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Ausstellung: Studierende zeigen ihre Sicht auf Grenzen

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Wer die Fotografien von Golzar Amini genauer betrachtet, stolpert – Gitter vor einer Tür prägen den Blick in die Weite. Die Hildesheimer Studentin dokumentiert Werkstatträume einer Justizvollzugsanstalt.

Die Fotoserie ist Teil einer Ausstellung, die bis zum 31. Januar 2017 in Hildesheim gezeigt wird. In einem alten Fabrikgebäude zeigen Studentinnen und Studenten ihre Sicht auf „Grenzen“. Im Wintersemester haben sich die Studentinnen und Studenten in einem Uni-Seminar von Manfred Lauschke und Michael Leibbrand mit Grenzen befasst.

„Grenzen begegnen uns überall. Sie verlaufen um Territorien herum, zwischen Menschen oder geradewegs durch Orte oder durch uns selbst hindurch. Sie sind ebenso physischer wie politischer, psychischer, sozialer oder kultureller Natur“, sagt Leibbrand. Die Studentinnen und Studenten des Lehramtsfachs Kunst zeigen in der Hildesheimer Ausstellung ihren Blick auf Grenzen, sie setzen sich in 30 Arbeiten mit geographischen Räumen, politischen und persönlichen Grenzen auseinander. Die einen arbeiten fotografisch oder filmisch, andere mit Drucktechniken oder Markierungssystemen. Die Ausstellung umfasst neben den 30 Arbeiten auch individuelle Projekttagebücher, die Einblicke in die Ideenfindung und den Werkprozess liefern.

Die Lehramtsstudentinnen und Lehramtsstudenten der Universität Hildesheim haben ein Semester lang die Ausstellung produziert und hoffen nun auf ein interessiertes Publikum. „Das künstlerische Projekt ist seit mehreren Jahren im Modulfahrplan des Lehramtsstudiums verpflichtend, um einmal im Studium ein ganzes Semester an einer Arbeit inhaltlich und formal dranzubleiben und so eine prozesshafte Werkentstehung selbst zu durchlaufen“, sagt Michael Leibbrand. „Dafür wählen wir jedes Jahr neue Themen aus, im vorigen Jahr ging es um die Stadt. Das Thema soll etwas mit dem Leben und Alltag der Studierenden zu tun haben, damit diese einen eigenen Zugang dazu finden können.“ Außerdem suchen die Dozenten des Instituts für Bildende Kunst und Kunstwissenschaft nach Themen, die jenseits einer rein subjektiven Auseinandersetzung auch genügend soziologische oder historische Anknüpfungspunkte bieten. Durch die Ausstellung drückt sich die Wertschätzung für die Arbeiten aus, über sie wird ein Dialog überhaupt erst möglich, so Manfred Lauschke.

Künstlerisches Projekt: Ausstellung „Gren|ze“

Die Ausstellung „Gren|ze“ wird mit einer Vernissage am Dienstag, 24. Januar 2017, um 18:00 Uhr eröffnet. Veranstaltungsort ist „Rasselmania“ (Bischofskamp 18, 31137 Hildesheim). Weitere Öffnungszeiten der Ausstellung sind am Sonntag, 29. Januar 2017 von 11:00 bis 18:00 Uhr, dann erläutern Studierende die Arbeiten. Außerdem ist die Ausstellung am Dienstag, 31. Januar 2017, von 18:00 bis 20:00 Uhr während der Finissage zu sehen, dann spricht auch Bettina Uhlig, Professorin für Kunstpädagogik. Der Eintritt ist frei. Die Ausstellung ist ein Projekt von Studentinnen und Studenten der Universität Hildesheim unter der Leitung der Dozenten Michael Leibbrand und Manfred Lauschke.


Die Dinge in der Pflege

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Ob im Krankenhaus, im Pflegeheim oder zu Hause: In der Pflege kommen Dinge wie Waschlappen und Einmalhandschuhe zum Einsatz. „Die Dinge wandeln das private Zimmer der Bewohner in einen Raum der Pflege“, sagt Lucia Artner. Seit 2014 fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung das Projekt „Pflegedinge“. Einblicke in Ergebnisse aus der Forschung.

Einmalhandschuhe, Bettpfanne, Hebelifter – diese Dinge gehören zum Alltag von Lucia Artner. Die Wissenschaftlerin der Universität Hildesheim untersucht, welche Bedeutung Objekte im Pflegealltag einnehmen. Um dies herauszufinden, geht die Kulturanthropologin in Pflegeheime und auf Krankenstationen und beobachtet: Was passiert mit diesen Dingen, wer nutzt sie wie?

„Ein Pflegeheim ist nicht nur ein Ort der Pflege, sondern auch Wohnraum und Ort des Lebens“, sagt Lucia Artner. Die Wissenschaftlerin spricht mit Pflegekräften sowie älteren Damen und Herren über die Dinge in ihrem Alltag. In den Zimmern liegen Familienfotografien, Kosmetika und Briefe neben sterilen Einmalhandschuhen und Wattestäbchen, die das Kauen anregen sollen. Was machen solche Gegenstände, wenn sie so prägnant sind im Lebensraum? „Sie wandeln das private Zimmer der Bewohner in einen Raum der Pflege.“ Artner nennt sie „institutionalisierte Dinge“.

Lucia Artner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „Die Pflege der Dinge“. In dieser Woche stellt sie nach vierjähriger Forschung erstmals gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Heidelberg, Berlin, Osnabrück und Hildesheim Forschungserkenntnisse vor. „Pflege gehört zum Alltag in allen Gesellschaften und findet nicht nur im Pflegeheim statt – auch innerhalb von Familien wird sehr viel geleistet. Pflege ist eine zentrale Praxis menschlichen Zusammenlebens, sie gehört zum Alltag – und dennoch ist Pflege kaum sichtbar“, sagt Artner. Die gesellschaftliche Bedeutung von Pflege wachse angesichts des demographischen Wandels. „Dennoch wird Pflege als entlohnte Arbeit – etwa als Pflegekraft in einem Pflegeheim – oder als reine Beziehungsarbeit – etwa die Pflege von Angehörigen innerhalb der Familie – kaum anerkannt. Mit unserem Forschungsprojekt möchten wir Pflege sichtbar machen, in dem wir anhand der Dinge zeigen, wie sich Pflege verändert und was den Pflegealltag prägt.“

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben eine Bandbreite an Dingen untersucht – von der Schnabeltasse aus dem 19. Jahrhundert über zeitgenössische Technologien wie Stehlifter bis hin zu sensorbasierten High-Tech-Systemen, die im Notfall Alarm schlagen.

Gerade in schambehafteten, intimen Momenten können die Dinge auch zu Professionalität und Sachlichkeit beitragen. „Der Toilettengang wird durch den Einsatz eines Toilettenstuhls zu etwas Gewöhnlichem – es ist dann weniger peinlich für alle Beteiligten“, sagt Artner.

Viele Dinge werden dabei auch mehrzweckmäßig, kreativ und anders als vom Hersteller angedacht verwendet. Ein Beispiel aus der Region Hannover: Der Toilettenstuhl kann nicht nur für den Toilettengang eingesetzt werden, so Artner. „Er wird auch zum Duschen und zum Transport genutzt. Eine ältere Dame guckt da Fernsehen drauf, statt auf einem Sessel. Bei einem anderen Herren wird mit dem Toilettenstuhl auch dessen Beweglichkeit trainiert.“ Man braucht Vertrauen in Dinge, vor allem auch in neue Technik, resümiert die Wissenschaftlerin. „Auch Ältere wollen sich wohl fühlen, wenn sie in einem Lifter hängen.“

Die Hildesheimer Wissenschaftlerin interessiert sich auch für die Veränderungen im Wandel der Zeit. Artner spricht deshalb mit Pflegekräften, die in den 1960er Jahren gearbeitet haben, sie untersucht Schwesternakten und Lehrbucheinträge. Dabei wird deutlich: In der Pflege wurden neue Gegenstände zunächst einmal auf ihre ‚Praxistauglichkeit‘ geprüft. Als in den 1970er Jahren die Einmalhandschuhe ihren Weg in den Pflegealltag fanden, wurde diese Entwicklung kritisch begleitet. „Die Handschuhe sind hygienisch. Ich habe aber so eine Distanz zu den Pflegenden. Ich möchte die Nähe nicht verlieren“, sagte etwa eine Pflegerin aus der damaligen Zeit.

Wie sich der Berufsalltag und Anforderungen an den Arbeitnehmer verändern, zeigen die Analysen von Isabel Atzl. Die Pfleghistorikerin und Sammlungsforscherin vom Medizinhistorischen Museum der Charité in Berlin zeigt, wie mit dem Einsatz von Dingen Veränderungen im Pflegeberuf einhergehen. So wurde das Fieberthermometer früher zunächst von Ärzten und später von Pflegekräften benutzt. Mit diesem Wechsel mussten Pflegekräfte auch neues Wissen und neue Qualifikationen erlernen. Beispielsweise mussten mit der Fieberkurve, die geschrieben wurde, Pflegekräfte nun Lesen und Schreiben können.

Außerdem wurde untersucht, wie Dinge zum Handeln anregen können. „In der stationären Langzeitpflege zeigt sich, dass es in erster Linie die Pflegekräfte sind, die die Nutzung der Dinge und den Ablauf der Tätigkeiten dirigieren. Sie geben den Menschen, die sie pflegen, Anstöße, Dinge zu nutzen“, sagt Artner. Über Dinge werden zum Beispiel ältere Menschen in einem Pflegeheim aktiv gehalten, indem Pflegekräfte beim Stuhlgang mit einem Toilettenstuhl eine Mobilisierungseinheit einbauen.

Ob es auch nutzlose Dinge gibt im Pflegealltag? Manche Utensilien, sagt Artner, finden erst mit der Zeit Anwendung. „In einem Pflegeheim wurde der Hebelifter kaum genutzt. Man hängt von der Decke, wird in die Badewanne gehievt. Für viele Menschen ist das ungewohnt, man fühlt sich zunächst unsicher.“

Lucia Artner forscht in einem sensiblen, intimen Bereich. „Ich kläre von Anfang an auf, was ich mache und warum, ich spreche viel mit Angehörigen von Demenzerkrankten.“ Mit den Objekten, sagt Artner, „kann man nicht reden“. Es sind die Menschen, die ihr erzählen und zeigen, was die Dinge im Alltag machen und die Einblicke geben in ihr Leben mit den Dingen. Und dafür, für all diese Begegnungen, ist die junge Forscherin sehr dankbar.

Worum geht’s? Kurz erklärt: Das Forschungsprojekt „Die Pflege der Dinge“

In dem Forschungsprojekt „Die Pflege der Dinge – Die Bedeutung von Objekten in Geschichte und gegenwärtiger Praxis der Pflege“ (kurz: „Pflegedinge“, www.pflegederdinge.de) arbeiten neun Fachleute des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg, des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité, der Arbeitsgruppe Pflegewissenschaft der Universität Osnabrück und des Instituts für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim zusammen.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung förderte die Forschung von 2014 bis 2017. Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe untersucht die Dinge der Pflege, die im Krankenhaus, im Pflegeheim oder zu Hause zum Einsatz kommen. Im Projekt wurde der Einsatz von Gegenständen in der Altenpflege, in Privathaushalten und Krankenhäusern in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Berlin untersucht. Ergebnisse aus der Forschung stellen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Rahmen der internationalen Tagung „Dumme Dinge, schlaue Sachen?“ vom 18. bis 20. Januar 2017 in Heidelberg vor.

„Wir möchten künftig in der interdisziplinären Objektforschung jene Dinge verstärkt in den Blick nehmen, die die Pflege der Zukunft schon heute mitgestalten wie digitale Technologien oder Pflegeroboter“, sagt Lucia Artner. Wie erleben die Beteiligten zum Beispiel neue technische Geräte, die registrieren, wie sich Personen bewegen und im Notfall Alarm schlagen?

Das Thema Pflege steht am Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim auch weiterhin im Fokus der Forschung. Professor Wolfgang Schröer und Professorin Kirsten Scheiwe haben 2011 das Forschungscluster „care@work“ gegründet.  Innerhalb der Universität und deutschlandweit baut die Hildesheimer Arbeitsgruppe den Austausch zu verschiedenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus.

„Bislang fehlt es in Deutschland an grundlagenorientierter Forschung über die materiale Seite von Pflege. Fragen danach, welchen Anteil Dinge wie ein Fieberthermometer an der Pflege haben, wie damit Pflege-Arbeit strukturiert und das Wissen der Pflege realisiert wird, wurde im Bereich der historischen und gegenwärtigen Pflegeforschung bisher nicht systematisch untersucht“, sagt Lucia Artner.

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, 05121.883-90100, presse@uni-hildesheim.de)

Das Erinnern wachhalten

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Die Erziehungswissenschaftlerin Wiebke Hiemesch hat in ihrer Doktorarbeit untersucht, wie Kinder den lebensbedrohlichen Alltag im Konzentrationslager Ravensbrück überlebt haben. Die junge Wissenschaftlerin forscht in einer Arbeitsgruppe von Professorin Meike Baader an der Universität Hildesheim. Meike Baader und Dr. Tatjana Freytag sind Herausgeberinnen des Buches „Erinnerungskulturen: eine pädagogische und bildungspolitische Herausforderung”. In dem Buch geht es auch darum, wie Gedenken mit zunehmendem Abstand zum historischen Ereignis möglich ist.

„Die Gedenkstättenarbeit sieht sich zunehmend mit der Frage konfrontiert, wie Erinnerung praktiziert werden kann, wenn kaum noch Zeitzeugen leben. Schließlich basierte auch die pädagogische Arbeit über viele Jahrzehnte stark auf den Berichten von Überlebenden. Diese bezeugten durch ihre Anwesenheit und ihre Erzählungen die Geschehnisse“, sagt Professorin Meike Baader. „In Zukunft wird die Gedenkstättenarbeit viel stärker auf Archive und aufgezeichnete Dokumentationen zurückgreifen.“ Aber es gebe auch ganz andere Formen des Gedenkens, so habe beispielsweise die Universität Frankfurt sich entschieden, den 27. Januar als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus auch an der Universität  zu einem Erinnerungstag zu machen. An verschiedenen Instituten stehen eine Woche lang der Nationalsozialismus und seine Vernichtungspolitik im Zentrum von Veranstaltungen, Vorträgen, Filmen, Lesungen und Führungen. Im Rahmen der Erziehungswissenschaft gibt es zum Beispiel einen Vortrag zu  „Herrenmenschentum, Rassismus und Judenfeindschaft“ bei Lehrkräften. „Vielleicht ließe sich auch für Hildesheim über ein vergleichbares Format nachdenken“, sagt Baader. „In diesem Rahmen könnten auch studentische Arbeiten zum Thema präsentiert werden. Schließlich haben auch in dem Sammelband Studierende aus einem Seminar ihre Untersuchungen veröffentlicht, darunter zum Beispiel ein Beitrag über ein Mahnmal in Hannover“.    

Zu den Schwerpunkten des Instituts für Erziehungswissenschaft der Universität Hildesheim zählen neben „Diversity  Education“  und  auch bildungsgeschichtliche Fragen,  darunter  das  Aufwachsen   von   Kindern   und Jugendlichen im 20. und 21. Jahrhundert und damit auch während des   Nationalsozialismus. Baader begleitet zu diesem Thema mehrere Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler. So befasst sich etwa Jessica Vehse damit, wie heute bei Führungen durch Gedenkstätten über die verschiedenen Opfergruppen gesprochen wird.

Interview mit Erziehungswissenschaftlerin Wiebke Hiemesch

Im Interview beschreibt Wiebke Hiemesch, wie Kindern eine Welt „Stück für Stück zerstört wurde bis ihnen nicht einmal mehr das Recht auf den eigenen Namen blieb“. „Erwachsene und Kinder kämpften in den nationalsozialistischen Zwangslagern um kleinste Momente von zwischenmenschlicher Zuwendung und Schutz“, sagt Hiemesch. Die Erziehungswissenschaftlerin forscht an der Universität Hildesheim.

Sie haben gerade Ihre Doktorarbeit „Kinder im Konzentrationslager Ravensbrück“ abgeschlossen und sich mit den  Lebenserinnerungen von überlebenden Frauen und Männern befasst. Was untersuchen Sie in der Forschung?

Wiebke Hiemesch: In meiner Doktorarbeit widme ich mich der Gruppe der Kinder im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Ich habe Interviews mit Menschen ausgewertet, die als junger Mensch das Konzentrationslager Ravensbrück überlebt haben. Ich frage, wie die Menschen über die Lagerzeit sprechen und was wir darüber möglicherweise über ihr damaliges Erleben erfahren. Unter den Interviewten ist auch eine Frau, die als Vierzehnjährige im Lager zeichnete – eine große Ausnahme angesichts der Extremsituation des Lagers. Umso bemerkenswerter ist es, dass die Frau überlebte, die Zeichnungen aufbewahrte und der Gedenkstätte schließlich übergab. Auch die Zeichnungen habe ich mir im Rahmen meiner Forschung angeschaut. Sie zeigen Szenen und Personen aus dem Lager, wie beispielsweise eine Frauengruppe bei der körperlich und seelisch zermürbenden Zwangsarbeit. Ebenso finden sich Darstellungen, die Erinnerungen, Träume und Wünsche darstellen, zum Beispiel polnische Traditionen, christliche Motive und tanzende Frauen.

Eine Erkenntnis, zu der Sie in Ihrer Forschung kamen?

Zunächst konnte ich mit meiner Arbeit ein genaueres Bild davon zeichnen, wer die Kinder im Konzentrationslager Ravensbrück waren, warum und mit wem sie dort hingebracht wurden und unter welchen unmenschlichen Bedingungen sie lebten. Kinder hatten in allen nationalsozialistischen Zwangslagern kaum eine Überlebenschance. Auch im (Frauen-)Konzentrationslager Ravensbrück starben die meisten von ihnen an Hunger, Kälte und Erschöpfung sowie an grassierenden Krankheiten, medizinischen Versuchen und auch durch gezielte Ermordungen. Die Interviewten beschreiben, wie den Kindern eine ihnen zuvor bekannte Welt Stück für Stück zerstört wurde, bis ihnen schließlich im Lager nicht einmal mehr das Recht auf den eigenen Namen blieb. Vor dem Hintergrund allgegenwärtiger Lebensbedrohung kämpften Erwachsene und Kinder um kleinste Momente von zwischenmenschlicher Zuwendung und Schutz, jedoch immer nur soweit ihnen dies körperlich und seelisch möglich war.

Warum ist Ihre Forschung keine Zeitverschwendung – warum ist Ihre Forschung wichtig?

