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Mobil in Hildesheim: Schrauben, reparieren und tüfteln in der Fahrradwerkstatt

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Vor 25 Jahren haben Studentinnen und Studenten die Fahrradselbsthilfewerkstatt „Fazze“ gegründet. Seitdem schrauben und reparieren in der Werkstatt in der Moltkestraße jede Woche Studentinnen und Studenten sowie andere Bewohnerinnen und Bewohner Hildesheims ihre Fahrräder zusammen und unterstützen sich gegenseitig. Die Universität Hildesheim hat das außerordentliche Engagement der Studentinnen und Studenten mit dem „Preis des Präsidiums für herausragende studentische Initiativen 2018“ ausgezeichnet. Die „Fazze“ leistet einen wichtigen Beitrag zur kostengünstigen und umweltfreundlichen Mobilität von Studentinnen und Studenten.

Interview mit Tinka Dittrich, Absolventin der Kulturwissenschaften und Mitglied der „Fazze“

Wie haben Sie von der Fahrradwerkstatt „Fazze“ in Hildesheim erfahren? Ich habe den Weg in die „Fazze“ über einen Fahrradunfall gefunden. Ich tauchte in der Werkstatt mit meinem kaputten Fahrrad auf. Damals habe ich an der Universität Hildesheim im Studiengang „Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis“ mit den Fächern Literatur, Theater und Kulturpolitik studiert und war schon zu der Zeit immer mit dem Fahrrad unterwegs. Seit ich klein bin, will ich Fahrräder schrauben können, habe das aber nie gelernt. Bevor ich in die „Fazze“ kam, konnte ich nicht einmal einen Schlauch flicken. Jemand aus dem Team der „Fazze“ sagte: „Macht nichts, das lernst du bei uns, so haben fast alle hier angefangen. Außer den zwei gelernten Zweiradmechanikern in unserem Team.“ Und seitdem engagiere ich mich in der Werkstatt. 2016 habe ich mein Studium abgeschlossen und mich entschlossen: Ich möchte nicht, wie so viele, aus Hildesheim wegschwirren, sondern nach dem Studium in dieser Stadt leben und mich dafür einsetzen, sie fahrradfreundlicher und allgemein klimafreundlicher zu gestalten. Heute befasse ich mich mit Stadtstrukturen und der Frage, wie Bewohnerinnen und Bewohner CO2 reduzieren können. Und ich beschäftige mich mit der Frage, wie man Gegenstände des alltäglichen Lebens reparieren und bewahren kann. Was leistet die Fahrradselbsthilfewerkstatt in Hildesheim? Die Werkstatt ist ein guter und wichtiger Baustein für die Alltagsmobilität, auch für Menschen, die nicht das Budget haben, das eigene Fahrrad in eine Werkstatt zu geben. Im Schnitt kommen etwa 40 Studentinnen und Studenten jede Woche in die Werkstatt, je nach Wetterlage. Seit einem Jahr ist die „Fazze“ auch im „Arbeitskreis Mobilität“ in Hildesheim aktiv. Wie sieht der Alltag in der Werkstatt aus? Die Werkstatt befindet sich in der Moltkestraße 86, durch ein großes grau-blaues Tor gelangt man in einen Hinterhof und wird empfangen von zahlreichen Fahrrädern und Menschen, die an ihren Rädern herumschrauben. Die Werkstatt ist voll ausgerüstet, was auch immer für ein Schaden zu beheben ist – die „Fazze“ hat das passende Werkzeug, aber bei so vielen Teammitgliedern ist es leider oft schwer, Ordnung zu halten, häufig geht der Reparatur erst eine kleine Suche voraus . Wenn man nicht selber das Rad reparieren kann, helfen wir weiter und geben eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, was als nächstes zu tun ist – mit dem Hintergedanken der „Hilfe zur Selbsthilfe“, damit Studierende lernen, das eigene Fahrrad zu warten und zu reparieren. Wie nutzen Studentinnen und Studenten die Werkstatt, wie wird das Angebot angenommen? Was raten Sie Erstsemestern in puncto Mobilität in Hildesheim? Es gibt Anwohnerinnen und Anwohner, die verärgert sind, wie Studierende Einfahrten und Rettungswege mit Autos blockieren. Wer nach Hildesheim zum Studium kommt, sollte die überschaubare Größe Hildesheims nutzen – Autos sind meiner Ansicht nach da nur hinderlich, das Fahrrad ist hingegen der perfekte Begleiter. Ich finde es in dieser Stadt sehr komfortabel, dass, egal wo ich hin muss, ich mit dem Fahrrad in 15 Minuten von A nach B komme – natürlich ist man schneller da, wenn die Reifen aufgepumpt sind und die Kette geölt ist. Ich komme ursprünglich aus Hamburg – da sind die Wege viel weiter und komplizierter. Mein Fahrrad wartet unten vor der Haustür auf mich, ich kann einfach runtergehen, aufsteigen und losfahren. Ich