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Kulturhauptstadt: Aufbruchstimmung, Ideenreichtum, Selbstzweifel

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Die Idee, sich als Kulturhauptstadt zu bewerben, löst in einigen Städten Aufbruchstimmung und Ideenreichtum, in anderen Skepsis und Selbstzweifel aus. Das Institut für Kulturpolitik lädt in dieser Woche zum „Kulturhauptstadtforum“ [zum Artikel] ein. Ziel der Tagung ist, alle deutschen Bewerber zusammenzubringen, denn noch ist nicht entschieden, welche Stadt als „Europäische Kulturhauptstadt 2025" ausgewählt wird.

Das Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim begleitet seit mehreren Jahren kulturpolitische Entwicklungen wissenschaftlich und hat bisher mehrfach das Programm „Europäische Kulturhauptstadt“ untersucht. „Die Fragen, die wir stellen, sind brisant. Geht es in der Auseinandersetzung mit Kultur nur noch um deren Finanzierung? Warum steht so markant das Marketing im Mittelpunkt des Mainstreams? Und wie kann die Planung dessen, was ein Fest der Bürger sein will, in Hinterzimmern verhandelt werden? Wir Kulturpolitikforscher wollen den Prozess der Bewerbung zur Kulturhauptstadt begleiten, wir wollen beobachten, welche Argumente den Diskurs bestimmen, wir wollen analysieren wie Inhalte und Formate entwickelt werden“, sagt Professor Wolfgang Schneider.

Programm „Kulturhauptstadtforum“ am 22. und 23. Juni 2017

Kulturvermittlung in Hildesheim studieren

Gastbeitrag

Innovation durch Kunst und Kultur – Exkursion zur europäischen Kulturhauptstadt Aarhus

Die Studentin Hannah Kattner berichtet in einem Gastbeitrag von einer Exkursion zur europäischen Kulturhauptstadt Aarhus.

Mit Kunst und Kultur die Welt retten? In Aarhus wird es probiert. Die zweitgrößte Stadt Dänemarks trägt 2017 den Titel der europäischen Kulturhauptstadt und hat sich das Ziel gesteckt, mithilfe von Kultur Herausforderungen wie soziale Ausgrenzung, Urbanisierung, wachsende Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrisen, Migration, Klimawandel und Verknappung von Ressourcen zu überdenken unter dem Motto: „Let´s rethink“. 18 Studierende des Master-Studiengangs „Kulturvermittlung“ reisten mit Professorin Birgit Mandel in die diesjährige Kulturhauptstadt in Dänemark, trafen das Organisationsteam des Kulturhauptstadtjahres, besuchten die Universität, zentrale Orte der Kulturhauptstadt und nahmen das ambitionierte Vorhaben der Dänen genauer unter die Lupe.

Der asphaltierte Fußweg führt am Meer entlang. Genutzt wird er von Joggern, Radfahrern und Touristen. Gesäumt wird der Weg mit Blick auf die Ostsee von Bäumen. Doch ein Baum sticht heraus. Fußgänger bleiben stehen. Radfahrer steigen von ihren Rädern. Staunend werden Fotos gemacht. Der Baum ist in pinke Farbe getaucht. Die Vegetation dahinter ist ebenfalls rosa gefärbt, als wäre eine pinke Flut den Hügel hinuntergelaufen. Was auf den ersten Blick wie eine Umweltkatastrophe aussieht, ist in Wirklichkeit eine Kunstinstallation der deutschen Künstlerin Katharina Grosse. Das farbenfrohe Kunstwerk ist Teil der Ausstellung „The Garden – The Future“, die das ARoS Aarhus Kunstmuseum im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres entlang der Küste aufgestellt hat. Kunst im öffentlichen Raum, die den Umgang mit der Natur thematisiert und zum Nachdenken anregen soll. Ganz im Sinne des Oberthemas „Let´s rethink“ – Lass uns umdenken –, das sich durch das gesamte Programm der europäischen Kulturhauptstadt Aarhus 2017 zieht.