Viele Menschen, mit denen ich sprach, waren von meinem Promotionsthema überrascht. Ihnen war bis dahin nicht bekannt, dass auch Kinder in den nationalsozialistischen Zwangslagern eingesperrt und durch die industrielle Massenermordung umgebracht wurden. Auch in der Erziehungswissenschaft wissen wir bisher relativ wenig über die jüngsten Opfer des Nationalsozialismus. Dieser Leerstelle wollte ich mit meiner Doktorarbeit begegnen. Ich möchte das kindheitshistorische Wissen ebenso erweitern, wie eine Aufmerksamkeit für die Lebens- und Leidensgeschichten der Kinder in nationalsozialistischen Konzentrationslagern schaffen.

Wie haben Sie die Menschen gefunden, die vor mehr als 70 Jahren die Zeit im Konzentrationslager überlebt haben, bzw. welches Interviewmaterial haben Sie ausgewertet?

Eine große Unterstützung waren die Leiterin Dr. Insa Eschebach sowie die Mitarbeiterinnen der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Sie vermittelten mir ein Gespräch mit einer Überlebenden, die ich in Frankreich besuchte. Das war eine beeindruckende Begegnung. Gerne hätte ich auch die anderen Gespräche selbst geführt. Doch müssen wir bedenken, dass diese Gespräche immer wieder von neuem die Gefahr einer Retraumatisierung in sich bergen. Einige Überlebende haben trotz dessen bereits mehrmals Auskunft gegebenen. Eine zukünftige Aufgabe von Forschung ist es, sich diesen vorhandenen Interviews zuzuwenden. Für meine Doktorarbeit sah ich an der FU Berlin Interviews des Visual History Archives der Shoah Foundation ein. Der Gesamtbestand umfasst über 50.000 Interviews. Es gibt auch kleinere Projekte, wie das Archiv „Die Frauen von Ravensbrück“ von Loretta Walz, die mir ebenfalls Interviews zur Verfügung stellte. Und die Gedenkstättenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter führen selbst Gespräche, die über die jeweiligen Archive einsehbar sind.

Die Arbeit in Archiven ist ein wichtiger Bestandteil Ihrer Forschung?

Neben der reinen Schreibtischarbeit musste ich zahlreiche Archivreisen unternehmen, um die vorhandenen Interviews oder bisher wenig aufgearbeitete Archivbestände vor Ort einzusehen. Die Interviews sind aber nicht immer in deutscher oder englischer Sprache geführt. Also ließ ich Interviews aus dem Polnischen und dem Französischen übersetzen, die jetzt für weitere Forscherinnen und Forscher zugänglich sind. Um dies möglich zu machen, habe ich viel Unterstützung erfahren, etwa von der Universitätsgesellschaft Hildesheim, durch die die notwendigen Forschungsreisen und Übersetzungen überhaupt erst möglich wurden.

Welche Verantwortung tragen Sie als Wissenschaftlerin?

Die Befreiung der Zwangslager liegt mittlerweile fast 72 Jahre zurück. Gegenwärtig zeugen fast nur noch die „Child Survivors“ von den Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus. Sie sind die letzten Zeuginnen und Zeugen, auf ihnen liegt eine enorme Last. Aber auch sie werden bald nicht mehr persönlich berichten können. Ich bin überzeugt, dass die jüngere Generation sich der Verantwortung stellen muss, als sekundäre Zeuginnen und Zeugen dafür einzutreten, dass deren Lebens- und Leidensgeschichten nicht vergessen werden. Es bleibt zudem eine immerwährende Aufgabe, die Auseinandersetzung mit der Rolle von Wissenschaft für die Etablierung, Ausbreitung und Umsetzung von rassistischen und menschenverachtenden Ideologien als Bestandteil von Lehre und Forschung zu etablieren.

Nun sind Sie fertig mit Ihrer Promotion an der Universität in Hildesheim und tragen den Doktortitel – werden Sie etwas vermissen?

Ich hatte das Glück während der Promotionsphase von einem Stipendium des Studienwerks Villigst e.V. gefördert zu werden. Dies ermöglichte mir eine äußerst intensive Arbeit. Die Fertigstellung meines Manuskripts ist nun eine Weile her und ich vermisse hin und wieder die Möglichkeit mich erneut mit dieser Intensität einem Thema zuwenden zu können.

Haben Sie Sorge, wie es nun beruflich weitergeht?

Wie bei der Promotion lernt man die Vorteile und Tücken der Post-Doc-Phase erst kennen, wenn man tatsächlich drinsteckt. Man kann auf das zurückblicken, was man geschafft hat und man kann sich neuen Herausforderungen zuwenden. Entscheidet man sich dafür, an der Uni zubleiben, so ist mein Eindruck, befindet man sich zugleich erneut in einer unplanbaren und prekären Phase, die einem den Eindruck vermitteln kann, dass das Wissenschaftssystem nicht allzu viel für seinen Nachwuchs tut.  
Deshalb freue ich mich besonders, dass ich zusammen mit Prof. Dr. Meike Sophia Baader ein neues Projekt plane. Wir wollen gemeinsam an die Ergebnisse meiner Doktorarbeit anschließen und einen neuen Aspekt in den Blick nehmen, ein im Verborgenen organisiertes Unterrichtsangebot der polnischen, weiblichen Gefangenen im Konzentrationslager Ravensbrück. Auch den Zeichnungen aus dem Lager wollen wir uns noch einmal dezidierter zuwenden.

Die Fragen stellte Isa Lange.

Zur Person

Dr. Wiebke Hiemesch, 31, geboren in Hannover, Titel der Doktorarbeit „Kinder im Konzentrationslager Ravensbrück. (Über-)Lebenserinnerungen“, betreut durch Prof. Dr. Meike Sophia Baader von der Abteilung Allgemeine Erziehungswissenschaft der Stiftung Universität Hildesheim sowie Prof. em. Dr. Juliane Jacobi vom Institut für Pädagogik der Universität Potsdam.

Einblicke in Forschung

Das Interview mit Wiebke Hiemesch ist Teil einer fortlaufenden Serie über Doktorandinnen und Doktoranden an der Universität Hildesheim. Wer Einblicke in seine Arbeit, Forschungsmethoden und wissenschaftliche Erkenntnisse geben möchte, kann sich gerne in der Pressestelle bei Isa Lange melden (presse@uni-hildesheim.de).

Politikwissenschaft: Juniorprofessor für Politik und Internet

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Wolf Schünemann hat seit Herbst 2016 an der Universität Hildesheim die Juniorprofessur für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politik und Internet inne.

Er lehrt und forscht zu Themen der Internationalen Beziehungen, der europäischen Integration und seit einigen Jahren auch zur Netzpolitik. Arbeitsschwerpunkte in der Forschung sind unter anderem Cybersicherheit, Internetregulierung, Datenschutz, Netzneutralität sowie EU-Referenden. Der Politikwissenschaftler hat zuvor an den Universitäten Heidelberg und Koblenz-Landau gearbeitet. In seiner Forschung befasst sich Schünemann mit der internationalen politischen Gestaltung, der Verrechtlichung und Nutzung des Internets und den entstehenden Konflikten zwischen transnationalen, grenzüberschreitenden Ansprüchen der Internetentwicklung und strukturellen nationalen Hemmnissen.

Forschungsfragen betreffen zum Beispiel die Politik im Netz: Wie verändern sich politische Kommunikation und Wahlkämpfe im digitalen Zeitalter? Wolf Schünemann untersucht das Diskursverhalten in sozialen Netzwerken, etwa im anstehenden Bundestags- und Landtagswahlkampf in Niedersachsen. „Allerdings werden der Hype und die Verunsicherung über die Rolle von Twitter und anderen sozialen Medien im Wahlkampf (siehe Trump 2016) vergehen, das wird Normalität. Überhaupt wird man in vielen Bereichen die Zwei-Welten-Logik – online/offline – aufgeben müssen“, so Schünemann.

Was bleibt, sind die drängenden Fragen der Politik für das Netz: Kann man das Internet regieren, kontrollieren? Wie kann und muss die Regulierung aussehen? Die Antworten sind von den Wertvorstellungen in den einzelnen Gesellschaften abhängig. „Ein halbes Jahrhundert nach den Anfängen des Internets, das mittlerweile zu einem Massenmedium geworden und aus dem Alltag nicht wegzudenken ist, entsteht aus der anfänglichen Euphorie ein kritischeres Bewusstsein, einschließlich zunehmender Forderungen nach politischer Regulierung“, sagt Schünemann.

Öffentliche Antrittsvorlesung

  • Thema der Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Wolf Jürgen Schünemann: „Nation und Netz. Politikwissenschaftliche Annäherungen an eine beharrliche Gemeinschaftsform“
  • Wann? Mittwoch, 1. Februar 2017, 18:00 Uhr c.t.
  • Wo? Hörsaal 4, im Forum der Universität Hildesheim, Universitätsplatz 1

In seiner Antrittsvorlesung an der Universität Hildesheim geht Wolf Schünemann auf grundlegende Fragen der gesellschaftspolitischen Gestaltung des digitalen Zeitalters ein. Der Juniorprofessor erläutert, inwiefern die Entwicklung des Internets mit Blick auf das Politische ihr zentrales Versprechen eingelöst hat, zu einer „Transnationalisierung“ beizutragen, also den Nationalstaat tendenziell zu überwinden.

Der Hildesheimer Politikwissenschaftler analysiert, wie im World Wide Web über globale Themen diskutiert wird (etwa Klimapolitik und Internetregulierung).  „Außerdem schaue ich auf die globalen Regulierungen, die das technische Funktionieren des Internets überhaupt ermöglichen. Wie etwa kommt es zu einer weltweit verbindlichen Zuweisung von IP-Adressen und Domain-Namen – etwa Uni Hildesheim und die IP-Adressen der zugehörigen Server?“, so Schünemann.

Im letzten Teil der Antrittsvorlesung analysiert der Politikwissenschaftler staatliche Regulierungsanstrengungen: Wie wird die Regulierung von Internetinhalten in Demokratien und Autokratien betrieben? „Blicken wir auf Autokratien, so beobachten wir häufig politisch motivierte Zensur. Aber auch in den Demokratien, nicht zuletzt in Deutschland, sind vermehrt Forderungen zu hören, Internetinhalte stärker zu überwachen und Anbieter zu verpflichten, Inhalte gezielt entfernen zu lassen.“ Wolf Schünemann geht auf die aktuelle Debatte über „Fake News“ und Cyberangriffe im bevorstehenden Bundestagswahlkampf sowie Landtagswahlkamp ein. Der Vortrag ist öffentlich, interessierte Bürger sind herzlich eingeladen, mit dem Professor ins Gespräch zu kommen.

Politikwissenschaftler Wolf Schünemann über Fakten in Wahlkämpfen:

„Der Faktenchecker hatte es in Wahlkämpfen schon immer schwer, weil das Wahlkampfgeschehen zum Zeitpunkt des Checks meist schon über ihn hinweggegangen ist. Faktische und andere Informationen, die in Wahlkämpfen zirkulieren, machen Wirklichkeiten aus. Wahrheit und Vernunft werden und wurden allenfalls prozedural hergestellt. Ihnen muss also im stets fortlaufenden Wechselspiel von Argument und Gegenargument für eine gewisse Dauer Geltung verschafft werden. Hierzu – und das ist der für mich entscheidende Punkt – brauchen wir Räume der Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit. Die digitalen Medien, die hochgradig fragmentierte Informations- und Kommunikationskanäle bieten, führen zu einer Zergliederung und Auflösung dieser Räume. Hier sehe ich ein gravierendes Problem für die demokratische Öffentlichkeit durch digitale Medien. Das demokratische Versprechen des Internets ist mit der Überwindung der Gatekeeper – klassischerweise Redakteure und Journalisten, die darüber entscheiden, was publiziert wird – zur politischen Öffentlichkeit verbunden. Mit der Abschaffung der Gatekeeper lösen sich auch die ‚Plätze‘ des Meinungsaustauschs und der Wahrheits- und Willensbildung auf.“

Hildesheimer Forschungsfokus „Politik und Internet“

Wer sich mit den Auswirkungen des Internets auf die Gesellschaft und den Verflechtungen zwischen World Wide Web und Politik befasst, landet früher oder später in Hildesheim. An der Universität hat Professorin Marianne Kneuer seit 2011 den Forschungsschwerpunkt „Politik und Internet“ aufgebaut. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen etwa, welche Rolle soziale Medien in Protestbewegungen spielen und wie Regierungen ihre Verwaltung effektiver gestalten oder ihre Bürger stärker in Partizipationsprozesse einbeziehen. Entstanden ist etwa das Buch „Soziale Medien und Protestbewegungen“ von Marianne Kneuer und Saskia Richter. Ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt widmet sich derzeit Strategien autoritärer Regime.

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100 und 0177.8605905)

Am Mittwoch, 1. Februar 2017, gibt der Politikwissenschaftler Einblicke in seine Forschung.

Künstler in Konflikten: Die Rolle der Künste in politischen Umbrüchen

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Der UNESCO-Lehrstuhl am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim startet in die nächste Runde. Ein Team um Kulturpolitikprofessor Wolfgang Schneider hat seit fünf Jahren eine internationale Arbeitsgruppe aufgebaut, die die Rolle von Künstlerinnen und Künstlern in gesellschaftlichen Umbrüchen untersucht.

Die Forscher wollen nun bis 2020 die Zusammenarbeit mit Kulturschaffenden und Wissenschaftlern unter anderem in Tunesien, Marokko, Türkei, Südafrika, Nigeria und Ghana ausbauen. Die Wissenschaftler spüren in einigen Ländern Aufbruchstimmung – machen sich aber auch Sorgen: „Wir erfahren von den Kolleginnen und Kollegen, wie die Freiheit der Kunst, der Wissenschaft und der Meinung gefährdet ist“, sagt Schneider.

In den kommenden Monaten bauen die Hildesheimer Forscher mit Partnern ein internationales Beobachtungsinstrument auf, das die kulturelle Teilhabe und Verletzungen von künstlerischer Freiheit dokumentiert. Schwerpunkte dieses „Observatoriums“ liegen in den Bereichen „Freedom of Expression“ sowie „Arts rights justice“. „Wir wollen ein Instrument der Beobachtung schaffen für Künstler, die verfolgt werden, die in Not sind und unterschiedliche Formen von Zensur durch Regierung oder auch die eigene Gesellschaft erleben oder gar vom Tode bedroht werden und in Gefängnissen sitzen, weil sie Künstler sind“, sagt Schneider.

Interview mit Professor Wolfgang Schneider

Die UNESCO hat entschieden, den Hildesheimer UNESCO-Lehrstuhl „Cultural Policy for the Arts in Development“ fortzusetzen. Seit 20 Jahren forschen und lehren Sie als Professor für Kulturpolitik an der Universität Hildesheim. Wie kamen Sie zu diesem UNESCO-Amt?

Wolfgang Schneider: Vor sieben Jahren haben wir begonnen, uns um einen UNESCO-Lehrstuhl zu bewerben. Die Deutsche UNESCO-Kommission hat uns dazu aufgefordert. Wir mussten drei Hürden nehmen und Institutionen vom Sinn unserer Arbeit überzeugen: in Niedersachsen das Ministerium für Wissenschaft und Kultur, auf Bundesebene die Hochschulrektorenkonferenz sowie das Auswärtige Amt – dann erst ging der Antrag nach Paris, so ein UNESCO-Titel ist ja auch eine diplomatische Angelegenheit. 2012 hat die UNESCO in Paris der Einrichtung des UNESCO-Chairs „Cultural Policy for the Arts in Development" am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim zugestimmt. Die Auszeichnung ist ein Ehrenamt ohne zusätzliche finanzielle Mittel, befristet auf vier Jahre.

Nun haben Sie sich erneut beworben. In Deutschland gibt es nur 12 UNESCO-Lehrstühle.

Wir haben einen Bericht über die bisherige Arbeit eingereicht und Perspektiven für die kommenden Jahre formuliert – es geht darum zu zeigen, was man für die internationalen Beziehungen geleistet hat. Im Auftrag der Generalsekretärin Irina Bokowa erhielten wir einen Brief aus Paris: Der Hildesheimer UNESCO-Lehrstuhl kann seine Arbeit bis 2020 fortführen! Diese gute Nachricht begehen wir mit einem Festakt – Feiern gehört zur Kultur. (lacht)

Welches Ziel verfolgen Sie und Ihr Team vom Institut für Kulturpolitik?

Wir wollen den Nachwuchs in den Kulturwissenschaften generieren und junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf ihren Wegen in die Forschung fördern. Das beginnt schon im Studium. Und wir möchten die jungen Stimmen stärken, Künstlerinnen und Künstlern eine Entwicklungschance geben und eine Plattform bieten, um Gedanken zu teilen. Während des Festakts spricht in Hildesheim etwa Asma Al Abidi, eine junge Kulturaktivistin aus Tunis, die derzeit ein Volontariat bei der Deutschen Welle in Bonn absolviert, es handelt sich um ein Programm des Auswärtigen Amtes zur Förderung des Kulturjournalismus, sie nahm auch vor wenigen Wochen an unserem tunesisch-deutschen Forschungsatelier in Tunis teil.

Womit befassen Sie sich am Hildesheimer UNESCO-Lehrstuhl in den nächsten vier Jahren?

Ein Schwerpunkt unserer Arbeit liegt weiterhin im Bereich „Good Governance“. Die Künste – ob Theater, Musik, Literatur – sind eine Quelle für gesellschaftliche Entwicklung. Aufgabe von Kulturpolitik ist es, Strukturen zu entwickeln, um die menschliche Kreativität und Vielfalt zu fördern. Welche Rahmenbedingungen sind notwendig, um Meinungsfreiheit und künstlerisches Tun zu schützen? Welche Rolle spielen Künste und Künstler?

Die Künste im Leben – Sie befassen sich mit der Frage, welche Rolle Literatur, Film, Theater und Tanz im Alltag von Kindern und Jugendlichen und im Lebensverlauf spielen.

Es geht um Teilnahme und Teilhabe. Kulturelle Bildung ist das Fundament für kulturelle Teilhabe. Ein Beispiel aus Tunesien: Für Kinder und Jugendliche, das erfahren wir etwa über unseren tunesischen Partner vom Observatoire Culturel Tunisien, gibt es zunehmend Angebote in Kultureller Bildung, in Galerien und Kulturzentren, eher noch nicht in den Curricula der Schulen. Junge Akteure gibt es viele – aber sie sind in der offiziellen Kulturlandschaft meist außen vor. Graffiti, Hip-Hop – sie schaffen sich selbst Raum für die Künste, auf der Straße, im privaten Raum. Wo ist der künstlerische Nachwuchs? Wo werden diese Menschen ausgebildet? Es gibt noch keinen Lehrstuhl für Kulturpolitik in Tunesien, wir kooperieren hier insbesondere mit der Zivilgesellschaft. Gemeinsam mit Professorin Vanessa Reinwand-Weiss und unseren Partner-Universitäten in Pretoria (Südafrika), Nairobi (Kenia), Dar es Salaam (Tansania), Casablanca (Marokko) und Tunis (Tunesien) kommen wir im Herbst 2017 in Deutschland zusammen. Welche Infrastruktur kann von staatlicher Seite sinnvoll, was kann von zivilgesellschaftlicher Seite aufgebaut werden? Ich erhielt gerade ein euphorisches Schreiben von unseren Kollegen in Südafrika, in Pretoria entsteht der erste UNESCO-Chair für Kulturpolitik.

