenzial von Bildern und Sprache.

„Das aktive Erzählen ebenso wie das rezeptive Aufnehmen von Erzählungen sind Grundbedürfnisse des Menschen. Durch die Erzählung können raum-zeitliche Daten geordnet und geklärt werden. Die Erzählung ermöglicht es, ein wirkliches oder fiktives Geschehen zu bewältigen“, sagt Uhlig. Die Erzählforschung zeigt, dass die Fähigkeit zum Entwerfen und Verstehen von Erzählungen bereits in der jüngsten Kindheit angelegt ist. „Wir arbeiten mit der Tagung die narrativen Qualitäten von Bildern heraus“, so Uhlig. Dass sich Narrationen mittels gesprochener und geschriebener Sprache vermitteln, sei ganz unbestritten. Dass aber auch ein Bild an sich narrativ konstituiert sein kann, sei durchaus umstritten.

Bestehen Differenzen zwischen sprachlichem Erzählen und Erzählen im Bild? „Das, was in der Sprache erzählend nacheinander entfaltet wird, stellt sich im Bild quasi simultan dar“, sagt Irene Pieper.

Wie lernen Kinder, mit Bilderbüchern umzugehen?

Wie und wo können Kinder lernen, mit Bilderbüchern umzugehen? Die Forschung zu Interaktionen in Kindergärten, etwa zwischen einer Erzieherin und einer Kindergruppe, zeigt zum Beispiel, wie Kinder lernen, Erzählungen zu verstehen, zu rekonstruieren, eigene Deutungen vorzustellen und mit Sprachangeboten umzugehen, so Professorin Pieper.

Bilderbücher werden oft zuerst mit Erwachsenen betrachtet. „In Familien, die gute Bildungsangebote für Kinder anbieten, ist die Rezeption von Bilderbüchern interaktiv strukturiert“, sagt Irene Pieper. Die Familiensituation ist ganz bedeutsam, ergänzt Bettina Uhlig. „Dieses ganz eng nebeneinander sitzen, zusammen auf das Bild und auf das Bilderbuch gucken, vielleicht noch in einer Abendsituation, das hat etwas emotional und atmosphärisch Bedeutsames.“

„Für Kinder ist ein Bilderbuch ein Weg, um Geschichten wahrzunehmen und eigene Geschichten zu erzählen“, ergänzt Anna Root. Sie schließt derzeit an der Universität Hildesheim ihr Lehramtsstudium mit den Fächern Kunst und Deutsch ab und arbeitet parallel an einer Grundschule nahe Springe. In ihrer Masterarbeit untersucht die Studentin, welche Wahrnehmungshilfen beim Betrachten von Bilderbüchern im Unterricht zum Einsatz kommen können. In einer empirischen Untersuchung hat Root mit Kindern einer vierten Klasse zum Beispiel Rahmen verwendet, mit denen Kinder einzelne Bildausschnitte in den Fokus rücken und den Rest eines komplexen, detaillierten Bildes verdecken können. „Was passiert davor, was nach dieser Szene? Die Kinder haben Geschichten gezeichnet. Wir haben zwei Wochen an den Erzählungen gearbeitet. Die Kinder haben mit großer Freude eigene Geschichten entworfen.“

Das Umblättern verlangt Zeit

Was passiert zwischen den Seiten? Im Umblättern, im Vor- und Zurückblättern steckt eine besondere Chance, sagt Professorin Gabriele Scherer, Literaturwissenschaftlerin an der Universität Koblenz-Landau. Das Umblättern trage dazu bei, das Verstehen zu fördern. „Nicht wischen und klicken auf einem Smartphone – das einfache Blättern mit all der Materialität verlangt Zeit. Man braucht Zeit, um Bilderbücher zu betrachten, man soll auch verweilen.“

Man müsse auch aushalten, dass Bilder nicht eindeutig sind, sagt Gabriele Lieber, Professorin für Ästhetische Bildung an der Fachhochschule Nordwestschweiz und Mitveranstalterin der internationalen Konferenz. „Kinder interpretieren Bilder, es gibt kein richtig oder falsch, es ist ihre eigene Imagination. Die Geschichte muss nur schlüssig für sie selbst sein.“

Das „produktive Potenzial“ von Bilderbüchern beschreibt Literaturwissenschaftlerin Scherer so: Kinder können erkennen und benennen, sie können beobachten und kombinieren, sie können Figurenperspektiven einnehmen, Leerstellen füllen und interpretieren sowie Bilder in Worte fassen, sprechen, dazu schreiben.