erspare mir die elendige Parkplatzsuche oder die Wartezeit auf den Bus. Wir machen die Erstsemester auf unsere Werkstatt aufmerksam, damit sie die Chancen des Fahrradfahrens nutzen. Es gibt sehr schöne grüne Wege, die man fahren kann. Während meines Studiums habe ich es sehr genossen, auf verkehrsberuhigten Wegen zur Uni zu radeln, um gut durchgelüftet und entspannt auf dem Campus anzukommen. Wer jetzt im Oktober in das Studium startet, dem rate ich, zu uns in die „Fazze“ zu kommen, falls das Licht nicht funktioniert. Und nicht zuletzt, damit unter anderem Anwohnerinnen und Anwohner der Universität nicht beeinträchtigt werden, ist es wichtig, das auch Radfahrende sich rücksichtsvoll verhalten. Auch allen anderen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern gegenüber. Damit Straßenverkehr sicher und möglichst entspannt ist, ist ein umsichtiges Miteinander aller wichtig. Wie können Studentinnen und Studenten sich in der Werkstatt beteiligen? Wir suchen neue Schrauberinnen und Schrauber, mit und ohne Vorkenntnisse, die Lust haben, anderen Fahrradfahrenden bei der Reparatur zu helfen. Zumal die „Fazze“ auch von vielen Menschen mit Fluchthintergrund besucht wird, wäre es großartig, wenn auch Studentinnen und Studenten mit Farsi-, Arabisch- oder Französischkenntnissen Lust haben, sich in der „Fazze“ zu engagieren. Es gibt weitere Möglichkeiten, sich einzusetzen. Wo brauchen Sie außerdem aktuell dringend Unterstützung? Ganz konkret suchen wir für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit in der „Fazze“ Menschen, die sich mit graphischer Gestaltung auskennen. Auch wer gerne händisch zeichnet, ist bei uns willkommen. Die eine oder andere Verhaltensregel und Nutzungsweise der Werkstatt soll visuell und somit schnell erfassbar kommuniziert werden. Die aktuellen Team-Mitglieder können mit Bowdenzügen und Bremsklötzen umgehen, Photoshop und Zeichnen sind für uns aber ein Abenteuer in weiter Ferne. Bis zum 7. September 2018 läuft in Hildesheim erstmals die Kampagne „Stadtradeln“ – die „Fazze“ war in die Organisation eingebunden und ist nun natürlich auch mit einem Team dabei. Wir freuen uns über Mitradelnde, man kann sich online im Fazze-Stadtradel-Team anmelden. Vor einem Jahr hat die Fazze damit begonnen, sich auch in der lokalen Verkehrspolitik einzubringen. Hier ist definitiv noch Luft nach oben – die Studierenden Hildesheims sind ein nennenswerter Teil der Stadtbevölkerung, der hinzukommend viel Fahrrad fährt. Bei 10.000 Studierenden ist es meiner Ansicht nach wichtig, dass diese Gruppe durch starke Stimmen vertreten wird. Wir suchen Studierende, die sich auf lokalpolitischer Ebene für eine bessere Fahrradverkehrssituation einsetzen wollen. Die neue Stadtbaurätin Andrea Döring ist sehr aufgeschlossen für Ideen zur Mobilität in Hildesheim. Toll wäre es, wenn beim Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) – ähnlich wie an der HAWK – ein Mobilitätsreferat mit dem Schwerpunkt Fahrradverkehr eingerichtet werden würde. Seit 25 Jahren existiert die Fahrradwerkstatt – ohne feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wie schaffen Sie das, dass die Werkstatt so lange läuft? Ich bin selber erst seit drei Jahren dabei, es gibt aber einige, die die Werkstatt ehrenamtlich neben ihrem Beruf schon langjährig am Laufen halten – und einst selbst als Schrauberin oder Schrauber neben dem Studium angefangen haben. Teils, weil ihr Rad kaputt war, teils aus Leidenschaft für Fahrräder und fürs Schrauben. Die Fragen stellte Isa Lange.

Kurz informiert:

Wo finde ich die Fahrradwerkstatt?

Die Fahrradselbsthilfewerkstatt „Fazze“ befindet sich in der Moltkestraße 86 in Hildesheim und ist jeden Mittwoch zwischen 17:00 bis 19:30 Uhr geöffnet. Die „Fazze“ hat dieses Jahr während der Sommersemesterferien geschlossen und öffnet am 10. Oktober 2018 wieder. Eine vorige Anmeldung ist nicht erforderlich. Wer die Fahrradwerkstatt noch nicht kennt, kann im Rahmen des Festivals „Hinten im Hof“ am 25. August 2018 von 15 bis 22 Uhr die Werkstatt besuchen und den 25. Geburtstag der „Fazze“ mitfeiern – dort lässt sich auch das neueste Schmuckstück der Werkstatt ausprobieren, das  von zwei Freunden der „Fazze” ausgetüftelt wurde: Sie haben eines der Fahrräder umgebaut zu einem „Fahrrad-Smoothie-Mixer“.

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