Sie befassen sich mit der Freiheit des künstlerischen Ausdrucks.

In den kommenden Monaten bauen wir mit Partnern ein internationales Netzwerk auf, das die kulturelle Teilhabe und Verletzungen von künstlerischer Freiheit dokumentiert. Schwerpunkte dieses „Observatoriums“ liegen in den Bereichen „Freedom of Expression“ sowie „Arts (rights) justice“. Wir wollen ein Instrument der Beobachtung schaffen für Künstlerinnen und Künstler, die verfolgt werden, die in Not sind, die unterschiedliche Formen von Zensur durch Regierung oder auch die eigene Gesellschaft erleben oder gar vom Tode bedroht werden und in Gefängnissen sitzen, weil sie Künstler sind. Wir werden ein Archiv in Hildesheim übernehmen und dieses ausbauen. Der Hildesheimer UNESCO-Lehrstuhl ist nicht nur im akademischen Elfenbeinturm auf dem schönen Kulturcampus angesiedelt – es ist unsere Verpflichtung, etwas zurückzugeben in die Gesellschaft.

Was ist denn so „gefährlich“ an der Kunst?

Ein Beispiel: Graffitis schaffen eine Gegenöffentlichkeit, sind mitten im Stadtbild zugänglich. Wir arbeiten eng mit Kulturschaffenden im nordafrikanischen Raum zusammen. Dokumentarfilme und Performances zeigen, wie lebendig der politische Aufbruch ist. Aber die Konsequenzen sind oftmals verheerend: Eine autokratische Politik gewährt Künstlerinnen und Künstlern weniger Freiraum. Wie Künstler Umbrüche beeinflussen, unter welchen Bedingungen sie arbeiten und wie sie mit ihrem Schaffen zur Entwicklung der Gesellschaft beitragen, das untersuchen wir mit Partnern vor Ort, etwa der „Arab Cultural Policy Group“. Wir stellen fest bei unseren Forschungen, dass Künstler auch so etwas wie Seismografen von Krisen sein können und andererseits auch Sprachrohr.

Literatur, Theater, Film, Musik – die Künste sind mehr als bloße Unterhaltung und kurzweilige Freude. Künste sind nicht nur „schön“, sondern haben gesellschaftliche Relevanz?

Kunst und Kultur verstehen wir als Faktor von Demokratie. Wir forschen ja darüber, inwieweit die Künste dazu beitragen, die Gesellschaft lebenswerter zu machen. Aber wer hat Zugang zu den Künsten? Kunst war vor der arabischen Revolution in 2011 den Eliten vorenthalten, Kultur hat sich in Immobilien manifestiert – das Museum, die Oper, das Konzerthaus. Heute denken wir über Teilhabe nach. In Tunesien ist derzeit immer noch eine Aufbruchsstimmung festzustellen; wenn auch mit viel Kritik und tiefer Enttäuschung dem neuen System gegenüber. Künste können auch dazu beitragen, um Konflikte und traumatische Erlebnisse zu bewältigen. Wir arbeiten von 2016 bis 2020 mit dem Hildesheimer Center for World Music und den Universitäten in Maiduguri (Nigeria) und Cape Coast (Ghana) zusammen.

Was brauchen Künstlerinnen und Künstler, um arbeiten zu können?

Was Künstler brauchen ist tatsächlich Raum – das kann etwas ganz Reales sein: der Schreibtisch, das Atelier, das Tanzlabor oder Theaterhaus. Künstler brauchen Freiraum – Raum, um auszuprobieren, ein jeder Künstler hat auch die Lizenz zum Scheitern. Künstler brauchen öffentlichen Raum, um Zugänge zu schaffen. Hildesheim ist federführend, im Lande, wenn es um die Theorie der Kulturvermittlung geht, Professorin Birgit Mandel pflegt seit Jahren diesen Bereich am Institut für Kulturpolitik. Jedes künstlerische Werk trägt Fragestellungen in sich. Es nützt nichts, Theater ohne Publikum zu machen oder als Musiker Klänge nicht zu teilen und nur auf den eigenen Kopfhörer zu laden. Werk und Rezipient gehören zusammen. Es geht auch darum, das Publikum ernst zu nehmen und in den kreativen Prozess einzubinden.

Sie sind international vernetzt, beobachten gleichwohl die lokalen kulturpolitischen Veränderungen und haben etwa eine Studie über Kultur im ländlichen Raum erarbeitet. Sie sind ein kritischer Beobachter – ihr Kommentar zur möglichen Bewerbung Hildesheims als Europäische Kulturhauptstadt?

Eine Doktorandin erforscht derzeit, wie Städte sich um den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ beworben haben. Eine Ergebnis: Es geht vor allem darum, Perspektiven zu entwickeln, wie eine Stadt sich kulturell in den nächsten Jahrzehnten konstituieren will. Das hat etwas mit dem Zusammenleben zu tun und mit den Plattformen, auf denen etwas Neues entsteht. Die Basis sind Kulturinstitutionen, aber die Zukunft ist das, was noch nicht existiert und geschaffen werden muss. Sollte es in Hildesheim zu einer Bewerbung als Kulturhauptstadt kommen, sollte man die Fragen aus der Stadtgesellschaft aufgreifen. Was brauchen wir – flächendeckende kulturelle Bildung in allen Schulen der Stadt? Warum spricht nicht mal eine Künstlerin oder ein Künstler im Stadtparlament? Warum fängt die Sitzung des Kulturausschusses nicht mit einem zeitgenössischen Musikstück an und endet mit einem Poetry-Slam in der Literaturkirche? Oft sind unsere Diskussionen sehr geprägt von Kulturfinanzierung – dabei ist es eine Frage der Haltung der Stadt.

Die Fragen stellte Isa Lange.

Das sagt die UNESCO über den Hildesheimer Lehrstuhl:

Professorin Verena Metze-Mangold, Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission, sagt anlässlich der Reakkreditierung des Hildesheimer UNESCO-Lehrstuhls:

„In der Phase globaler Liberalisierung mobilisiert der Begriff kulturelle Vielfalt ein tief empfundenes Bedürfnis nach Identität. Deshalb hat er Bedeutung erlangt und durch das Völkerrecht der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen neuen politischen Gestaltungsraum geöffnet. Die Förderung kultureller Vielfalt und Teilhabe stärken Demokratie, Toleranz und sozialen Zusammenhalt. Durch internationale Zusammenarbeit und kooperative Kulturpolitik werden Entwicklungschancen erweitert. Welchen Einfluss Kulturpolitik auf die Veränderung von Regierungsstrukturen hat und welche Rolle Künstlerinnen und Künstler in gesellschaftlichen und politischen Transformationsprozessen spielen, erforscht der UNESCO-Lehrstuhl in Hildesheim. Ich freue mich, dass diese wichtige Arbeit durch den Lehrstuhlinhaber Professor Schneider und sein Team auch in den nächsten Jahren fortgesetzt wird.“

Kurz erklärt: UNESCO-Lehrstuhl am Institut für Kulturpolitik

In Hildesheim ist ein Zentrum für kulturpolitische Forschung in Deutschland entstanden: Hier lehrt und forscht der erste und bisher einzige Universitätsprofessor für Kulturpolitik. Die UNESCO hat 2012 die Arbeit von Professor Wolfgang Schneider mit einem UNESCO-Lehrstuhl „Cultural Policy for the Arts in Development“ (Kulturpolitik für die Künste innerhalb gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse) ausgezeichnet.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen mit Partnern aus dem Mittelmeerraum, afrikanischen und arabischen Ländern die Rolle von Künstlerinnen und Künstlern in politischen Umbrüchen. Sie befassen sich in Forschung und Lehre mit der Rolle des Künstlers in der Gesellschaft, mit dem Schutz und der Förderung von künstlerischen Ausdrucksformen, mit künstlerischen Freiheitsrechten und Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit sowie  kulturpolitischen Strukturen für kulturelle Bildung. Dabei orientieren sie sich an der UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt. Die Wissenschaftler kamen in den letzten Jahren mit Partnern aus Subsahara-Afrika, der arabischen Region und dem Mittelmeerraum zusammen und bauen die Kooperation aus. 2016 wurde die zweite Periode von vier Jahren als UNESCO-Lehrstuhl durch die UNESCO bestätigt.

Festakt im Januar 2017

Während eines Festakts sprachen ein Kulturpolitikforscher aus Istanbul und eine Künstlerin aus Tunis über Kulturpolitik in der Türkei und Tunesien. Sie gaben Einblicke in die Arbeitsbedingungen von Künstlerinnen und Künstlern in gesellschaftlichen Umbrüchen. Während des Festakts findet außerdem eine Diskussion über die Rolle der Künste in Europa statt und über Internationalisierung und Offenheit am Beispiel der Stadt Hildesheim. Dabei wird es auch um eine mögliche Bewerbung Hildesheims als Europäische Kulturhauptstadt gehen.

Während des Festakts sprachen unter anderem:

  • Prof. Dr. Serhan Ada, Direktor des Cultural Policy Research Center an der Bilgi University, Istanbul
  • Asma Al Abidi, Kulturaktivistin aus Tunis, Tunesien
  • Prof. Dr. Verena Metze-Mangold, Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission
  • Prof. Dr. Wolfgang Schneider, seit 20 Jahren Professor für Kulturpolitik in Hildesheim, UNESCO-Lehrstuhl „Cultural Policy for the Arts in Development“
  • Dr. Ingo Meyer, Oberbürgermeister und Kulturdezernent der Stadt Hildesheim
  • Prof. Dr. Oliver Scheytt, Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft
  • Prof. Dr. Wolfgang-Uwe Friedrich, Präsident der Universität Hildesheim
  • Musikalische Begleitung: Lalitha und Nandini Muthuswammy, Geigenvirtuosinnen aus Chennai /Indien, Künstlerresidenz am Center for World Music der Universität Hildesheim

Medienkontakt: Bei Interesse am Thema kontaktieren Sie die Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, 05121.883-90100 und 0177.8605905, presse@uni-hildesheim.de) oder den Geschäftsführer des UNESCO-Lehrstuhls (Dr. Daniel Gad, gad@uni-hildesheim.de).

Geigenvirtuosin: Von der Millionenstadt Chennai nach Hildesheim

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Das Center for World Music ermöglicht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem Ausland Gastaufenthalte in Hildesheim. Für sechs Monate ist die indische Geigenvirtuosin Lalitha Muthuswamy derzeit in Niedersachsen. Während ihres Aufenthalts am Center for World Music arbeitet die promovierte Musikwissenschaftlerin mit Schulen und Studierenden in der Lehre zusammen.

Schulklassen erhalten Einblicke in die südindische Klassik, darunter Kompositionen, die in Indien entstanden, als in Deutschland Bach seine Kantaten, Choräle und Sonaten schrieb. „Einige sind erst 5 Jahre, andere schon 18. Es ist sehr schön mit den Kindern und Jugendlichen zusammenzuarbeiten, ich unterrichte sie darin, kleine Melodien zu singen.“

Wenn Lalitha Muthuswamy ihre Violine in die Schule mitbringt, sind die Kinder zunächst erstaunt über die Haltung. Sie fragen: „Warum hältst du die Geige nach unten und stützt sie im Sitzen auf den Füßen ab?“ „Diese Haltung gibt Halt – wenn ich die Geige zwischen Schulter und Füßen spanne, kann ich präziser und kraftvoller spielen und gebe der Geige Sicherheit“, sagt Muthuswamy. Die Dozentin der Musikakademie Chennai spielt südindische Geige. Sie wurde mehrfach von der indischen Regierung für ihre herausragende künstlerische Leistung ausgezeichnet. Ihre jüngere Schwester Nandini Muthuswamy promoviert derzeit an der Universität Hildesheim.

In Hildesheim geben Lalitha und Nandini Muthuswamy während eines Konzertes und einer Lehrveranstaltung Einblick in die klassische indische Musik. Als „Violin Sisters“ haben die beiden Profi-Musikerinnen sich einen renommierten Namen erarbeitet, seit 30 Jahren stehen die Schwestern gemeinsam auf der Bühne. „Wir geben einen Einblick in die melodische Grundstruktur in der karnatischen Musik in Südindien und sprechen über Musik und Emotion“, sagt Lalitha Muthuswamy. „Wir improvisieren viel und verwenden ‚Raga‘, die Musikformen sind mit unterschiedlichen Emotionen verbunden. Wir spielen Kompositionen aus dem 6. und 7. Jahrhundert, aus dem 18. Jahrhundert – als in Europa Bach komponierte – sowie moderne Musik aus dem 20. Jahrhundert.“

„Emotion ist ein sehr wichtiger Teil unserer Musik. Jede Note, jede Komposition, jeder ‚Rag‘ ist Emotion und als Performerin versuche ich, diese Emotion zu teilen – ob Freude oder Trauer. Jede Emotion ist wundervoll“, sagt ihre Schwester Nandini Muthuswamy.

Konzertabend im Center for World Music

Das Center for World Music der Universität Hildesheim lädt am Freitag, 3. Februar 2017, zu einem Konzert mit Gespräch ein. Der Eintritt ist frei, um eine Spende wird gebeten. Das Konzert beginnt um 19:00 Uhr im Center for World Music. „Ich würde mich sehr freuen, wenn die Zuschauer auch Fragen stellen und wir in der Universität ins Gespräch kommen“, sagt Lalitha Muthuswamy.

Kurz erklärt: Das Center for World Music

Wie leben wir mit Musik? Das Center for World Music der Universität Hildesheim bewahrt seit 2006 bedeutende Spuren und Vermächtnisse weltweiten Musikschaffens: über 4.500 Musikinstrumente, 45.000 Schallplatten, eine der größten Sammlungen Europas. Das Center widmet sich der Vielfalt musikalischer Traditionen und ist ein Archiv und Labor, ein Ort der Forschung und des Studiums, ein Treffpunkt für Musikerinnen und Musiker und eine Basis für internationale Begegnungen und Verständigung.

Das Center for World Music sichert mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes und Partnern vor Ort Musikarchive im Ausland, derzeit in Iran und Nigeria. In Ägypten und Ghana konnten physisch in ihrem Fortbestand gefährdete Tondokumente gesichert werden. Darunter sind liturgische Gesänge der koptischen Kirche aus Kairo und frühe Highlife-Aufnahmen aus den Archiven der Ghana Broadcasting Corporation in Accra. Das Center for World Music der Universität Hildesheim bildet seit 2011 Berufstätige fort, die die musikalische Vielfalt in Kitas, Schulen, Stadtteilen und Jugendzentren aufgreifen. Der Studiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“ ist bundesweit einzigartig und reagiert auf aktuelle Herausforderungen in der Gesellschaft. Musik kann vermitteln und als internationale Sprache Menschen verbinden.

Medienkontakt: Kontakt zu den Musikerinnen und Forschern über die Pressestelle der Uni Hildesheim (Isa Lange, 05121.883-90100, presse@uni-hildesheim.de).

Konzert: Das Konzert findet im Center for World Music der Universität Hildesheim statt (Timotheusplatz/Ecke Schillstraße). Eine Reservierung von Sitzplätzen (kostenfrei) ist möglich, Ansprechpartnerin ist Isa Lange (Telefon: 05121.883-90100, Email: presse@uni-hildesheim.de).

Sprache im Schulalltag: „Die Professionalität von Lehrern ist extrem kostbar“

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Hildesheim ist einer der Projektpartner in dem gemeinsamen Verbundprojekt, für das sich neun niedersächsische Hochschulen zusammengetan haben: „Umbrüche gestalten – Sprachenförderung und -bildung als integrale Bestandteile innovativer Lehramtsausbildung in Niedersachsen“. Das Niedersächsische Kultusministerium und das Wissenschaftsministerium unterstützen das Vorhaben nachhaltig. Das Projekt wird gefördert durch das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Ziel dabei ist, die Sprachenförderung in ihrer mehrsprachigen Dimension wie auch mit Blick auf Bildungssprache in die Lehrerausbildung aller Fächer – ob Mathematik, Sport, Sachunterricht oder Musik – aufzunehmen.

„Die große Diversität in der Schülerschaft als Ausgangspunkt des pädagogischen Handelns zu nehmen und sie auf Sprachenbildung zu beziehen, ist eines der Zukunftsthemen im Land“, sagt Professorin Elke Montanari. Sie ist Professorin für  Deutsch als Zweitsprache an der Universität Hildesheim und forscht in den Bereichen Mehrsprachigkeit, Sprachaneignung in unterschiedlichen Lebensphasen und sie befasst sich mit der Entwicklung des mentalen Lexikons am Zentrum für Bildungsintegration und am Institut für deutsche Sprache und Literatur.

„Kinder haben den ersten Spracherwerb schon in den frühen Lebensjahren durchlaufen. In der Schule steht bei Sprachenbildung im Mittelpunkt, diese sprachlichen Fähigkeiten zu einer ausgereiften Bildungssprache auszubauen. Bei Schülerinnen und Schülern, die mitten in ihrer Schulbiografie nach Deutschland kommen, bedeutet das, ihnen Gelegenheit zu geben, ihre mehrsprachigen Ressourcen weiterzuentwickeln, gleichzeitig die neue Sprache Deutsch in Wort und Schrift zu lernen“, so Montanari.

Die Wissenschaftlerinnen setzen sich zum Beispiel mit dem Umgang mit Sprache im Mathematikunterricht auseinander. Wie können Lehrerinnen und Lehrer sprachlich dazu beitragen, das mathematische Lernen zu unterstützen? „Unterricht, ob Deutsch oder Chemie, hat immer mit Sprache zu tun. In der Mathematik gibt es eine Besonderheit: Unsere Gegenstände sind Gegenstände des Denkens. Wir arbeiten mit Fachbegriffen und Formeln“, sagt Professorin Barbara Schmidt-Thieme, die in Hildesheim Seminare zum Thema „Wie viel Sprache steckt im Fach Mathematik?“ anbietet. „‘Eine Kugel rollt‘ – das ist Alltagssprache. Dann geht man in die Fachsprache hinein. ‚Eine Kugel hat überall den gleichen Durchmesser. Sie ist die Menge aller Punkte des dreidimensionalen Raumes, die von einem Punkt M (Mittelpunkt) den gleichen Abstand hat.‘ Diesen Übergang zu gestalten, ist Aufgabe der Lehrkräfte, dazu benötigen sie Sprache“, sagt die Mathematikdidaktikerin Schmidt-Thieme. Ein weiteres Beispiel sind die „Päckchen“. „Man denkt an den Paketboten, an Weihnachten (‚Ich packe ein Päckchen für meine Freunde.‘). Aber in der Mathematik rechnen wir Päckchen – das finden Sie in jedem Mathebuch. ‚Rechne Päckchen‘. Hier ist es gut, sich mit Studierenden genau zu überlegen, was dort eigentlich steht und ob das noch einmal erklärt werden soll. Die fachspezifische Lexik ist sehr spannend“, sagt Elke Montanari.