Welche Bilder kann man Kindern zumuten?

Manche Bilderbücher setzen ein Wissen über den Inhalt der Geschichte voraus. „Das schriftlose Märchenbuch funktioniert eigentlich nur, wenn man das Handlungsschema im Kopf hat“, sagt Scherer.  Der spanische Illustrator Adolfo Serra verzichtet in dem Bilderbuch „Rotkäppchen“ vollständig auf Worte. Heranzoomen und weiter wegfahren, ein bisschen wirken die einzelnen Doppelseiten von Serra wie ein Film: In einer Nahaufnahme blickt der Betrachter frontal in die Augen des Wolfes, Rotkäppchen spiegelt sich in den Augen. Die Gefahr ist unglaublich präsent. Ein auf der Bildebene hochkomplexes Buch. Übrigens waren zu Grimms Zeiten die Märchentextsammlungen weitaus beliebter, wenn sie einzelne Bildillustrationen und Kupferstiche enthielten.

Bilderbücher wie jene von Serra führen auch zu der Frage: Welche Bilder kann man Kindern zumuten? Bilderbücher thematisieren nicht nur das Leichte, Schöne, Lustige. Sie wenden sich auch ganz ernsten Themen zu. Bild und Text tragen dazu bei, Emotionalität darzustellen, wie Untersuchungen von Margarete Hopp, Literaturwissenschaftlerin an der Universität Duisburg-Essen zeigen.

Seit Anfang der 2000er Jahre explodieren die Bücher für Kinder, in denen tatsächlich Tod, Sterben und Trauer thematisiert wird, von gleichaltrigen Freunden aber auch Geschwistern sowie Tod in der Natur und von Tieren, sagt die Hildesheimer Professorin Kathrin Audehm. „Es ist kein Tabu mehr. Ausnahme ist, dass der Moment des Sterbens eines Kindes im Buch thematisiert wird.“ Audehm ist pädagogische Anthropologin und interessiert sich in der Forschung für die szenischen Elemente und „was Bilder machen“ und welche Art von Wissen sie anregen.

Medien, die Bild und Text verbinden sind neben Bilderbüchern auch Graphic Novels, Comics und historische Buchmalereien. Wie das Nebeneinander von Bildern gestaltet ist, untersucht Michael Leibrand, Doktorand am Institut für Bildende Kunst und Kunstwissenschaft der Universität Hildesheim. „Man nimmt mehr oder weniger wahr, je nachdem wie viel die Seite preisgibt“, sagt Leibbrand über die Comicseite und ihre „Seitenarchitektur“. „Comiclesen ist ein Lernprozess. Ich brauche beides – einen schauenden und einen lesenden Blick.“

Comics verfügen über visuelle und verbale Hinweise, „die es uns erlauben, in die Welt einzutauchen und in die Figuren hineinzuversetzen", ergänzt Felix Griesa, der an der Arbeitsstelle für Kinder- und Jugendmedienforschung der Universität zu Köln über die Geschichte und Theorie der Comics forscht und sich mit der Vielfältigkeit der Erzählinstanzen befasst. „Wir arbeiten in unseren Fachdisziplinen an ähnlichen Fragestellungen. Es ist wichtig, dass wir auf einer Konferenz wie dieser in Hildesheim zusammenkommen.“

Die Forschung geht weiter: Kinder verfügen über spezifische Imaginationsprofile

Die Forschung geht weiter. Derzeit untersucht Bettina Uhlig, wie Kinder Bilder wahrnehmen, produzieren und wie sich dies verändert. Hierfür hat sie auf der Domäne Marienburg ein bilddidaktisches Forschungsstudio eingerichtet. In Kooperation mit Grundschulen und Kindergärten führt sie ein Feldforschungsprojekt durch, das Aufschluss über die anthropologischen und kulturellen Grundlagen der Entwicklung von Bildlichkeit geben soll.