Aarhus überzeugt die Jury durch gute Planung, Bürgereinbindung und Innovation

Seit 1985 vergibt die EU-Kommission den Titel Kulturhauptstadt Europa, den 2017 das griechische Paphos sowie das dänische Aarhus tragen. Bereits 2008 fasste die Stadtverwaltung Aarhus den Entschluss, sich für den Titel zu bewerben. Bis 2010 befragten sie 10.000 Bewohner auf dem dänischen Festaland, welche Herausforderungen sie für die Zukunft sehen. Die Ergebnisse dieser Befragung flossen in die weitere Planung des Kulturhauptstadtjahres ein, um das sich Aarhus 2011 final bewarb. Das Ziel: künftige Herausforderungen wie soziale Ausgrenzung, Urbanisierung, wachsende Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrisen, Migration, Klimawandel und Verknappung von Ressourcen, durch Kultur zu überdenken und neue kreative Lösungen zu finden. Außerdem soll der Titel der europäischen Kulturhauptstadt dafür genutzt werden, das 330.000 einwohnerstarke Aarhus  als Kulturstadt neben Kopenhagen touristisch zu etablieren.

Doch schließlich überzeugten nicht nur das ambitionierte Ziel die EU-Kommission, sondern vor allem die durchdachten, gut strukturierten Pläne zur Umsetzung des Kulturhauptstadtjahres, wie die EU-Kommission in einem Statement begründet. Ausschlaggebend für die Ernennung Aarhus war ebenfalls die Einbindung der Bürger aus der gesamten Region in das Programm sowie das Schaffen neuer kultureller Zentren.

The same for everybody – Das Gleiche für jeden    

In Leuchtschrift steht vor der Kulisse des Rathauses in Aarhus „The same for everybody“ – Das Gleiche für jeden. Eine Kunstinstallation des Künstlers Nathan Coley, die abwechselnd an mehreren Standorten in Dänemark zu sehen ist und das Prinzip von Aarhus 2017 auf den Punkt bringt. Das Kulturhauptstadtjahr soll jeden ansprechen.  Das Programm umfasst Kunstsparten wie Film, Musik, Klangkunst, Theater, Tanz, Literatur, Architektur und Design, aber auch Veranstaltungen zu den Themen Essen und Sport. Herausgekommen ist ein 500-Seitenstarkes Programmheft, das besonders für Touristen etwas unübersichtlich wirkt.

Am eindrucksvollsten zeigt sich der partizipative Gedanke der Kulturhauptstadt am Freiwilligen-Programm, bei dem bis jetzt rund 3.500 Freiwillige teilnahmen und so die Umsetzung des Kulturhauptstadtjahres unterstützten. Beispielsweise in dem sie an einem Infostand am Aarhuser Hauptbahnhof Broschüren an ankommende Touristen verteilen.

Auch Kultur im öffentlichen Raum gehört zum Teilhabe-Gedanken von Aarhus 2017. Die Ausstellung „The Garden – The Future“, die vom ARoS Aarhus Kunstmuseum kuratiert wird, zeigt Installationen entlang eines kilometerlangen Fußweges an der Küste von Aarhus. Der Gedanke dahinter ist, die Kunst aus den Institutionen in den öffentlichen Raum holen, um auch Menschen zu erreichen, die keine Kunstinstitution besuchen würden. “Taking the culture out of the institutions on the streets. So people who do not go there will see it in public”, erklärt Lene Øster, Regional-Managerin von Aarhus 2017.