Im Projekt „Umbrüche gestalten“ haben die Wissenschaftlerinnen Lehr-Lern-Konzepte entwickelt und erprobt, so haben sich Studierende etwa in der Vorlesung „Einführung in die Mathematikdidaktik“ oder in einem dreisemestrigen Projektband im Masterstudium in Schulen mit dem Thema Sprachenbildung befasst. Die Lehrveranstaltungen wurden dokumentiert, damit sie übertragbar sind, sie sind künftig in einer Datenbank online abrufbar. Zudem haben die Hildesheimer Wissenschaftlerinnen national und international auf Tagungen die Frage diskutiert, was Lehrerinnen und Lehrer kennen und wissen müssen, um mit den Schülerinnen und Schülern der Zukunft zu lernen.

„Schulen können sich jetzt weiterentwickeln – das ist nötig. Die hohe und individuelle Diversität ist ein Ausgangspunkt für zukünftiges Unterrichten. Das bedeutet: Wir brauchen neue Methoden, Strategien und Veränderungen in der Lehramtsausbildung“, sagt Elke Montanari. Die Professorin startet nun ein Nachfolgeprojekt, „Umbrüche II“: In einer internationalen Ringvorlesung „Multilingualism and Diversity“ sprechen die Professoren Ofelia Garcia, Jan ten Thije und Harald Clahsen über Mehrsprachigkeit, Lernen und Vielfalt. „Wir sollten Diversität nicht als Hindernis sehen. Wenn Schülerinnen und Schüler mit zwölf Jahren als Seiteneinsteiger in unserem Bildungssystem anfangen, können wir sie nicht fünf Jahren parken und abwarten. Schülerschaft ist heterogen – welche Konzepte haben wir, hier erfolgreich zu unterrichten, um Hochbegabte, Schüler mit sozialem Förderbedarf und Schüler, die vor einem Jahren nach Deutschland gekommen sind auf ihren Wegen zu begleiten?“, so Montanari.

Zur Rolle der Lehrerinnen und Lehrer sagt Professorin Montanari: „Alle Untersuchungen zeigen, dass man die Bedeutung der Lehrpersonen nicht überschätzen kann. Sie sind enorm wichtig darin, wie sie Schülerinnen und Schüler begegnen. Ich spreche hier in Hildesheim mit Studierenden, die mit acht oder zehn Jahren nach Deutschland gekommen sind und sich erinnern: ‚Da war eine Lehrerin, die hat mich abgeholt und sie hat mich verstanden und bestärkt – dann ging das für mich richtig los.‘ Heute studieren sie Deutsch – man sieht, wie erfolgreich Bildungswege verlaufen können, wenn Lehrerinnen und Lehrer Kinder bestärken. Die Professionalität von Lehrern ist extrem kostbar. Und die gute Nachricht ist: Einer reicht. Wenn eine Schülerin eine Lehrperson findet, die sie annimmt und ihre Ressourcen wahrnimmt und stärkt, dann bringt das einen enormen Schub mit sich.“

Kurz erklärt: „Umbrüche gestalten“

Das Projekt „Umbrüche gestalten“ wird seit 2014 gefördert durch das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Das Mercator-Institut ist ein von der Stiftung Mercator initiiertes und gefördertes Institut der Universität zu Köln.. Im niedersächsischen Verbundprojekt haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von neun Hochschulen ein strukturiertes Qualifizierungsangebot zu Sprachenbildung und Sprachenförderung sowie Deutsch als Zweitsprache entwickelt. Ziel ist es, die Themen in die niedersächsische Lehramtsausbildung aller Fächer, Schulformen und Schulstufen zu integrieren. Das Projektteam der Universität Hildesheim arbeitet gemeinsam mit den Teams in Braunschweig, Osnabrück und Vechta im Bereich Grund-, Haupt- und Realschulen.

Eine Abschlusstagung findet in dieser Woche in Hannover statt (Februar 2017). Auf der von der VolkswagenStiftung geförderten internationalen Tagung werden die Projektergebnisse vorgestellt. Unter anderem sprechen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Harvard Graduate School of Education, USA, und der Freien Universität Bozen, Italien.

Kurz erklärt: Studium – Deutsch als Zweitsprache

Die Universität Hildesheim bietet den Studiengang „Deutsch als Zweitsprache/Deutsch als Fremdsprache“ an. Der Masterstudiengang macht sichtbar, dass Mehrsprachigkeit zu unserem Alltag gehört. Absolventinnen und Absolventen können an Schulen und Hochschulen im Ausland arbeiten oder in international vernetzten Betrieben die deutsche Sprache und Kultur vermitteln. Sie können sich für die Sprachförderung in Schulen spezialisieren, in der Bildungsplanung in Behörden oder in der Schulbuchherstellung arbeiten und Erwachsene in Integrationskursen unterrichten. Der Studiengang kann auch berufsbegleitend und in Teilzeit studiert werden, zum Beispiel begleitend zu einer Lehrtätigkeit.

Medienkontakt: Kontakt zu den Wissenschaftlerinnen über die Pressestelle der Uni Hildesheim (Isa Lange, 05121.883-90100, presse@uni-hildesheim.de)

Physik: Wir hören das Universum

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Gravitationswellen, das ist das, was von allem ausgeht, was eine Masse besitzt. So ungefähr würde die Theorie lauten, die Albert Einstein vor 100 Jahren aufstellte, würde man sie in einem Satz zu erklären versuchen. Weil es natürlich nicht sinnvoll ist, etwas so komplexes wie die Gravitationswellentheorie in nur einem Satz zu erfassen, hat die Universitätsgesellschaft Hildesheim den Physiker und Forscher Professor Karsten Danzmann eingeladen, über den Sensationsnachweis der Theorie zu berichten.

Innerhalb kürzester Zeit füllen sich die Reihen im Audimax; alles was Rang und Namen hat, aber auch viele Studierende, Naturwissenschaft-Interessierte und Gasthörende sind gekommen, um den Vortrag des Physikers zu hören. Karsten Danzmann ist leitender Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in der Abteilung Laserinterferometrie und Gravitationswellenastronomie. In Zusammenarbeit mit weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (unter anderem in den USA) ist es ihm im September 2015 gelungen Gravitationswellen nachzuweisen. Davon und von den sensationellen Möglichkeiten soll sein Vortrag handeln.

„Der Zufall begünstigt den vorbereiteten Geist“ zitiert Universitäts-Präsident Professor Wolfgang-Uwe Friedrich den Chemiker und Mikrobiologen Louis Pasteur in seinen einleitenden Worten. Denn obwohl es scheinbar eine Reihe glücklicher Zufälle gewesen ist, die den Fund der Gravitationswellen am 14. September 2015 möglich gemacht hat, so waren es doch jahrelange Arbeit und eine kräftezehrende Forschung. Danzmann selbst ist den Gravitationswellen schon seit 27 Jahren auf der Spur. Somit war es perfektes Timing, dass die Messanlage genau an diesem 14. September für einen Testlauf angeschaltet wurde, dass genau an diesem 14. September zwei schwarze Löcher, sich erst langsam, aber mit der Zeit immer schneller umeinander kreisend, verschmolzen und diese messbare Gravitationswelle auslösten.

Von einer Jahrhundert-Entdeckung ist die Rede, denn bisher konnte man den Weltraum nur mit elektromagnetischer Strahlung absuchen. Dabei können die elektromagnetischen Wellen leicht abgelenkt oder verschluckt werden. Gravitationswellen aber - und das ist das sensationelle an ihrem Nachweis - haben den Vorteil, dass sie schlicht alles durchdringen. Dadurch wird der Weltraum zu einem extremen Teil vermessbar. „Das ist, als hätte die Astronomie ein neues Sinnesorgan erhalten“, sagt Karsten Danzmann. „Wir können das Universum hören!“

Wer mehr über Gravitationswellen und ihre Auswirkungen lesen möchte: Gravitationswellen.

Über den Autor: Luca Lienemann studiert Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis an der Universität Hildesheim. Er ist Redaktionsmitglied der Plattform Litradio, des studentischen Feuilletons FALTBLATT. Er gehört zum neuen Redaktionsteam des Uni-Journals.

Mehr zum Thema: Raumzeitlabor in Hildesheim

Ein Labor für Raum und Zeit: Ein Team um Physikprofessorin Ute Kraus und Corvin Zahn von der Universität Hildesheim arbeitet in einem Uni-Labor, der „Raumzeitwerkstatt", an Wegen, die Relativitätstheorie anschaulich zu erklären und zu visualisieren, etwa in Computersimulationen und Experimenten. Vor über 100 Jahren (1915) hat Albert Einstein die Allgemeine Relativitätstheorie veröffentlicht. Die Relativitätstheorie ist ein Teilgebiet der Physik, das bisher kaum Eingang in den Schulunterricht gefunden hat – trotz der grundlegenden Bedeutung dieser Theorie, die unser heutiges Verständnis von Raum, Zeit und Schwerkraft beschreibt (hier geht's zum Raumzeitlabor).


Online-Feuilleton entsteht: „Es geht darum, die Gegenwart zu treffen“

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Seit heute ist „Pfeil und Bogen“ online, die neue literarische Revue des Literaturinstituts. Ein „lebendiges Jetztzeitarchiv der Gegenwartsliteratur“ entsteht in Hildesheim. Was machen Sie da?

Wir bewegen uns in verschiedenen Bereichen. Vor allem wollen wir herausfinden: Was passiert jetzt im literarischen Feld? Es gibt eine vielfältige Literaturszene im deutschsprachigen Raum. Wir schauen systematisch auf die Autorinnen und Autoren unter 40 Jahre. Es geht also oft um das Debüt oder das gerade mal zweite Buch. Was für Trends erkennen wir? Wie werden Autorinnen und Autoren inszeniert? Wie inszenieren sie sich selbst? Wie unterscheiden sich Schreibstile?

„Pfeil und Bogen“ heißt das Online-Feuilleton, das Sie gerade mit Studentinnen und Studenten aufbauen. Wonach „jagen“ Sie?

Es geht darum, die Gegenwart zu treffen. Es geht um sprachliche Eleganz, um Bewegungen mit Sprache. Wir beschäftigen uns mit Lektüre, die noch ganz frisch ist, ein Diskurs, der sich schnell verändert und in dem immer neue junge Stimmen auftauchen. Wenn man liest, sammelt man Spuren, eine imaginäre Beute, die man mit sich trägt und von der man zehrt – Damit erinnert „Pfeil und Bogen“ auch daran, welche Bedeutung Literatur für uns haben kann.

Wie binden Sie Studentinnen und Studenten ein?

Wir verbinden auf dem Kulturcampus und am Uni-Literaturinstitut Theorie und Praxis – das prägt das Studium von Beginn an. Studentinnen und Studenten beschäftigen sich schreibend, beobachtend mit Literatur. Im Redaktionsseminar werden immer neue Studierende aus jüngeren Semestern hinzukommen – „Pfeil und Bogen“ wird sich folglich auch permanent verändern. Aktuell erarbeitet Thomas Klupp mit 100 Studierenden die Texte für die Rubrik „Radar“. Sie orten, was im Literaturbetrieb Wellen schlägt und zeichnen literarische Bewegungen auf. Teams stürzen sich auf aktuelle Gegenwartsliteratur. Im Sommer beschäftigt sich unter anderem. Christian Schärf mit der aktuellen literarischen Saison.

Was passiert mit Literatur, wie entsteht Literatur, wer schreibt? Sie besprechen nicht nur Einzeltitel, sondern wollen auch Debatten über den Literaturbetrieb führen. Was passiert, wenn ein Buch und Worte einmal in der Welt sind?

Wir beobachten aktuell, wie das Thema Migration in der jüngeren Gegenwartsliteratur aufgegriffen wird. Wir beschäftigen uns mit fiktionalen Texten wie auch mit Lyrik. Aktuell liegen cut-up-Collagen von Sirka Elspaß auf meinem Schreibtisch, sie studiert in Hildesheim und entwickelt Texte aus Bruchstücken – wie Erpresserbriefe. Wir greifen einzelne Bücher heraus und porträtieren junge Autorinnen und Autoren. Dabei entsteht eine Nähe, ein gemeinsamer Diskurs zwischen jenen, die schreiben und jenen Hildesheimern, die über die Schreibenden schreiben. Außerdem blicken wir auf Textformen, die wir noch gar nicht kennen. Simon Roloff und sein Seminar etwa beschäftigen sich mit „kleinen Formen“.

…kleine Formen? Twitter als Literatur?

Kleine Formen fangen beim Tweet an. Klein ist auch ein Text, der sich der Perspektive einer Webcam annähert, sich auf das Sichtfeld konzentriert, ohne Meinung oder Vorwissen einzufädeln. Georges Perec hat schon in den 60er Jahren solche Beobachtungsinstrumente entwickelt.

Wie gehen Sie vor? Orientieren Sie sich an Debatten in Zeitungen oder an dem Programm der Verlage?

Verlage planen lange im Voraus. Seit Herbst planen wir „Pfeil und Bogen“. Die Studentinnen und Studenten arbeiten mit Fahnenexemplaren, also erste Vordrucke der jetzt in den Frühjahrsprogrammen erscheinenden Bücher. Aber wir bauen auch auf einem großen Netzwerk auf: Unsere Studierenden und Lehrenden sind gut vernetzt, über die Literaturzeitschrift „Bella triste“ und das Festival „Prosanova“ stoßen wir schnell auf interessante, kaum bekannte Stimmen.

Warum publizieren Sie online?

Es gibt pragmatische Gründe: Wir sparen uns die Druckkosten. Aber viel wichtiger ist: Das Netz ist ein schnelles Medium. Das Netz ist das Medium, wo jene, die schreiben und über die geschrieben wird, sich bewegen. Wir haben keine Bezahlschranken – alles ist online zugänglich. „Pfeil und Bogen“ richtet sich nicht an ein Insider-Publikum – wir schreiben für jeden.

Viele sprechen zurzeit über Fakten und Fiktion. Wie erleben Sie als Literaturwissenschaftler diese Debatte?

„Die Wirklichkeit ist eine Konstruktion“, ein Zitat von Siegfried Kracauer aus seinem großen Essay „Die Angestellten“ von 1930. Entscheidend ist der Kontext, indem Fakten und Fiktionen stattfinden. Ein Beispiel: Ein Journalist muss in seinen Texten zeigen, warum etwas so ist, muss Quellen prüfen und das Vorgehen transparent und nachvollziehbar machen. Wenn ich dies nicht beachte, ergeben sich Möglichkeiten für Manipulationen. Mit Fakten und Fiktion umzugehen, das muss gelernt werden – Kinder und Jugendliche sollten lernen, wie sie sich Informationen beschaffen und Vergleiche ziehen. Meinen Studierenden rate ich: Ihr solltet eine Programmiersprache lernen, damit ihr wisst, wie Algorithmen funktionieren – sie prägen den digitalen Alltag.

Die Fragen stellte Isa Lange.

Kurzinfo zur Person: Dr. Guido Graf

Seit 2008 ist Dr. Guido Graf als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft der Stiftung Universität Hildesheim tätig ist. Er hat Germanistik, Kunstgeschichte und Politikwissenschaft in Braunschweig studiert und seine Dissertation über den Briefwechsel zwischen den Schriftstellern Arno Schmidt und Hans Wollschläger (Lehrer-/Schülerverhältnis) geschrieben. Bevor er  nach Hildesheim kam, arbeitete er als freier Journalist für Zeitungen und den Rundfunk. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in den Bereichen Literaturvermittlung, Sound-Poetik, Social Reading, Radio, Medientheorie, Gegenwartslyrik und Übersetzung. Für seine hervorragenden Leistungen in der Lehre wurde Guido Graf im vergangenen Jahr mit dem Lehr-Preis der Universität ausgezeichnet.

Kurz erklärt: Online-Feuilleton „Pfeil und Bogen“

Am 7. Februar 2017 startet „Pfeil und Bogen“, die neue literarische Revue des Literaturinstituts der Universität Hildesheim. Ein lebendiges Jetztzeitarchiv der Gegenwartsliteratur soll in den kommenden Wochen entstehen und ausgebaut werden. Hier kann man sich informieren über die neuen Bücher und Autorinnen und Autoren, über Debatten und Diskurse um die jüngere Literatur, über wesentliche poetologische und produktionsästhetische Positionen sowie über den Wandel des Literaturbetriebs und mediale Novitäten und Trends im literarischen Feld der Jetztzeit. Das Online-Feuilleton bietet auch Raum für Werke im Werden und sammelt Fundstücke an den Rändern der Literatur.

Herausgeber sind Jenifer Becker, Guido Graf, Kevin Kuhn, Thomas Klupp, Hanns-Josef Ortheil, Simon Roloff und Christian Schärff. Die Lehrenden des Hildesheimer Literaturinstituts produzieren „Pfeil und Bogen“ laufend zusammen mit Studierenden in Seminaren und Übungen. Ein regelmäßiges Redaktionsseminar sorgt für die Organisation des Unternehmens.

Pfeil und Bogen. Literarische Revue

Hanns-Josef Ortheil, Schriftsteller und Professor für Kreatives Schreiben, über Pfeil und Bogen

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, 05121.883-90100, presse@uni-hildesheim.de)

Musik: „Mein Skateboard habe ich gegen eine Gitarre getauscht“

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Werkschau: Öffentliches Konzert am Samstag, 18. Februar 2017

Welche Rolle spielt Musik in deinem Leben?

Omid Bahadori: Die Musik war eigentlich schon immer in meinem Kopf. Mit 12 Jahren habe ich mit meinem älteren Bruder Iran verlassen. Ich landete nach zwei Jahren reisen und Aufenthalte in verschiedenen Ländern in Hannover in einer Wohngemeinschaft von Musikern. Ich habe mein Skateboard gegen eine Gitarre getauscht. Mit Hilfe von Büchern aus der Leihbibliothek eignete ich mir bald die ersten Akkorde an, um den Beatles oder Doors folgen zu können. Seitdem begleitet mich die Musik, ich bin jetzt 44.

Wie hast du das Musizieren erlernt – in der Schule, im Privatunterricht, via Youtube?

Damals gab es Youtube noch nicht. Ich bin Autodidakt und habe viele Lehrer, von denen ich mir immer etwas abschaue. Ich lerne beim Hören und ich lese in Büchern nach. Die Schulband ermöglichte mir, wie vielen aufstrebenden Musikerinnen und Musikern, den ersten Auftritt.

Wie sieht dein musikalischer Alltag aus?

Mein Beruf ist das Musizieren. Ich verbringe aber nicht den ganzen Tag mit Musik. Mit drei Musikern aus der Mongolei habe ich die Band Sedaa (persisch für Stimme) gegründet und bin auch für das Management verantwortlich. Das erfordert sehr viel Organisation. Wir spielen Kompositionen aus traditionellen Gesängen und vermischen Untertongesang, die fast vergessene uralte Tradition des Kehlgesangs und die Pferdekopfgeige mit Rock, Jazz und Klassik.