Bisherige Forschungsergebnisse zeigen, dass Kinder über spezifische „Imaginationsprofile“ verfügen. So gibt es Kinder, die in Erzählungen denken, andere wiederum können sich Szenisches oder technische Zusammenhänge besonders gut vorstellen. Je nach Imaginationstyp variiert die bildnerische Praxis und führt bei einer gezielten Begleitung zu unterschiedlich großen Fortschritten in der individuellen Bildpraxis von Kindern. Die Hildesheimer Forschungsergebnisse fließen sowohl in die fachdidaktische Diskussion als auch in die Praxis in Kindergärten und Schulen ein.

Jede Woche kommen Kinder aus umliegenden Grundschulen in die Universität. „Ob ich zu einem Botticelli-Kunstbuch oder ein Bilderbuch von Aljoscha Blau greife – an beiden kann man erklären, wie Bilder gemacht sind, wie sie auf uns wirken und wie sie mit uns kommunizieren“, so Uhlig.

Irene Pieper forscht im Bereich der literarischen Anschlusskommunikation und untersucht Vorlesegespräche zu Bilderbüchern. Im Lehramtsstudium untersuchen Studierende am Institut für deutsche Sprache und Literatur anhand von empirischen Daten, was solche Gespräche in der Schule und im Kindergarten ausmacht. Wann sind solche Gespräche gelungen? Was sind also Qualitätskriterien solcher Gespräche? Es geht darum, nicht alles aufzulösen und zu verraten, sondern Interpretationsräume zu eröffnen und Sprachangebote bereitzuhalten, so Pieper. „Die Bilder enthalten häufig auch Implizites, worüber man nicht so leicht sprechen kann. Wenn man darüber kommunizieren will, muss man einen Rahmen bereitstellen, auch in heterogenen Lerngruppen mit mehrsprachigen Kindern.“

Wer mehr über die Forschung erfahren möchte, kann sich an Prof. Dr. Bettina Uhlig und Prof. Dr. Irene Pieper wenden. Mehr über die Konferenz „Erzählen zwischen Bild und Text“ lesen Sie hier.

Literaturpreis für den besten Debütroman

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Das ZDF vergibt den „aspekte“-Literaturpreis seit 1979 für das beste deutschsprachige Prosa-Debüt. Der erste Preisträger war 1979 Hanns-Josef Ortheil: Der Schriftsteller lehrt und forscht als Professor für Kreatives Schreiben seit 25 Jahren in Hildesheim. Ein Viertel Jahrhundert später erhält erneut ein Schriftsteller mit Hildesheim-Bezug den Preis für das beste literarische Debüt. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und geht in diesem Jahr an Philipp Winkler und seinen Roman über einen Hannoveraner Hooligan [hier erfahren Sie mehr über seinen Roman „Hool“]. Winkler, 1986 geboren, wuchs in Hagenburg bei Hannover auf. Er studierte „Literarisches Schreiben“ am Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft der Universität Hildesheim und lebt heute in Leipzig. Die Preisverleihung findet statt am Donnerstag, 20. Oktober 2016, im Rahmen der Frankfurter Buchmesse.

Neben der brutalen Gegenwart lässt Winkler die Jugend und Kindheit seiner Figuren in Rückblenden Revue passieren, heißt es in einem Beitrag des ZDF-Fernsehens. Insbesondere die Kenntnis der Psychologie der Nebencharaktere habe die Jury begeistert. „Figuren, die fast nicht auftreten, Figuren, die fast nichts sagen, werden mit wenig Pinselstrichen so plastisch, so lebendig und so liebevoll geschildert, dass man merkt: Das ist einfach ein Schriftsteller, ein richtig guter Autor, der jetzt anfängt zu schreiben“, sagt Jury-Mitglied Volker Weidermann, Literaturchef des SPIEGEL.