Kulturelle Stadtentwicklung – Öffentliche  Aufenthaltsorte

Vor allem um neue Orte und eine kulturelle Stadtentwicklung geht es in Aarhus. Öffentliche Orte sollen die Stadt beleben und das kulturelle Leben der Bürgerinnen und Bürger bereichern. Einer dieser Orte ist das „Dokk1“, die 2015 fertiggestellte Stadtbibliothek mit Blick auf den Hafen. Doch der futuristische Neubau beherbergt nicht nur Bücher, sondern ebenso Spielplätze und das Bürgercenter der Stadt und ist für alle Bürger kostenlos zugänglich. Das Besondere ist die Durchlässigkeit der verschiedenen Bereiche. Studenten arbeiten an ihren Laptops, daneben spielen Kinder in einer Verkleidungsecke oder an einer Videospielkonsole, während eine Rentnerin am Schalter nebenan ihren Personalausweis verlängern lässt. Eine ungewöhnliche Vermischung von Orten, die jedoch trotz der Verschiedenheit der Aktivitäten funktioniert und eine angenehme Atmosphäre schafft. Das Dokk1 ist ein öffentlicher, frei-zugänglicher Ort für jeden, der viele Zielgruppen anspricht und so ein neuer Begegnungsort für Bürgerinnen und Bürger ist.

Ein ebenfalls neu geschaffener Ort ist das Kulturzentrum „Godsbanen“, das sich ebenfalls im Hafenviertel der Stadt befindet. Auf dem Gelände eines alten Güterbahnhofs hat sich die Kulturverwaltung der Stadt, die Filmhochschule, das Literatur-Center neben Töpfer-, Schreiner- und Nähwerkestätten, einem Copy-Shop, ein Fotolabor, Ateliers und Büroräume für Kreativ-Unternehmen und Probenräumen für Theatergruppen angesiedelt. Das Prinzip: die Räume sollen von Professionellen und Laien gleichermaßen genutzt werden, um eine wechselseitig-fruchtbare Beziehung herzustellen. “This is a place where everyone can go with their creative project“ – ein Ort, an den jeder mit seinen kreativen Projekten gehen kann, erklärt Trine Sørensen von der Pressestelle des Kulturzentrums. Auf der Grünfläche hinter dem Godsbanen findet sich dann auch die wilde Kunstszene Aarhus. Das sogenannte „Institut of X“ ist ein Dorf in der Stadt. In Baucontainern und selbstgebauten Häusern bespielt die Aarhuser Subkultur-Szene das brachliegende Gelände. Ein Freiraum für die freie Szene mit dem Charme einer urbanen Kommune, Marke Eigenbau. Ein gewollter Wildwuchs, der noch im Entstehen ist und von der etablierten Kunst- und Kulturszene im angrenzenden Godsbanen toleriert und unterstützt wird.

Erfolgreich? Das wird die Zukunft zeigen

Das Programm und die Ziele von Aarhus 2017 sind ebenso innovativ, wie ambitioniert. Aus der Sicht eines Außenstehenden, wirkt das Kulturhauptstadtjahrwie ein Erfolg. Die Stadt Aarhus ist durchzogen von Kunst und Kultur. Die kulturellen Zentren der Stadt wirken innovativ und belebt.

Doch vieles befindet sich noch im Aufbau. Nicht nur im Stadtbild ist das zu sehen, sondern auch die Experten halten sich noch mit einer euphorischen Bewertung des Jahres zurück. Die Einschätzung der Beteiligten bisher: “The real work will start in 2018. When there is no umbrella of the capital culture year”, wie Rina Valeur Simonsen, Leiterin der Strategie und Verwaltung von Aarhus 2017, stellvertretend für die Stakeholder des Kulturhauptstadtjahres sagt. Obwohl das Kulturhauptstadtjahr noch ein halbes Jahr läuft, gibt es bereits eine „Legacy Strategie“ dafür, wie die vielen Neuerungen die Kooperationsbeziehungen nachhaltig in allen kommunalen Bereichen etabliert werden sollen. Das Kulturhauptstadtjahr hat viele Prozesse angestoßen, die nun in den folgenden Jahren ihre Langfristigkeit zeigen müssen.

 

Hannah Kattner, 22, studiert im 2. Semester im Masterstudiengang „Kulturvermittlung“ an der Universität Hildesheim, mit den Fächern Medien und populäre Kultur. Zuvor hat sie im Bachelorstudium „Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis“ mit den Schwerpunkten Literatur und Medien studiert.


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