Welche Rolle spielt Musik in der Gesellschaft?

Musik kann Menschen verbinden und gemeinsame Erlebnisse schaffen. Es ist heute gar nicht so einfach, mal die Technik abzuschalten und das Smartphone wegzulegen. Wenn man sich gemeinsam auf ein Musikstück einlässt und mal die Technik und Kommunikationsmittel weglässt, dann kann man sich gemeinsam auf eine Sache konzentrieren – und gemeinsame schöne Erinnerungen schaffen.
Musik wird aber auch ausgenutzt, um Leute zu manipulieren, Hass zu verbreiten. Und Klänge werden auch eingesetzt, um Menschen im Supermarkt beim Einkaufen zu berieseln. Am schlimmsten finde ich die Ballermann-Mucke in den Fitness Studios – dann doch lieber Stille.

Du kommst aus Hannover, eine Großstadt. Warum hast du dich entschieden, in Hildesheim zu studieren und nicht in einer der pulsierenden Metropolen?

Hildesheim ist manchmal lebendiger als Hannover, vor allem begegne ich hier einer Vielfalt an Klängen. Durch Studiengänge wie musik.welt und die Kulturpädagogik, heute Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis, trifft man auf ein buntes Treiben junger Menschen, die viele tolle Ideen haben. In Hannover verlieren sich manchmal gerade die kleinen Konzerte, die gegen große Player weniger Chancen haben.

Im Studium am Center for World Music erlernst du ein weiteres Instrument, eine „musikalische Fremdsprache“.

Ich möchte eine andere Klangfarbe kennenlernen, die Gitarre ist mein Hauptinstrument. Ich möchte mein Spiel auf der Rahmentrommel um andere Techniken erweitern. Es ist sehr wichtig, dass ich das neue Instrument regelmäßig erklingen lassen. Das ist ein Routine-Ding, viel hängt beim Spielen der Rahmentrommel von der Fingerfertigkeit und der Kraft und Beweglichkeit der Finger ab. Im Studium geht es nicht nur um das Musizieren, wir kommen aus unterschiedlichen Berufen – Schule, Kita, Kultureinrichtungen – und wollen unsere Arbeit verfeinern und Menschen für Musik begeistern.

Die Fragen stellte Isa Lange.

Kurzinfo zur Person:

Omid Bahadori, 44, 1972 in Isfahan in Iran geboren, Berufsmusiker. Seine Instrumente sind Gitarre, Percussion wie zum Beispiel die Rahmentrommel. Er studiert berufsbegleitend seit Herbst 2016 „musik.welt“ am Center for World Music der Universität Hildesheim. Während der Werkschau am Samstag, 18. Februar 2017, kombiniert er im Ensemble mit zwei weiteren Musikern die Rahmentrommel, den Kehlgesang und Bass. Im Solo improvisiert Omid Bahadori auf der Rahmentrommel.

 

Kurz erklärt: Der Studiengang

Voneinander lernen: Studiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“

Seit 2011 bildet das Center for World Music der Universität Hildesheim Berufstätige fort, die die musikalische Vielfalt in ihrem Arbeitsumfeld aufgreifen – in Kitas, Schulen, Stadtteilen und Jugendzentren.

Der Studiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“ ist bundesweit einzigartig und reagiert auf aktuelle Herausforderungen in der Gesellschaft. Musik kann vermitteln und als internationale Sprache Menschen verbinden. Bisher haben 80 Personen aus 13 Herkunftsländern im Alter von 20 bis 60 Jahren „musik.welt“ studiert. Unter ihnen sind Musikerinnen und Musiker, Lehrer, Sozialpädagogen, Erzieher und Komponisten. Viele Studentinnen und Studenten haben Abschlüsse im Ausland erworben. Sie haben vielfältige musikalische und berufliche Biografien. Sie lernen von- und miteinander in der Gruppe. Gemeinsam entwickeln sie neue Konzepte und Projekte in der Musikvermittlung. Jeder Student erlernt während der zwei Jahre ein weiteres Instrument – eine „musikalische Fremdsprache“ – und erhält Einzelinstrumentalunterricht.

Der Hörsaal im Center for World Music ist ungewöhnlich – ein ehemaliger Kirchenraum mit etwa 3000 Musikinstrumenten: Hier erklingen Oud, Sitar und Charango, Rahmentrommel, Bass und Balalaika, Bogenharfe und Tar. Studierende lernen inmitten einer der größten privaten Sammlungen außereuropäischer Instrumente. Und sie gehen heraus, in die Stadtteile, in Wohnzimmer, in Schulen und entwickeln Musikprojekte vor Ort in ihrem Arbeitsfeld. „Musik ist eine emotionale Kraft – sie kann Verständigung fördern aber auch trennend wirken und wird in Konflikten eingesetzt. Musik läuft nicht nur nebenher, sie ist nicht nur Unterhaltung", sagt Professor Raimund Vogels.

Jetzt bewerben: Studium am Center for World Music

Der berufsbegleitende Studiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“ ist Teil des Förderprogramms der Stiftung Niedersachsen und führt in vier Semestern zu einem Master-Abschluss. Es besteht die Möglichkeit, auf Zertifikat zu studieren. Ein Bachelor-Abschluss oder Ähnliches ist dann nicht erforderlich. Der Studiengang wendet sich an alle, die Kompetenzen erlangen möchten, um die integrative Kraft der Musik in der täglichen Arbeit zu nutzen.

Die nächste Runde startet im Wintersemester 2017/18. Interessierte können sich für den nächsten Jahrgang bewerben, die Bewerbungsphase endet am 1. Juli 2017. Der Studienbeginn ist im Herbst 2017. Bei Interesse am Studiengang, können sich Studieninteressierte mit ihren Fragen und Anliegen bei Morena Piro melden (E-Mail: piromo[at]uni-hildesheim.de).

Öffentliche Werkschau

Wer sich vor Ort einen Eindruck verschaffen möchte, kann am Samstag, 18. Februar 2017, in der Universität vorbeikommen. Im Center for World Music (Schillstraße/Ecke Timotheusplatz, 31141 Hildesheim) zeigen Studentinnen und Studenten aus dem aktuellen Jahrgang ihr Können, solo und in Ensembles. Das Konzert besteht aus vielen kleinen Konzerten, zwischendurch ist Zeit für Gespräche. Die Werkschau ist öffentlich und findet zwischen 17:00 bis etwa 20:00 Uhr statt. Der Eintritt ist frei.

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, 05121.883-90100, presse@uni-hildesheim.de)

Einwanderungsgesellschaft: Miteinander in Vielfalt

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„Wir brauchen dieses Leitbild, weil unsere Einstellung zur Einwanderung das Selbstverständnis von Staat und Gesellschaft berührt. Unser Umgang mit Vielfalt und gerechte Teilhabemöglichkeiten sind Gradmesser für unsere Demokratie, den sozialen Frieden und Sicherheit“, sagt Staatsministerin Aydan Özoğuz, Vorsitzende der 38-köpfigen Kommission, die das Leitbild im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erarbeitet hat. Die Stiftung lud Expertinnen und Experten aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, unter anderem aus der Wissenschaft, ein, an der Erarbeitung eines Leitbilds mitzuwirken. Die Kommission nahm im Juni 2016 unter dem Vorsitz von der Staatsministerin ihre Arbeit auf.

Grundpfeiler der Einwanderungsgesellschaft bilden für die Autorinnen und Autoren das Grundgesetz, die Achtung der Menschenrechte, die Einbettung Deutschlands in die Europäische Union und der Respekt vor der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. „Gemeinsamkeiten können nicht allein staatlich verordnet werden“, sie „entstehen im Zusammenleben“. „Rassismus und Diskriminierung stellen eine Verletzung der Grund- und Menschenrechte dar und haben daher keinen Platz in der deutschen Gesellschaft. Der Schutz vor Diskriminierung muss ein Grundpfeiler des Zusammenlebens sein, weil er Zugehörigkeit und Teilhabe ermöglicht“, schreiben die Autorinnen und Autoren.

„Ein Leitbild für die Einwanderungsgesellschaft war längst überfällig. Es eröffnet die Chance einer breiten Debatte über unser Selbstverständnis im Zeichen gesellschaftlichen Wandels, der nicht nur aber auch durch Migration in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geprägt ist“, sagt Professorin Viola Georgi von der Universität Hildesheim. Sie befasst sich in der Forschung mit der Frage, wie eine Geselllschaft organisiert ist, die niemanden ausschließt und Vielfalt als Normalität anerkennt.

Die Erziehungswissenschaftlerin leitet in Hildesheim das „Zentrums für Bildungsintegration – Diversity und Demokratie in Migrationsgesellschaften“. 2017 wurde die Expertin für Fragen der Bildung in der Einwanderungsgesellschaft in den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration berufen. Professorin Georgi befasst sich in der Forschung unter anderem mit Heterogenität in der Schule, Bildungsmedien, historisch-politischer Bildung in der Migrationsgesellschaft und Demokratiepädagogik.

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, 05121.883-90100, presse@uni-hildesheim.de)

Nachtschicht für aufgeschobene Hausarbeiten

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Nachtschicht am Laptop – aber nicht allein:  Umgeben von Büchern  können Studentinnen und Studenten von Donnerstag- auf Freitagnacht ihre aufgeschobenen Hausarbeiten endlich anpacken. Die „Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“ beginnt am Donnerstag, 2. März 2017, um 20:00 Uhr.

Ein Team der Universitätsbibliothek und des Lese- und Schreibzentrums berät zum Beispiel beim Strukturieren von Texten und Recherchieren nach Literatur. „Wenn man gemeinsam in dieser besonderen Atmosphäre in der Nacht in der Uni schreibt, dann ist das ein Motivationsschub. Man sieht, wie die anderen vorankommen oder verzweifeln, kann sich gegenseitig unterstützen. Wissenschaftliches Arbeiten ist keine einsame Tätigkeit“, sagt Jana Zegenhagen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für deutsche Sprache und Literatur. In der Schreibberatung gibt sie mit ihrem studentischen Team vielen Studierenden mit auf den Weg, „dass man sich erste Fassungen erlauben und sich Zeit einräumen sollte für das Bearbeiten von Texten“. „Im Unterschied zum Postkarten schreiben geht es beim wissenschaftlichen Schreiben darum, Erkenntnisse zu gewinnen, das eigene Wissen zu erweitern und für Leser darzustellen. Das braucht Zeit und Gespräche – in allen Phasen von der Themenfindung über die Literaturbeschaffung bis hin zur Überarbeitung.“

Jana Zegenhagen organisiert die „Lange Nacht“ gemeinsam mit der Bibliotheksmitarbeiterin Elisabeth Tränkler und ihren studentischen Teams. „Wir wollen da sein, beraten und einen Raum anbieten, in dem man sich über eine der wesentlichen Tätigkeiten im Studium austauschen kann – das Schreiben.“

An über 50 Universitäten und Hochschulen im deutschsprachigen Raum und in den USA und zum Beispiel in Singapur treffen sich seit 2011 einmal im Jahr tausende Studierende, um gemeinsam zu schreiben, aufgeschobene Arbeiten endlich anzupacken oder begonnene abzuschließen. In Hildesheim findet die „Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“ seit 2011 statt.

Lese- und Schreibzentrum

Das Team des Lese- und Schreibzentrums am Bühler-Campus ist jede Woche ansprechbar und unterstützt Studentinnen und Studenten aller Fachbereiche mit Beratung, Workshops und Schreibgruppen. Studentische Lese- und Schreibberaterinnen und Schreibberater helfen mit Feedback und Tipps zu Lese- und Schreibtechniken. Studierende können einfach zu den Sprechzeiten kommen oder einen Termin vereinbaren (Learnweb-Kurs „Anmeldung Lese- und Schreibzentrum“).

Lernort Universitätsbibliothek

Die Universitätsbibliothek Hildesheim bietet etwa 320 Arbeits- und Lernplätze und mehrere online reservierbare Gruppenarbeitsräume für Studierende an. In Schulungen können Studierende, Lehrende und Bürgerinnen und Bürger aus der Region ihr Wissen rund um Literaturverwaltung, Literaturrecherche und Nutzung digitaler Informationsquellen auffrischen.

Bildungsforschung: Inklusion in der frühen Kindheit

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Bereits 2009 hat Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet und sich damit verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem umzusetzen. Seitdem verändert sich das gesamte Bildungssystem und die Kinder- und Jugendhilfe, einschließlich der Kindertagesstätten. Pädagoginnen und Pädagogen lernen, konstruktiv mit den unterschiedlichen sozialen, sozio-kulturellen, körperlichen und biografischen Voraussetzungen von Kindern und Jugendlichen umzugehen und die Teilhabechancen für alle zu verbessern. Wie das aber im Alltag passiert, etwa in Kindertagesstätten, wird bisher kaum untersucht. Hier setzt der Hildesheimer Forschungsverbund an. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tauchen ein in den Alltag und dokumentieren in empirischen Studien das Geschehen in Kitas und den Übergang in die Grundschule.

„Wir vertiefen die Bildungs- und Teilhabeforschung in der frühen Kindheit“, sagt Peter Cloos, Professor für Pädagogik der frühen Kindheit an der Universität Hildesheim und Sprecher des Kompetenzzentrums Frühe Kindheit Niedersachsen. Gerade im Bereich der Bildung und der sozialen Teilhabe der bis sechsjährigen Kinder gibt es noch erhebliche Forschungslücken in Bezug auf die Inklusion. „Im gesamten Bildungssystem und in der Kinder- und Jugendhilfe geschehen aktuell große Umwälzungen. Inklusion ist eine breit diskutierte Herausforderung. Wir wollen dazu beitragen, das noch geringe empirische Wissen auszubauen und die unterschiedlichen Forschungstraditionen zu verbinden“, so Cloos.

Das Land Niedersachsen fördert am Kompetenzzentrum Frühe Kindheit Niedersachsen der Universität Hildesheim den Forschungsverbund „Inklusive Bildungsforschung der frühen Kindheit als multidisziplinäre Herausforderung" bis 2020 mit insgesamt 1,3 Millionen Euro. Neben Hildesheim werden Verbundprojekte in Göttingen und Hannover aus dem „Niedersächsischen Vorab“ gefördert.

Der Hildesheimer Forschungsverbund bearbeitet sechs Forschungsprojekte. Beteiligt sind insgesamt acht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Erziehungswissenschaft, Entwicklungspsychologie, dem Fremdsprachenerwerb und der Mathematikdidaktik, der Neurodidaktik sowie Sozial- und Organisationspädagogik. „Ich freue mich auf die weitere Vertiefung unserer Zusammenarbeit im Kompetenzzentrum, wir wollen gemeinsam neue Perspektiven für eine inklusive Bildungsforschung der frühen Kindheit entwickeln", sagt Professor Cloos.

Neue Erkenntnisse sollen schnell in die Praxis gelangen – in die Wissenschaft, die Politik, die Kinder- und Jugendhilfe und in die Bildungseinrichtungen. Der Forschungsverbund arbeitet eng mit Partnern aus der Praxis zusammen und entwickelt gemeinsam mit den Praxispartnern Konzepte für den Transfer, unter anderem mit Kindertagesstätten und Grundschulen, der Landesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen Niedersachsen/Bremen e.V. (lagE), dem Kinder- und Jugendbereich der Diakonie Himmelsthür, dem Verein für Frühe Mehrsprachigkeit an Kitas und Schulen (FMKS). Geplant sind ebenso Kooperationen mit Jugendämtern, Fachschulen und Einrichtungen der Fort- und Weiterbildung. In allen Forschungsprojekten werden konkrete Transfermaßnahmen für die pädagogische Praxis entwickelt und umgesetzt. Die Forschungsprojekte laufen bis 2020. Ergebnisse werden auf Tagungen vorgestellt.

Im Forschungsverbund unterstützt die Universität Hildesheim zehn Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler in der Phase  während und nach der Promotion. Sie promovieren in den Projekten, werden vom Uni-Methodenbüro in der Wahl der Forschungsmethoden unterstützt und können sich mit laufenden Vorhaben aus den Graduiertenkollegs „Multiprofessionalität in der Bildungsinfrastruktur und in Sozialen Diensten“, „Gender und Bildung“ und den Promotionskollegs „Bildungsintegration“ und „Unterrichtsforschung" vernetzen. Die im Verbund beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können auch im Promotionsstudiengang Sozial- und Organisationspädagogik, dem bundesweit ersten akkreditierten Studiengang dieser Art, promovieren.

Wer Interesse an dem Forschungsverbund hat, kann sich an Prof. Dr. Peter Cloos wenden (E-Mail cloosp@uni-hildesheim.de).

Folgende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Hildesheim leiten die sechs Forschungsprojekte:

  • Prof. Dr. Meike S. Baader (Allgemeine Erziehungswissenschaft)
  • Prof. Dr. Peter Cloos (Pädagogik der frühen Kindheit) (Sprecher)
  • Dr. Florian Eßer (Sozialpädagogik)
  • Prof. Dr. Kristian Folta-Schoofs (Neurodidaktik)
  • Prof. Dr. Kristin Kersten (Didaktik des Englischen und Spracherwerb)
  • Prof. Dr. Claudia Mähler (Pädagogische Psychologie und Diagnostik)
  • Prof. Dr. Barbara Schmidt-Thieme (Mathematik und ihre Didaktik)
  • Prof. Dr. Wolfgang Schröer (Sozialpädagogik)

 

Die sechs Forschungsprojekte im Überblick:

Wie Kinder sich entwickeln – Kognitive Entwicklung und Förderung in inklusiven Settings

Studie „Frühe Inklusion beim Schriftspracherwerb“ (FRISCH)

Schon lange vor der Einschulung bringen Kinder ganz unterschiedliche Voraussetzungen für die Schriftsprache mit. Ein Team aus der Pädagogischen Psychologie und Diagnostik um Professorin Claudia Mähler untersucht, wie Kindern der Einstieg in den Schriftspracherwerb gelingt. Welche Kinder profitieren in welcher Weise von einer Förderung zu welchem Zeitpunkt?

Claudia Mähler arbeitet mit Kitas und Grundschulen in der Region Hildesheim zusammen. Die Interventionsstudie beginnt im letzten Kindergartenjahr und begleitet 160 Kinder beim Übergang in die Grundschule und in den ersten beiden Schuljahren. Zunächst werden verschiedene Vorläuferkompetenzen erfasst, die für das Erlernen der Schriftsprache wichtig sind, etwa die Leistung des Arbeitsgedächtnisses, der Sprachentwicklungsstand und vor allem die „phonologische Bewusstheit“. Die Wissenschaftlerinnen untersuchen, wie sich ein Training der phonologischen Bewusstheit im letzten Kindergartenjahr und wie sich eine Umstellung des Eingangsunterrichts im Fach Deutsch auf das Erlernen der Schriftsprache auswirken.