Auch Shida Bazyar stand mit ihrem im Frühjahr erschienenen Roman „Nachts ist es leise in Teheran“ im Finale des aspekte-Literaturpreises. Die Autorin hat ebenfalls in Hildesheim „Literarisches Schreiben“ studiert. Die Schriftstellerin, 1988 in Hermeskeil geboren, hat bereits im Sommer den mit 10.000 Euro dotierten Ulla-Hahn-Preis erhalten. Shida Bazyar wird außerdem am 25. Oktober 2016 der Kulturförderpreis der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover überreicht.

Mit „Hool“ steht Philipp Winkler auch auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2016. Der Preisträger wird auf der Frankfurter Buchmesse am 17. Oktober 2016 bekanntgegeben. „Philipp Winkler schreibt in eindringlichen Szenen von der Lebens- und Adrenalingier der 'Hools' und von einer Kultur der Gewalt, in der Außenseiter ihre Sprache finden. Mit seinem krachenden Debüt gelingt Winkler ein Milieuroman, der nichts verherrlicht, der hart ist, traurig und manchmal auch komisch“, kommentiert die Jury. Knapp einhundert deutschsprachige Verlage hatten ihre Kandidaten ins Rennen für den Deutschen Buchpreis geschickt, sechs Autorinnen und Autoren stehen auf der Shortlist.

Bazyar und Winkler haben in Hildesheim sowohl den Bachelor „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ als auch den Master „Literarisches Schreiben“ studiert und mit den beiden prämierten Romanen abgeschlossen (Bazyar 2014, Winkler 2015).

„Herzlichste Glückwünsche an Shida und Philipp. Die beiden haben zwei großartige Romane vorgelegt, die überdies auch die thematische und stilistische Vielfalt aufzeigen, die für Hildesheim so charakteristisch ist", sagt Thomas Klupp. Er ist seit zehn Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft und freut sich über die Erfolge der Autorinnen und Autoren, die auf ihrem schriftstellerischen Weg an der Universität Hildesheim Halt gemacht und gelernt haben.

Der Autor in Hildesheim: Lesung im Literaturhaus

Philipp Winkler liest aus seinem Debüt-Roman am 7. November 2016 in Hildesheim. Den Abend moderiert Thomas Klupp. Hier finden Sie weitere Informationen.

Kurz erklärt: Literaturinstitut Hildesheim – Was hier alles passiert

Kreatives Schreiben, Kulturjournalismus, Lektorat, Kulturwissenschaften, ästhetische Praxis – das Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft der Universität Hildesheim gehört neben dem Deutschen Literaturinstitut Leipzig, dem Schweizerischen Literaturinstitut in Biel und dem Institut für Sprachkunst der Universität für angewandte Kunst in Wien zu den einzigen Universitäts-Instituten im deutschsprachigen Raum, an denen Studentinnen und Studenten in Bachelor- und Master-Studiengängen in Theorie und Praxis des Kreativen und Literarischen Schreibens umfassend unterrichtet und ausgebildet werden.

Nicht entweder oder: in Hildesheim kombinieren sie die gedruckte und digitale Welt. Während die einen Studierenden das komplexe Feld der Buchproduktion und Verlagswelt erproben – und unter anderem die Zeitschrift für junge Gegenwartsliteratur „BELLA triste“ herausgeben –, befassen sich andere mit digitaler Medienproduktion und berichten auf dem Online-Portal litradio.net vom literarischen Geschehen. Alle drei Jahre organisieren Studierende „Prosanova“, das größte Festival für junge deutschsprachige Gegenwartsliteratur.

Was Kulturjournalismus ist, erfährt man auf der Website des Literaturinstituts.

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, 05121.883-90100 und presse@uni-hildesheim.de)

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