„Ich freue mich, das Thema Inklusion nun auch in die frühe Bildung hineinzutragen und den Übergang vom Vorschulalter in die Schule begleiten zu können“, sagt Claudia Mähler. Die Professorin befasst sich in der Forschung seit vielen Jahren mit der Frage, welche frühkindlichen kognitiven Fähigkeiten es genau sind, die am Ende einen Einfluss darauf haben, ob ein Kind in der Schule gut zurechtkommt und erfolgreich ist. Bisherige Hildesheimer Langzeitstudien zeigen, dass die Unterschiede, die zwischen den Kindern in diesen Kompetenzen bestehen, bereits im Alter von vier Jahren sehr groß sind.

Studie „Soziales Training von Raumwahrnehmung und Raumkognition (zur vorschulischen Förderung des mathematischen Grundverständnisses)“ (STARK)

Wie kann das mathematische Grundverständnis in der frühen Kindheit gefördert werden? Professor Kristian Folta-Schoofs und Professorin Barbara Schmidt-Thieme untersuchen, in welcher Weise Kinder im letzten Kindergartenjahr von einem Training der Raumwahrnehmung profitieren können.

„Die vorschulische mathematische Förderung beinhaltet immer noch bevorzugt das Lernen von arabischen Zahlen und rechnerischem Faktenwissen. Wir wollen alternative Zugänge zur Förderung des mathematischen Grundverständnisses in den Blick nehmen, die weniger an Sprache und stärker auf die unmittelbare Lebens- und Erfahrungswelt der Kinder bezogen sind“, sagt Professor Kristian Folta-Schoofs. „Dazu gehört auch die Berücksichtigung der körperlich-sinnlichen Erfassung von Raummerkmalen – auch im Verhältnis zum eigenen Körper – sowie von handlungs- und bewegungsorientierten Lernmöglichkeiten, die im Rahmen der vorschulischen Vorbereitung auf den Mathematikunterricht bislang noch wenig berücksichtigt werden und noch unzureichend wissenschaftlich untersucht sind.“

Barbara Schmidt-Thieme verfügt über Expertise auf dem Gebiet der mathematischen Frühförderung, vor allem zur Didaktik der Geometrie. Kristian Folta-Schoofs forscht im Neurolabor der Universität Hildesheim im Bereich der neuronalen Grundlagen von Wahrnehmungs-, Aufmerksamkeits- und Zeitverarbeitungsprozessen und zu den Ansätzen einer barrierefreien Gestaltung von Lernumgebungen.

Studie „Fremdsprachenlernen in inklusiven Kontexten: Sprachliche und kognitive Entwicklung in zweisprachigen Einrichtungen“ (FLINK)

Wie die sprachliche Entwicklung in ein- und zweisprachigen Kindertagesstätten und im Übergang in die Grundschule verläuft, untersucht Professorin Kristin Kersten in Kooperation mit Professor Werner Greve vom Institut für Psychologie. In der Studie erfassen die Wissenschaftler bis 2019, wie sich Kinder sprachlich und kognitiv entwickeln.

Dabei vergleichen sie die Entwicklungsverläufe von Kindern in einsprachigen und zweisprachigen Kitas und Grundschulen. In den bilingualen Kitas verwenden muttersprachliche Erzieherinnen und Erzieher im gesamten Tagesablauf Englisch im Umgang mit den Kindern, in bilingualen Schulen unterrichten Lehrerinnen und Lehrer zum Beispiel Mathe, Sport, Musik oder Sachkunde auf Englisch. Bislang wenig untersucht ist die Frage, inwieweit die sprachliche Entwicklung mit dem Selbstkonzept von Kindern zusammenhängt. Auch hierzu soll die Studie Erkenntnisse liefern. Durch teilnehmende Beobachtung werden außerdem die Strategien aller pädagogischen Fachkräfte und Lehrkräfte dokumentiert: Wie begleiten sie die Lernprozesse? Wie gestalten sie den sprachlichen Input für inklusiv ausgerichtete Lernergruppen?

„Forschungsergebnisse aus früheren Studien weisen darauf hin, dass die Intensität, Dauer des Kontakts sowie das handlungsbegleitende Erlernen der Fremdsprache an Objekten, Bildern und der Umwelt entscheidend sind. Wir wissen außerdem, dass intensives bilinguales Lernen zu kognitiven Vorteilen führen kann. Ob die Fremdsprache mehrere Stunden pro Tag oder nur zwei Stunden pro Woche angeboten wird und wie sie von der Lehrkraft umgesetzt wird – das macht für die Entwicklung der Kinder viel aus. Dazu kommt, dass jedes Kind individuelle Voraussetzungen zum Lernen mitbringt, die sich nicht nur in den kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten, sondern auch im sozialen Umfeld unterscheiden. Und schließlich ist jedes Schulprogramm ein komplexes Gefüge, in dem auch jede Lehrkraft ihre eigenen Kenntnisse, Einstellungen und Motivation mitbringt“, so Kersten. Die Sprachwissenschaftlerin hat zuvor ein EU-Projekt geleitet und in niedersächsischen Grundschulen den bilingualen Unterricht analysiert.

Der Alltag in Kitas – „Doing inclusion“ – Inklusion als alltägliche Herstellungsleistung

Studie „Inklusive Elterninitiativen“ (IKE)

10 Prozent aller 4500 Kindertageseinrichtungen in Niedersachsen sind Elterninitiativen. Elterninitiativen sind bislang kaum erforscht, dabei sind sie heute ein fester Bestandteil in der Kita-Landschaft. Eltern bauen somit einen Teil der Strukturen auf, die Bildungsteilhabe befördern oder verhindern können.

Einen Gesamtüberblick, welche Inklusionskonzepte Elterninitiativen im Bundesland Niedersachsen verfolgen, soll die Studie von Professorin Meike Baader liefern. Wer sind die Akteure und Akteurinnen, welches sind ihre Motive, Erfahrungen, Ressourcen aber auch Hindernisse? Wie gehen Eltern und Professionelle in diesen Einrichtungen mit Inklusion um? Die Erziehungswissenschaftlerin führt in den kommenden Monaten Interviews mit 45 Einrichtungsleitungen und analysiert, wie private Elterninitiativen in Niedersachsen handeln. Während sie in den 1970er Jahren anfänglich als Alternative für fehlende Plätze gegründet wurden, hat sich schon in den siebziger Jahren gezeigt, dass Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf und Migrationserfahrungen aufgrund des Betreuungsschlüssels besonders gut versorgt wurden, wie eine DFG-geförderte Studie von Meike Baader zeigt.

Studie „Multiprofessionelle Teams in inklusiven Settings“ (MUPRO)

Zusammen statt allein: Professor Peter Cloos nimmt die Arbeit von multiprofessionell zusammengesetzten Teams in Kindertageseinrichtungen unter die Lupe. Der Erziehungswissenschaftler analysiert in 10 Einrichtungen 20 Teamgespräche.

„Wir tauchen ein in den Alltag“, sagt Cloos. Bisher wurde kaum empirisch untersucht, wie unterschiedliche Berufsgruppen in Organisationen wie Kitas zusammenarbeiten. Wie verständigen sie sich in Teamgesprächen über Zuständigkeiten und Aufgabenbereiche? Teilen sie Aufgaben auf und grenzen sich voneinander ab („Das ist nicht mein Gebiet!“) oder entstehen Räume, um gemeinsam unter Einbeziehung vieler Perspektiven die individuelle Entwicklung von Kindern zu erfassen? Die Forschungsergebnisse sollen in die Beratung von multiprofessionellen Teams fließen.

Studie „Kinder als Inklusionsakteure“ (INKA)

Nicht nur Eltern und pädagogische Fachkräfte, auch Kinder leisten einen Beitrag zu Inklusion: wie sie anderen Kindern begegnen, wie sie selbst handeln. Bisher liegen kaum Studien vor, die Kinder als Handelnde in „inklusiven Settings“ betrachten oder Kinder in den Forschungsprozess einbeziehen. Florian Eßer, Miriam Sitter und Professor Wolfgang Schröer bauen derzeit eine Forschungsgruppe mit acht Kindern auf. Sie stimmen Forschungsfragen, die Erhebung und Präsentation von wissenschaftlichen Erkenntnissen mit den Kindern ab: Wie erleben Kinder Zugehörigkeit und Ausgrenzung, wie nehmen sie den Alltag in Kitas wahr?

Vorurteile, dass man mit Kindern keine partizipative Forschung durchführen kann, gelten mittlerweile als widerlegt. Sie bringen junge Perspektiven in die Forschung ein, die sonst aus dem Blick geraten. Die Kinder ersetzen dabei nicht die Forscher, vielmehr eröffnen sie neue Sichtweisen.

„Differenzdilemma“

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskutieren im Forschungsverbund außerdem, inwieweit Wissenschaft selbst Differenzen erzeugt. Die Wissenschaft spricht von „Differenzdilemma“: Jede Thematisierung von Differenz behebt diese nicht nur, sondern kann Differenz durch ihre Betonung erst hervorheben oder verstärken.

Medienkontakt: Pressestelle der Universität Hildesheim (Isa Lange, 05121.883-90100, presse@uni-hildesheim.de)

Hildesheimer Studierende gründen die Junge Kulturpolitische Gesellschaft

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Hildesheimer Studierende haben die Gründung der Jungen Kulturpolitischen Gesellschaft auf der kulturpolitischen Tagung unter inhaltlicher Leitung der Hildesheimer Professorin Birgit Mandel in Loccum im Februar 2019 initiiert. Die Konferenz wurde erstmalig unter aktiver Beteiligung von Studierenden konzipiert und durchgeführt. Sie setzten sich auf der Tagung mit Generationwechsel und der Rolle der Kulturpolitik in institutionellen Veränderungsprozessen auseinander.

Gastbeitrag von Prof. Dr. Birgit Mandel

Generationen-Clash oder alles so weiter wie bisher im öffentlich geförderten Kulturbetrieb? Welche Ansprüche haben jüngere Generationen von Kulturschaffenden an Kultureinrichtungen und Kulturpolitik?

Ziel des diesjährigen kulturpolitischen Kolloquiums war es, in einem intergenerationellen und interaktiven Workshop Möglichkeiten der Neu-Aufstellung von Kulturinstitutionen sowie des Verhältnis der öffentlich geförderten Einrichtungen zu Kulturpolitik und Kulturverwaltung zu reflektieren und Ideen zu erarbeiten, die es den Einrichtungen ermöglichen, auf veränderte kulturelle Interessen neuer Generationen zu reagieren.

Generationen-Tandems, soziometrische Aufstellungen und digitale Meinungsabfragen, Generationen-Quartett auf Instagram Lab-Loc und Design Thinking Workshop „Kultopia“, wo gemischte Teams aus den Generationen 1968er, Babyboomer, X und Y ihre ideale Kultureinrichtung gestalten konnten: Das Organisationsteam mit Studierenden aus Hildesheim, Hamburg und Ludwigsburg unter Leitung von Birgit Mandel, Annette Jagla und Patrick Glogner in Kooperation mit der Akademie Loccum (Albert Drews) und der Kupoge (Barbara Neundlinger) entwickelte diverse interaktive Formate, um die 120 Teilnehmenden aktiv zu beteiligen und in Austauchbeziehungen zu bringen.

Welche Unterschiede gibt es in der Wahrnehmung der Aufgaben (öffentlich geförderter) Kultureinrichtungen und zentraler kulturpolitischer Herausforderungen und Lösungsansätze zwischen älteren Kulturschaffenden, die schon langjährige Erfahrungen im Kulturbetrieb haben und zukünftigen „Cultural Leadern“?

Deutlich veränderte Ansprüche gäbe es an die Arbeitsbedingungen: hohe Wechselbereitschaft, gutes Arbeitsklima, angenehme Vorgesetze und ausgewogene Work Life Balance seien „Generation Y“ wichtiger als Macht und Einfluss (Scheytt/Weck); für „Selbstausbeutungspositionen“ seien nur noch schwer Nachwuchskräfte zu finden. Jüngere Führungskräfte  würden ihre Einrichtung deutlich selbstkritischer sehen, Veränderungen im Sinne höherer Diversität und gesellschaftlicher Relevanz anstreben und sich als Führungskraft eher in moderierender Funktion denn als direktiver Chef begreifen (Mandel).

Die kulturellen Interessen jüngerer Generationen würden beeinflusst durch Megatrends wie Digitalisierung, Migration und Klimawandel: Ausstieg aus der Wachstumslogik, Nachhaltigkeit, Beteiligung der Prosumenten; Selber Machen, Selbstverwirklichung dominierten vor dem Interesse an klassischem künstlerisch-kulturellen Erbe (Glogner) und das Bedürfnis nach Resonanz und Selbstwirksamkeit in kreativen Räumen für Selbstbetätigung trete an die Stellte von Geniekult (Lätzel, Vogel).

Digitalisierung zwinge Einrichtungen, ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit neu zu definieren und sei deswegen Katalysator für Veränderung (Holst). Migration forciere Diversität in der Mitarbeiterschaft, neue Kooperationsbeziehungen, neue Programme und eine erweiterte Perspektive auf klassisches kulturelles Erbe (Aksen).

Statt Angebotsqualität stehe zunehmend die Aufenthalts-und Beziehungsqualität von Kultureinrichtungen als „dritte Orte“ im Vordergrund (Wolfram).

Kultureinrichtungen müssten sich künftig an ihrer Relevanz für die Bevölkerung und ihrer Interaktionsfähigkeit messen lassen, weg von der Produkt- hin zur Dienstleistungsorientierung, und Plattform werden für diverse Communities. Strukturell müssten verlässliche Strukturen einerseits und Flexibilität /Agilität andererseits zusammen wirken (Heller). Mit rein rationalem Change Management seien Institutionen nicht zu verändern: „Culture eats strategy for breakfast“; auch die Unternehmenskultur müsste in prozessorientierten Double Loop Learning transformiert werden (Jagla).

Kulturpolitik müsse in diesen Prozessen Planungssicherheit und verlässliche Unterstützung bieten (Heller).

Dass Kulturförderung deutlich konzeptbasierter vorgehe als noch vor ca. 15 Jahren und ihre Einflussmöglichkeiten stärker nutze durch Berufungspolitik, Zielvereinbarungen, Evaluationen, spezifische Förderprogramme für strategische Veränderungen und Weiterbildungsangebote wird in den Tandems von jüngeren und älteren Akteuren aus Kulturpolitik und Kulturverwaltung beobachtet (u.a. Landmann, Rehders).

Deutlich wurde, dass sich alte und junge Kulturakteure weniger in der Benennung inhaltlicher Herausforderungen unterscheiden als viel mehr in der Art und Weise wie sie diese bewältigen wollen. Wechselseitige Vorurteile zwischen den Generationen wurden ebenso bestätigt wie verworfen.

Zum Ende der Tagung wurde die „Junge Kupoge“ gegründet als Arbeitsgemeinschaft der Kulturpolitischen Gesellschaft, die den unter 35 Jährigen eine eigene Plattform und Gestaltungsraum ermöglichen soll. Dabei machten auch die Initiatoren deutlich, dass es weniger andere Themen sind, die sie unterscheiden als viel mehr andere Ansprüche an Kommunikationsweisen und Formate des Diskurses.

Informatik an Schulen: Uni Hildesheim bildet Informatiklehrerinnen und Informatiklehrer aus

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Informatik gehört an alle Schulformen – ab der Grundschulzeit, sagt Dr. Jörg Cassens. „Informatik durchdringt alle Lebensbereiche. Unsere Aufgabe als Gesellschaft ist es,  Schülerinnen und Schülern eine  informatische Grundkompetenz zu vermitteln. Sie können lernen, algorithmische Denkweisen zu verstehen und kritisch damit umzugehen. Nicht jedes Kind muss Programmierer werden, aber  alle Heranwachsenden sollten ein Verständnis dafür entwickeln, wie Algorithmen funktionieren und welche Auswirkungen Technik haben kann.  Ansonsten sind sie der Technik machtlos  ausgeliefert anstatt den Digitalen Wandel aktiv gestalten zu können. Die Einführung eines neuen Faches ist im Schulalltag sicher nicht einfach, aber Schule ist ein Spiegel der gesellschaftlichen Realität. Schule ist nicht etwas Statisches. Inhalte, die gelehrt werden, verändern sich – und Informatik sollte in unserer heutigen digitalen Welt ein Pflichtfach sein“, sagt Cassens.

Der Wissenschaftler gehört zu einem Team der Universität Hildesheim, das seit 2016 die künftige Generation der niedersächsischen Informatiklehrerinnen und Informatiklehrer für Realschulen und Hauptschulen ausbildet. Sein Spezialgebiet ist die Medieninformatik, er hat Themen wie künstliche Intelligenz und die Interaktion zwischen Mensch und Maschine sowie ethische Fragen im Blick.

Der Informatiker Jörg Cassens ist Mitglied des Expertengremiums „Digitalisierung in der Lehrerbildung“ des niedersächsischen Verbundes zur Lehrerbildung und Mitautor der „Empfehlungen zur Digitalisierung in der niedersächsischen Lehrerinnen- und Lehrerbildung“ (PDF, Februar 2019).

„Jugendliche sollten IT-Systeme nicht nur bedienen, sondern auch beherrschen“

Zum Hildesheimer Team, dass die Informatikausbildung vorantreibt, gehört auch Professor Klaus-Jürgen Förster. „Unser Ziel sollte es sein, dass in Zukunft alle niedersächsischen Schülerinnen und Schüler IT-Systeme nicht nur bedienen sondern auch beherrschen können.“

„Informatik sollte spätestens ab Beginn der Grundschule in Niedersachsen als Pflichtfach in jeder Klassenstufe unterrichtet werden“, sagt Förster.

Das Institut für Mathematik und Angewandte Informatik, an dem Jörg Cassens und Klaus-Jürgen Förster forschen und lehren, sowie der Fachbereich „Mathemematik, Naturwissenschaften, Wirtschaft und Informatik“ der Universität Hildesheim streben dies seit mehreren Jahren an, etwa mit dem Bezugsfach Informatik im Sachunterricht. „Wir können dies im Fall einer Genehmigung durch Hannover mit Unterstüzung unseres Präsidiums an der Uni Hildesheim mit entsprechendem Personal schon ab dem kommenden Wintersemester 2019/20 einführen.“ Im Rahmen der Akkreditierung für das Lehramt Informatik an der Haupt- und Realschule an der Uni Hildesheim wurde dieses Konzept bereits 2015  positiv mitbegutachtet.

Universität Hildesheim bildet seit 2016 Informatiklehrerinnen und Informatiklehrer aus

„Wir brauchen in Deutschland eine große Anzahl von grundständig ausgebildeten Informatik-Lehrerinnen und Informatik-Lehrern, die ihren Schülerinnen und Schülern vermitteln, wie man erfolgreich auch zukünftig die sich immer schneller ausdehnende digitale Welt professionell nutzt und beherrscht“, sagt der Hildesheimer Informatikprofessor Klaus-Jürgen Förster.

Die Niedersächsische Landesregierung hat 2015 beschlossen, das Fach Informatik künftig auch an Hauptschulen und Realschulen einzuführen und seit dem Studienjahr 2016/17 die Universitäten Hildesheim und Oldenburg beauftragt, das Lehramt Informatik an Haupt- und Realschulen in Niedersachsen einzurichten. Die Universität Hildesheim bietet das Lehramtsfach Informatik seit 2016 nicht nur für Studienanfängerinnen und Studienanfänger an, sondern auch als vollwertiges Drittfach für ausgebildete Lehrkräfte.

Programmieren, Datenstrukturen und Robotik auf dem Stundenplan

Neben Programmieren und Datenbanken gehören auch Algorithmen und Datenstrukturen, Medieninformatik und Systemadministration zum Studium in Hildesheim. Die Lehramtsstudierenden wählen Schwerpunkte wie Maschinelles Lernen, Softwareentwicklung, Robotik oder Wirtschaftsinformatik. Sie kombinieren die Theorie mit der Praxis und sind schon im ersten Studienjahr an Partnerschulen. Weitere fachdidaktische Praxisphasen folgen im Verlauf des Studiums.

Die Lehramtsstudierenden besuchen Vorlesungen und Seminare gemeinsam mit den etwa 800 IT-Studierenden aus den IT-Studiengängen „Angewandten Informatik“, „Informationsmanagement und Informationstechnologie“, „Wirtschaftsinformatik“ und „Data Analytics“ und sind nah dran an den aktuellen fachwissenschaftlichen Themen. Hinzu kommen Lehrveranstaltungen in den Bereichen Didaktik, Erziehungswissenschaft und Psychologie sowie Schulpraktika.

Die Studierenden befassen sich im Studium mit Grundlagen der Informatik: Wie werden Informationen als Daten repräsentiert und verarbeitet, wie steuern Algorithmen Prozesse? Welche Programmierbefehle braucht ein Roboter, um sich im Raum zu bewegen? Wie funktionieren Programmiersprachen? Wie geht man verantwortungsvoll mit Daten um? Welche Auswirkungen haben Informations- und Kommunikationssysteme auf den Alltag und die Gesellschaft?

„Wir werben massiv um Studierende für das Schulfach Informatik“

„Es ist mehr als überfällig das Lehramt Informatik auszubauen und massiv um Studierende für dieses Schulfach zu werben. Dies darf sich nicht nur auf das Lehramt an Gymnasien beziehen und somit etwa die Hälfte unserer Jugendlichen vernachlässigen“, sagt Klaus-Jürgen Förster.

Ohne durchgehende informatische Ausbildung werde sich die berufliche und persönliche Zukunftsperspektive erheblich verschlechtern, dennoch sei in Deutschland der rechtzeitige Aufbruch bisher versäumt worden. In europäischen Nachbarländern, etwa in Großbritannien und in skandinavischen Ländern, gehören Informatik-Inhalte längst durchgehend zur schulischen Ausbildung. Programmieren (Coding) ist dort meist schon in der ersten Klasse verpflichtend vorgesehen.

Kurz erklärt

Informatik an Schulen: Bewerbung um einen Studienplatz

Die Hildesheimer Universität bildet seit Herbst 2016 Lehrerinnen und Lehrer für das Fach Informatik an Haupt- und Realschulen aus. Studieninteressierte können sich um einen Informatik-Studienplatz für das Lehramt an Hauptschulen oder Realschulen bewerben. Um dem großen Bedarf gerecht zu werden ist eine Einschreibung für Erstsemester sowohl im Wintersemester wie auch im Sommersemester möglich.

Bisher haben in Niedersachsen nur die Universitäten in Göttingen, Oldenburg und Osnabrück Informatiklehrer für den Unterricht an Gymnasien ausgebildet. Eine Ausbildung zur Informatiklehrerin oder zum Informatiklehrer für Haupt- und Realschulen war in Niedersachsen im Gegensatz zu verschiedenen anderen Bundesländern wie Bayern oder Nordrhein-Westfalen bisher nicht möglich.

Die Hildesheimer Studierenden werden zur ersten Generation der Lehrerinnen und Lehrer gehören, die das Fach Informatik an Hauptschulen und Realschulen sowie Oberschulen und Gesamtschulen in Niedersachsen aufbauen. „Das ist eine große berufliche Chance und eine spannende, lebenslange Aufgabe“, sagt Professor Klaus-Jürgen Förster.

Wer sich für das Lehramtsfach Informatik interessiert, kann sich ab sofort bei Prof. Dr. Klaus-Jürgen Förster vom Institut für Mathematik und Angewandte Informatik melden (E-Mail foerster@cs.uni-hildesheim.de). Studierende wählen neben dem Fach Informatik ein zweites Fach.

Hier geht's direkt zur Online-Bewerbung


Hochschulfinanzierung: Wissenschaft stärken

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Heute (7. März 2019) tagte der Arbeitskreis der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten in Deutschland im Bereich Hochschulfinanzierung an der Stiftung Universität Hildesheim. Dr. Matthias Kreysing, hauptberuflicher Vizepräsident in Hildesheim, ist seit Ende 2018 Vorsitzender des Arbeitskreises Hochschulfinanzierung und hat zu dem Arbeitstreffen in Hildesheim eingeladen.

„Ein wichtiges Thema unseres Arbeitstreffens ist die Umstellung bei der Umsatzbesteuerung für juristische Personen des öffentlichen Rechts, das betrifft gerade die Universitäten in ihren Kooperationen mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen oder anderen Hochschulen, das ist eine große Frage, die die Universitäten in den nächsten eineinhalb Jahren beschäftigen wird“, erläutert Matthias Kreysing.

Ein weiteres Thema, über das die Kanzler in Hildesheim diskutieren, ist die Fortschreibung des Hochschulpaktes. „Eine große Herausforderung für die Universitäten in Deutschland ist die Planungssicherheit bei den Finanzierungsmitteln. Wir tauschen uns dazu aus, wie dies in den verschiedenen Bundesländern gehandhabt wird“, so Kreysing. „Wir haben mit der Ankündigung der Verstetigung des Hochschulpaktes durch die Bundesregierung eine positive Aussicht, dass diese Mittel, die teilweise einen großen Umfang in den Haushaltsbudgets ausmachen – bis zu 20% bis 30% – dauerhaft zur Verfügung gestellt werden. Dies führt dazu, dass wir dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse vereinbaren können – das ist eine wichtige Perspektive für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ An der Stiftungsuniversität in Hildesheim liegen diese Mittel aus dem Hochschulpakt bei etwa 20% des Gesamtbudgets.

Mit dem Hochschulpakt sollen ausreichend Studienplätze bei gleichzeitig hoher Qualität sichergestellt werden, der wissenschaftliche Nachwuchs gesichert und die Innovationskraft in Deutschland erhöht werden. Mit der Verstetigung der Mittel würden die Hochschulen mehr finanzielle Planungssicherheit erhalten und könnten zum Beispiel unbefristetes Lehrpersonal einstellen und so den Anteil befristeter Beschäftigungsverhältnisse reduzieren.

Explore Science: „Ich bin ein Fan von Wissenschaft“

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Das Explore Sciencenter ist eine Chance für die naturwissenschaftlich-technische Nachwuchsbildung in der Region Hildesheim. Unabhängig von Vorkenntnissen und Fähigkeiten, von Geschlecht, Alter oder Herkunft können Kinder und Jugendliche sich im Explore in Hildesheim in ihrer Freizeit naturwissenschaftlich-technisch beschäftigen.

Als der Neuntklässler Henk Telle vom Explore hörte, schrieb er eine Initiativbewerbung, er gehört nun zu den ersten Praktikanten im Schülerforschungslabor. Der 15-Jährige besucht die Robert-Bosch-Gesamtschule und absolviert gerade sein Schülerpraktikum. „Das Explore bietet eine Vielfalt – von Technik und Informatik bis Chemie – und ist eine große Bereicherung und eine Chance, zu experimentieren“, sagt der Schüler.

Neugierde für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik bei Kindern und Jugendlichen wecken

Professor Jürgen Menthe gehört zu dem Team, das im Explore das Interesse, die Neugierde und die Begabung von Kindern und Jugendlichen aus der Region Hildesheim in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) fördert. „Das Explore kann zu einem Raum für in Hildesheim werden, in dem Kinder und Jugendliche Lust haben, da zu sein, zu experimentieren und Ideen umzusetzen“, sagt Menthe.

Die Universität Hildesheim zählt zu den ersten Partnern des Explore Sciencenter. Mit Chemieprofessor Jürgen Menthe ist seit der Gründung des Vereins „Open MINT e.V.“ ein Experte im Vorstand. Er war schon an der Schaffung eines Schülerforschungszentrums in Hamburg vor einigen Jahren wesentlich beteiligt und einer seiner Forschungsschwerpunkte konzentriert sich auf den nachhaltigen Einfluss von Schülerlaboren. Er forscht und lehrt seit 2015 am Fachbereich „Mathematik, Naturwissenschaften, Wirtschaft und Informatik“. Lehrende verschiedener Fächer engagieren sich in der Programmplanung und in der Gestaltung konkreter Bildungsangebote, somit leistet die Universität Hildesheim ihren Beitrag zur Spitzen- wie zur Breitenförderung in den Natur- und Technikwissenschaften, erläutert Jürgen Menthe.

Lehramtsstudierende sammeln praxisnahe Erfahrungen im Schülerforschungszentrum

Lehramtsstudentinnen und Lehramtsstudenten und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können die Arbeit des Explore Sciencenter mit Know-how und Geräten unterstützen. Die Universität Hildesheim bildet etwa ein Drittel aller Lehrerinnen und Lehrer für Grund-, Haupt- und Realschulen in Niedersachsen aus. „Für die angehenden Lehrerinnen und Lehrer ist das Schülerforschungszentrum ein Ort, an dem sie wertvolle praxisnahe Erfahrungen sammeln können. Das Explore Sciencenter ist eine große Bereicherung für die Region“, so Universitätspräsident Professor Wolfgang-Uwe Friedrich.

Das Explore Sciencenter hat sein Headquarter in der Volkshochschule Hildesheim (VHS), die ein wichtiger Transferpartner für die Universität ist. Gemeinsam kooperieren die Volkshochschule und die Universität etwa im Sprachenforum und im Schulmuseum.

Kontakt zum Explore Sciencenter

Wer sich für das Explore Sciencenter interessiert, kann Kim Sören Diesel und Tanja Pessel kontaktieren (E-Mail schreiben: more@explore-hi.de). Die beiden organisieren und planen und helfen Kindern und Jugendlichen, die Experimente, die sie im Kopf haben, umzusetzen.

Integration durch Musik: Europaweit einzigartiger Studiengang „musik.welt“

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Der Studiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“ ist europaweit einzigartig und reagiert auf aktuelle Herausforderungen in der Gesellschaft.

Hier treffen zum Beispiel Komponisten, Konzertpädagogen, Musikschullehrerinnen und Musikschullehrer, geflüchtete Musikerinnen und Musiker, Erzieherinnen und Erzieher und Musikervermittler aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern aufeinander. Viele Studentinnen und Studenten haben Abschlüsse im Ausland erworben. Sie haben vielfältige musikalische und berufliche Biografien kommen aus allen Regionen Deutschlands – von Frankfurt am Main über Bremen und Berlin bis Nürnberg – und aus dem Ausland, etwa aus Syrien, Türkei, Irak, China und Sudan.

„Es ist uns wichtig eine möglichst heterogene Gruppe zusammen zu stellen“, sagt Morena Piro, Mitarbeiterin am Center for World Music, „denn der Austausch, der Perspektivwechsel und das von und miteinander lernen ist wichtiger Bestandteil des Studiengangs.“

Jeder Student erlernt während der zwei Jahre ein weiteres Instrument – eine „musikalische Fremdsprache“ – und erhält Einzelinstrumentalunterricht. Die Studieninhalte reichen von Musikethnologie und Musikpädagogik über Musik und soziale Arbeit bis zu Projektmanagement und Selbstreflexion.

Seit 2011 bildet das Center for World Music der Universität Hildesheim Berufstätige fort, die die Vielfalt der Musikkulturen in ihrem Arbeitsumfeld aufgreifen – in Kitas, Schulen, Stadtteilen und Jugendzentren. Der Studiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“ ist europaweit einzigartig und reagiert auf aktuelle Herausforderungen in der Gesellschaft.

Jetzt bewerben und berufsbegleitend den Masterabschluss erwerben

Der berufsbegleitende Masterstudiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“ ist Teil des Schwerpunkts Bildungsintegration an der Universität Hildesheim und wird seit 2011 von der Stiftung Niedersachsen gefördert. Das Studium umfasst vier Semester bis zum Master-Abschluss. Die Lehrveranstaltungen finden jeweils an einem Wochenende pro Monat statt. Es besteht die Möglichkeit, auf Zertifikat zu studieren; ein Bachelor-Abschluss ist dann nicht erforderlich. Der Studiengang wendet sich an alle, die Kompetenzen erlangen möchten, um die integrative Kraft der Musik in der täglichen Arbeit zu nutzen.

Der Hörsaal im Center for World Music ist ungewöhnlich – ein ehemaliger Kirchenraum mit mehreren Hundert Musikinstrumenten aus allen Erdteilen.

Die Bewerbung um einen Studienplatz ist ab sofort bis zum 15. Juni 2019 möglich. Die Auswahlgespräche finden vom 5. bis zum 7. Juli 2019 am Center for World Music in Hildesheim statt. Das Studium beginnt im Oktober 2019.

Die Familienbildungsstätte der Katholischen Erwachsenenbildung in Hildesheim unterstützt Interessenten am Studiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“, um sprachlich gut vorbereitet in die Aufnahmeprüfung zu gehen. Gefördert von der Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung werden speziell für Musiker Sprachkurse durchgeführt. In Kürze werden mehr Informationen zu dem Sprach- und Vorbereitungskurs bekannt gegeben.

Weitere Informationen zu den Studieninhalten,
Stipendien und zum Bewerbungsverfahren

Kurz erklärt: Zehnjähriges Jubiläum

Was macht das Center for World Music

Seit zehn Jahren arbeitet das Center for World Music (CWM) der Stiftung Universität Hildesheim daran, das musikethnologische Wissen für die Gesellschaft nutzbar zu machen. In unterschiedlichen Formaten verzahnen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die theoretischen Erkenntnisse mit der Praxis. Das CWM bewahrt mit seinen etwa 4500 Instrumenten, circa 45.000 Tonträgern und seiner Bibliothek bedeutende Spuren und Vermächtnisse weltweiten Musikschaffens.

Das musikethnologische Institut, welches in den vier Abteilung Archiv, Forschung, Studium und Lehre und Community Service arbeitet, ist weltweit einzigartig. Der Musikethnologe Professor Raimund Vogels leitet das Hildesheimer Forschungszentrum.

Mehr Informationen zum
Center for World Music

Nachgefragt bei zwei musik.welt-Studierenden:

Autorin der Kurzporträts ist Morena Piro.

„Über die Musik kommen Menschen in Kontakt“

Renas Ibrahim

Seit 2017 studiert Renas Ibrahim am Center for World Music in Hildesheim. Sein Weg bis in den Hörsaal in Deutschland war lang – als der Krieg in Syrien wütete, entschied er sich, zu fliehen.

Bis 2015 arbeitete er in einem der größten Flüchtlingslager der Welt, im Camp „Domiz“. Wie viele aus dem Krieg Geflohene suchte er zunächst Zuflucht im Nachbarland Irak. Zu der Zeit als Renas Ibrahim nach Domiz kam lebten dort über 140.000 Menschen. Für viele wurde das Camp zu einem Ort der Hoffnungslosigkeit. Für Renas Ibrahim nicht. Er hatte seinen Traum und seine Klarinette und er wusste, dass er mit seiner Musik Trost und Freude spenden kann. Regelmäßig musizierte er mit den Kindern im Camp. Diese Arbeit mit den Kindern gibt dem gelernten Musikpädagogen Kraft.

Manchmal reicht eine Person, ein Mensch, der einem helfen kann

Die lange Flucht führte den 33-Jährigen bis nach Papenburg in Deutschland. Er „bemerkte, dass einige Menschen in Deutschland anscheinend Angst vor ihm hatten, Angst vor dem Fremden, erzählt er. Er suchte aktiv Kontakt, ging in die Kirchengemeinde und zum Blasorchester in der Nachbarschaft. Über die Musik konnte er mit Menschen in Kontakt kommen, denn deutsch sprechen konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. In Papenbrug traf er eine ältere Dame, die sich seiner annahm und die ihm half, zum Beispiel als seine Klarinette kaputt ging. „Manchmal reicht eine Person, ein Mensch, der einem helfen kann“, sagt Renas Ibrahim.

Er lernte weiter die deutsche Sprache und gelangte über eine Initiative des Musiklandes Niedersachsen und des Center for World Music bis nach Hildesheim. Im Rahmen des DAAD-Projektes „INTEGRA“ nahm Renas Ibrahim gemeinsam mit 12 weiteren geflüchteten Musikerinnen und Musikern an Kursen teil, um die Zugangsberechtigung zum Studium an der Universität Hildesheim zu erhalten. Von den 12 Personen schafften es nur wenige in den Masterstudiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“– Renas Ibrahim schaffte es.

Seit Herbst 2017 ist er nun immatrikulierter Masterstudent an der Universität Hildesheim und „sehr stolz darauf“. „Ich konzentriere mich voll auf das Studium und bin hierfür direkt in die Nachbarschaft des Center for World Music gezogen.“ Heute ist Renas Ibrahim in vielen Musikvermittlungsprojekten in Hildesheim aktiv. Auch für das Musikland arbeitete er zum Beispiel in dem Projekt „Welcome Board im Klassenzimmer“. „Hier zeige ich den Kindern, welche Instrumente und welche Musik in Syrien gespielt werden“, sagt Renas Ibrahim.

Aktuell ist Renas Ibrahim im letzten Semester des Weiterbildungsmasters. „Ich habe viel gelernt über die Musik der anderen und wie man Projekte entwickelt, kämpfe mich fleißig durch die deutsche Literatur der Musikpädagogik und durch die deutsche akademische Art des Lernens, die sich von dem Hochschulalltag in Syrien unterscheidet.“ Er recherchiert und schreibt an seinem Masterthema. Sein Traum ist es nun seine Masterarbeit über „Kurdische Musik“ zu schreiben.

„Es können noch so viele musikalische Schätze gehoben werden“

Hannah Marie Heuking

Hannah Marie Heuking studierte Elementare Musikpädagogik und klassische Klarinette in Deutschland. Ihre Arbeitsfelder sind vielfältig: Sie gibt Klarinettenunterricht, arbeitet für die Musikschule in Hannover in Kitas, Grundschulen und Einrichtungen der Stadtteilkultur und tritt regelmäßig mit Bands auf, spielt Klezmer und Musik aus dem Balkan – gerade diese Mischung der Tätigkeit ist für sie interessant.

Sie bemerkt die Veränderungen in der Gesellschaft – in den Bildungseinrichtungen, in denen sie arbeitet, haben über 60% der Kinder Eltern, die aus einem anderen Land kommen. Die Musik, die vermittelt wird ist jedoch nicht so divers. „Das Repertoire, mit dem an der Hochschule und an der Musikschule gearbeitet wird ist meistens beschränkt auf westliche Klassik, Jazz und Pop“, sagt die 30-Jährige. „Ich habe das Gefühl, dass es viele musikalische Schätze gibt, die noch gehoben werden können.“

Hannah Marie Heuking ist neugierig und fragt sich: „Was gibt es noch für musikalische Sprachen?“ Als sie von dem Studiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“ hört, bewirbt sie sich und wird aufgenommen. Seit 2017 studiert sie am Center for World Music in Hildesheim.

„Die musikethnologischen Methoden, Inhalte und Workshops und der Austausch mit den Kommilitonen sind eine Bereicherung“, sagt sie. Die Musik verbindet sie alle und nach den Kursen bleiben die Musikerinnen und Musiker oft noch bis spät in den Abend zusammen, um gemeinsam zu musizieren.

Im Ausland erworbene Abschlüsse werden manchmal in Deutschland nicht anerkannt

Jeder der Studierenden erlernt ein Instrument, welches ihm bislang fremd ist. Hannah entscheidet sich, das arabische Saiteninstrument „Kanun“ von einem ihrer arabischen Kommilitonen zu erlernen. Ihr Lehrer ist studierter Musiker und Meister an seinem Instrument. Sein syrisches Diplom ist in Deutschland jedoch nicht anerkannt deshalb studiert er am Center for World Music.

Die wertschätzende Atmosphäre in der Gruppe ist bei Diskussionen in den Kursen und Workshops hilfreich. Gerade, wenn die Musik politisch wird. Zum Beispiel, wenn im Workshop zur „Jüdischen Musik“, die syrischen Musikerinnen und Musiker erzählen, mit welcher Haltung sie in ihrem Umfeld groß geworden sind. Die Gespräche mit den anderen unterstützen den Perspektivwechsel. Und oftmals folgt darauf das Anerkennen. „Aus solchen Kursen entstehen künstlerische Ensemble“, erzählt Hannah Marie Heuking, etwa ihr Bandprojekt „Trio Picon“, indem ihr Kommilitone Hesam aus dem Iran mit der persischen Kniegeige Kamanche und der persischen Rahmentrommel Daf jüdische Lieder spielt und auch persisches Repertoire teilt.

Aus dem Studiengang nimmt die Musikerin „neue Freunde, neues Wissen über Musik, neue künstlerische Projekte“ mit, ihr Horizont habe sich geweitet und sie habe nun „noch viel offenere Ohren“. Diese Erfahrungen aus dem Masterstudium nimmt sie bereits jetzt mit in die KiTas, Schulen und Kultureinrichtungen in den Stadtteilen, in denen sie arbeitet.

In Kürze steht eine musikalische Reise nach Tansania bevor: Im Herbst wird Hannah Marie Heuking nach Sansibar in Tansania reisen, um dort eine Musikakademie zu besuchen und um ein Austauschprojekt mit der Musikschule der Landeshauptstadt Hannover mitzugestalten. Vor Ort wird sie musikethnologischen Fragen nachgehen, denn „die Musikwelt in Sansibar und Tansania ist durch diverse koloniale Einflüsse über Jahrhunderte äußerst vielseitig geprägt und fusioniert sowohl arabische, persische, als auch europäische Musikstile und typische Instrumente“, erläutert sie. „Das ist doch großartig, dass ich nun so ein internationales Projekt mit aufbauen darf.“

Digital Humanities: Forschung in den digitalen Geisteswissenschaften

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Ulrich Heid forscht und lehrt als Professor für Sprachtechnologie und Computerlinguistik am Institut für Informationswissenschaft und Sprachtechnologie der Universität Hildesheim. Gemeinsam mit Professorin Caroline Sporleder, Direktorin des Göttingen Centre for Digital Humanities , lädt der Computerlnguist regelmäßig zu Arbeitstagungen ein.

Alle sechs Monate kommen Forscherinnen und Forscher beim Workshop „Computational Linguistics and Digital Humanities“ zusammen, im Frühjahr in Göttingen, im Herbst in Hildesheim. Ende Februar 2019 fand die Arbeitstagung zum Thema „Digital Methods in Political Science“ in Göttingen statt.

Die Workshops dienen dazu, dass beide Standorte einander über laufende Projekte, Methoden und Verfahren informiert halten. Regelmäßig werden europäische oder nationale Gäste eingeladen.

Interaktion zwischen politikwissenschaftlicher Theoribildung und computerlinguistischer Textanalyse

„Einige der prominenteren Vertreter computerlinguistisch arbeitender Politikwissenschaft Deutschlands kamen diesmal zusammen“, sagt Ulrich Heid. „Wir wollen gemeinsam verstehen, wie die Interaktion zwischen politikwissenschaftlicher Theoriebildung und computerlinguistischer Textanalyse aussehen kann. Zwar ist der Einsatz von Werkzeugen zur Extraktion von Wörtern und Wortsequenzen und von Zählverfahren und statistischen Tools sehr ‚en vogue‘ in der Politikwissenschaft, aber das eigentliche Ziel sollte es sein, klarer zu verstehen, welche Arten von Werkzeugen welche Arten von theoriegeleiteten Fragenstellungen gut unterstützen.“

Ein thematischer Schwerpunkt ist das vieldiskutierte Problem „Hate Speech“. „Wir bringen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen, die sich Gedanken dazu machen, was eigentlich alles als Hate Speech gelten soll, aber auch solche, die Werkzeuge oder Daten für Training und Test von Werkzeugen entwickeln.“

Computerlinguistische Techniken in den Geisteswissenschaften

Die Verwendung und die Menge verschiedener computerlinguistischer Techniken hat für die textbasierten Geisteswissenschaften in der letzten Zeit enorm zugenommen, sagt Heid. Mit den Nachbarn in Göttingen hat er die idealen Kooperationspartner gefunden. Beide Universitäten haben eine geistes-, kultur- und sozialwissenschaftliche Ausrichtung, forschen sowohl grundlagen- als auch anwendungsorientiert. In Göttingen wurde Caroline Sporleder als Professorin für digitale Geisteswissenschaften im Fachbereich Informatik berufen. „Wir halten uns auf dem Laufenden, wie die Geisteswissenschaften auf die Digitalisierung reagieren“, sagt Ulrich Heid, der in Hildesheim gemeinsam mit dem Wirtschaftsinformatiker Professor Ralf Knackstedt und der Politikwissenschaftlerin Professorin Marianne Kneuer seit Ende 2018 am „Zentrum für Digitalen Wandel – Center for Digital Change“ mitarbeitet.

Im Folgenden geben einige der am Workshop beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Hildesheim Einblicke in ihre Forschung:

Analyse von Diskursen über Solidarität

Computerlinguist Prof. Dr. Ulrich Heid

Prof. Dr. Ulrich Heid ist ordentlicher Professor für Sprachtechnologie / Computerlinguistik in Hildesheim und Mitbegründer der Workshop-Serie „Computational Linguistics and Digital Humanities“. Ulrich Heid ist selbst Geisteswissenschaftler, hat Sprachwissenschaft und Geschichte studiert und sich dann auf Computerlinguistik und Sprachtechnologie spezialisiert.

Herr Professor Heid, an welchem Forschungsthema arbeiten Sie zurzeit?

Zusammen mit Prof. Dr. Marianne Kneuer präsentiere ich Pläne für das neue, vom Land Niedersachsen finanzierte Projekt SOLDISK, also erst einmal nur Ziele und angestrebte Methoden, noch keine Ergebnisse. Professorin Marianne Kneuer koordiniert das Projekt, das am 1. März 2019 beginnt und Politologen und Computerlinguisten zusammenbringt. Wir analysieren Diskurse über Solidarität, wie sie in online-Quellen vorliegen. Beispiele sind offizielle Texte der Regierung, aber auch Statements auf Internetseiten zivilgesellschaftlicher Akteure (Kirchen, Vereine, Bürgerinitiativen usw.) oder von Individuen. Wir wollen für den Zeitraum 2012 bis 2016 und die beiden Einwanderungsereignisse in Deutschland (Rumänen und Bulgaren, 2012 bis 2014; sogenannte „Flüchtlingskrise“ 2014 bis 2016) ein Textkorpus sammeln, analysieren und im Hinblick darauf untersuchen, wie über Solidarität (zum Beispiel mit den Flüchtlingen) geschrieben wird.

Warum ist diese Forschung wichtig?

Es heißt, Solidarität sei in der Krise; speziell in Zeiten, die als Krisenzeiten wahrgenommen werden, wie etwa den von Migrationsereignissen gekennzeichneten Jahren 2012 - 2016. Solidarisches Handeln in großem Stil zu erfassen ist sehr schwer; aber Diskurse über Solidarität das heißt das, was Akteure im Gemeinwesen darüber schreiben oder sagen, lässt sich sammeln, über die Zeit hinweg analysieren und interpretieren. Uns interessiert, ob und wie sich die oben genannten drei Gruppen in ihren Solidaritätsdiskursen unterschieden, ob generell oder gruppenweise Soldidarisierungs- bzw. Desolidarisierungsentwicklungen feststellbar sind, und ob Diskurse einer Akteursgruppe auf die anderen Gruppen "abfärben". Schließlich auch, wie argumentiert wird: mit wirtschaftlichen Argumenten, mit Fremdheit, oder mit Sicherheitsargumenten? Die Ergebnisse sind langfristig auch für die Politikberatung relevant.

„Practices of Commenting in Digital Public Spheres”

Soziologe Prof. Dr. Michael Corsten

Prof. Dr. Michael Corsten ist Professor für Soziologie und Dekan des Fachbereichs Erziehungs- und Sozialwissenschaften in Hildesheim. Im Rahmen des DFG-Projekts „Digitale Verbreitungsmedien, Kommunikationsmacht und Generation“ hat Corsten mehrere Doktorarbeiten und eine Habilitation begleitet.

Herr Professor Corsten, welches Forschungsergebnis stellen Sie vor?

Es geht um ein Ergebnis aus dem DFG-Projekt „Digitale Verbreitungsmedien, Kommunikationsmacht und Generation“, die exemplarische Auswertung der 432 Beiträge im Zeit-Online-Kommentarbeich zum Artikel „schlecht, schlechter, Geschlecht“ von Harald Martenstein.

Warum ist diese Forschung wichtig?

Bemerkenswert ist oberflächlich betrachtet zunächst der Befund, dass auch in dem Online-Forum eines anerkannten Mediums des Qualitätsjournalismus eine Vielzahl von Beiträgen zu finden sind, in denen Personen und/oder Positionen in abwertender bis diskriminierender Form behandelt werden. Trotzdem zeigt sich an dem untersuchten Beispiel, dass sich innerhalb solcher Online-Leser-Kommentarforen Debatten zwischen kleineren Gruppen von Leserinnen und Lesern entfalten können. Wichtig ist die Untersuchung speziell dieser Bereiche nicht zuletzt deshalb, weil sich daran eine Kombination von One-To-Many- und Many-To-Many-Kommunikation zeigt.

„Who polluted the debate in the German federal election campaign 2017? Analysis and automatic detection of hate speech on social media”

Politikwissenschaftler Prof. Dr. Wolf Schünemann

Prof. Dr. Wolf J. Schünemann forscht und lehrt als Juniorprofessor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politik und Internet in Hildesheim.

Herr Professor Schünemann, welches Forschungsergebnis stellen Sie vor?

Wir stellen zentrale Ergebnisse aus dem Projekt „Wahlkampf in (a)sozialen Netzwerken“ (WasN) vor und zwar aus dem Teilprojekt 1, in dem wir einen großen Datensatz digitaler Kommunikationsdaten (insgesamt 2,9 Mio. Facebook-Beiträge) automatisiert ausgewertet haben. Wichtige Ergebnisse sind bislang, dass wir die viel beschworenen Echokammern, insbesondere im Hinblick auf die populistische Rechte, im deutschen Facebook-Wahlkampf nicht nachweisen können, zumindest nicht, wenn wir uns anschauen, auf welche Medieninhalte in den Posts und Kommentaren verwiesen wird. Hier zeigen alle Parteien einschließlich der AfD große Überschneidungen. Dennoch finden wir Muster thematischer und formaler Polarisierung, auf die wir eingehen. Zudem wird der Datensatz auch für die Forschung zu offensiver Sprache oder Hate Speech im Facebook-Wahlkampf verwendet. Hier leistet die Sylvia Jaki die wesentliche Forschungsarbeit und wird auch erste Ergebnisse präsentieren. 

Warum ist diese Forschung wichtig?

Die Bundestagswahl 2017 war einschneidend, sowohl im Hinblick auf das Ergebnis der Wahl (insbesondere der Erfolg der Rechtspopulisten) als auch den Online-Wahlkampf. Es gilt gerade im Vorfeld weiterer Wahlkämpfe (Länder/Europa) Lehren daraus zu ziehen und viel diskutierte Tendenzen der politischen Kommunikation und angenommene Gefahren für die Demokratie an der Realität zu überprüfen.

„Echo chambers and polarisation in the German federal election 2017”

Fritz Kliche, Stefan Steiger und Prof. Dr. Wolf Schünemann forschen zu Echokammern in sozialen Medien. Der Computerlinguist Fritz Kliche forscht in der Arbeitsgruppe von Professor Ulrich Heid.

Mich interessieren besonders die „Digital Humanities“ – also die Zusammenarbeit von Informatikern oder in unserem Fall Computerlinguisten mit Forscherinnen und Forschern aus den Geistes- oder Sozialwissenschaften, sagt Fritz Kliche. Mit seiner Arbeit möchte er dazu beitragen, dass Forschung in den digitalen Geisteswissenschaften in Hildesheim ausgebaut werden und in der interdisziplinären Zusammenarbeit weitere wichtige Forschungserkenntnisse erarbeitet werden können.

Automatic detection of hate speech on social media

Medienlinguistin Dr. Sylvia Jaki

Dr. Sylvia Jaki ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Übersetzungswissenschaft und Fachkommunikation in Hildesheim und forscht im Bereich der Medienlinguistik. Mit Kollegen der Universität Antwerpen hat sie ein Computerprogramm entwickelt, das in der Lage ist, automatisiert hetzerische Wörter und Wortkombination in Tweets aufzuspüren. Sie befasst sich mit sprachlichen Charakteristika der Medien und arbeitet an ihrer Habilitation.

Frau Dr. Jaki, welches Forschungsergebnis stellen Sie vor?

Für die Facebook-Daten des Projekts „Wahlkampf in (a)sozialen Netzwerken“ (WasN) von Wolf Schünemann konnten wir zeigen, dass die Facebook-Profile von Parteien und Politikerinnen und Politikern an den politischen Rändern während der letzten Bundestagswahl tendenziell mehr Hate Speech aufwiesen als bei den Parteien der politischen Mitte. Dies heißt aber nicht unbedingt, dass sich die Hate Speech GEGEN die Partei beziehungsweise den Politiker oder die Politikerin richtet. Unsere Analysemethode demonstriert überdies, dass lexikonbasierte Ansätze zu transparenteren Systemen bei der Erkennung von Hate Speech beitragen können.

Warum ist diese Forschung wichtig?

Hate Speech hat sich zu einem omnipräsenten Phänomen in den Medien entwickelt. Wie aber wollen wir damit umgehen – automatisiert entfernen, akzeptieren oder dagegen andiskutieren? Dies ist eine Frage, die vielerorts diskutiert wird und auch unbedingt diskutiert werden sollte. Aufgrund der Schwächen, die Detektionssoftware derzeit noch aufweist, ist es wichtig, Detektionssysteme zu schaffen, die einen Einblick in die Klassifikationsmechanismen geben, um die oftmals als Black Box bezeichnete Künstliche Intelligenz transparenter zu machen.

Die Fragen stellte Isa Lange.

Live-Chat, Webinar und Campusnachmittage: Angebote für Studieninteressierte

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Für Studieninteressierte: Veranstaltungen zur Studienwahl

Für Studierende: Willkommen in der Wissenschaft

Die Zentrale Studienberatung der Universität Hildesheim hat in diesem Jahr neben dem traditionellen Infotag sehr viele neue Veranstaltungsformate für Studieninteressierte konzipiert, unter anderem Orientierungsworkshops, Web-Seminare, Live-Chats und Campusnachmittage, sagt Arite Heuck-Richter, Leiterin der Studienberatung.

Im Live-Chat können Studieninteressierte ihre Fragen rund um die Bewerbung um einen Studienplatz mit der Studienberatung, dem Immatrikulationsamt und dem International Office besprechen. Die Live-Chats finden an ausgewählten Tagen zum Beispiel im Juni und Juli statt.

Die Web-Seminare sind Veranstaltungen, an denen Studieninteressierte online teilnehmen können: Nach einem Kurzvortrag zum Beispiel über den Ablauf einer Eignungsprüfung in Kunst, Musik oder Sport und wie man sich darauf optimal vorbereiten kann, können sie per Live-Chat ihre Fragen an die Uni stellen und so in direkten Kontakt mit Lehrenden und Studierenden treten, erläutert Arite Heuck-Richter.

Wie finde ich den passenden Studienplatz? Die Studienberatung hilft Studieninteressierten

Das richtige Studium für sich zu finden ist für viele Studieninteressierte eine Herausforderung. Um sich im Dschungel der Möglichkeiten zu orientieren, können Studieninteressierte an Workshops zur Studienwahl teilnehmen. Die Themen sind unter anderem: Was erwartet mich an einer Universität? Welche Fähigkeiten und Interessen habe ich? Wie treffe ich gute Entscheidungen? Welche Studienmöglichkeiten gibt es an der Universität Hildesheim? Studentinnen und Studenten stellen ihr Studium vor, stehen für Fragen bereit und geben ihre persönlichen Erfahrungen weiter. Die Workshops finden im März, Juni und November 2019 statt.

Die Zentrale Studienberatung setzt bei der Gestaltung der neuen Formate auch gezielt auf die Einbindung des studentischen Beratungsteams, den Anker-Peers, die auf Augenhöhe Fragen beantworten und Hilfestellung geben könnten. „Es bereitet mir große Freude, mein Wissen und meine Begeisterung für das Studi-Leben weiterzugeben“, sagt die Studentin Andrea Malack. Die Lehramtsstudentin studiert in Hildesheim die Fächer Psychologie, Pädagogik, Deutsch und Sachunterricht und gibt seit einem halben Jahr ihre Erfahrungen an Studieninteressierte weiter.

Sie geht gemeinsam mit weiteren Studierenden aller Fachbereiche an Schulen, informiert über die Berufswahl, nimmt Schülerinnen und Schüler mit in den Hörsaal und zeigt ihnen den Studienalltag. „Wir geben auch Einblicke in stressige Studienphasen und wir zeigen, wie man sich im Studium gut organisiert und selbstständig lernt“, sagt Andrea Malack.

Die Angebote sind kostenfrei, bei manchen Angeboten ist eine Anmeldung erforderlich, da die Teilnehmerzahl begrenzt ist.

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